Standpunkt

Das Corona-Jahr: Die Solidarität muss stärker sein als jeder Egoismus

Veröffentlicht am 31.12.2020 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 

Bonn ‐ Leere Supermarktregale, Maskenverweigerer, Diskussion um die Impfstoffverteilung. Die Krise brachte nicht gerade das Beste in den Menschen hervor, kommentiert Tilmann Kleinjung. Auch wenn alle müde sind: Gerade jetzt müsste sich vieles ändern.

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Wir sind müde am Ende dieses Corona-Jahres. Wir wollen nicht mehr diskutieren, welche Maßnahmen zur Eindämmung der Krise nun sinnvoll, übertrieben oder untertrieben sind. Wir wollen nicht mehr von Politikern oder Journalisten wie kleine Schulkinder belehrt werden. Wir wollen uns nicht von sogenannten Querdenkern für dumm verkaufen lassen. Wir können selbst denken. Und wir spüren, die Kräfte lassen nach. Im Frühjahr hatten wir noch Energie: für Balkonkonzerte in Hinterhöfen, Applaus für unterbezahlte Pflegekräfte, gelebte Solidarität.

Die Corona-Krise hat natürlich nicht nur das Beste in den Menschen zu Tage gefördert. Supermarktregale wurden leer gekauft. Andere verzichten demonstrativ auf Distanz und Maskenpflicht und verklären das zum rebellischen Akt gegen Bevormundung. Dabei geht es denen doch nur um die eigene Freiheit. Ich, ich, ich. In derselben Liga spielt auch die aktuelle Debatte darüber, warum sich Deutschland nicht von Beginn an mehr Impfdosen gesichert hat. Die Bundesregierung muss sich vorhalten lassen, dass sie ihre Impfstrategie mit den europäischen Partnern abstimmt und nicht im nationalen Alleingang möglichst viel Impfstoff gehamstert hat. Wenn der Horizont nicht einmal bis zum europäischen Tellerrand reicht, wie sieht es dann mit der Solidarität für ärmere Länder in Afrika oder Asien aus?

Wir sind müde. Dabei bräuchten wir jetzt Kraft. Die zweite Corona-Welle hat Deutschland mit voller Wucht erwischt. Doch Angst ist ein schlechter Ratgeber und Müdigkeit keine Entschuldigung. Machen wir einen Strich unter dieses Jahr und versuchen, ausgeschlafen das Gute hinüberzuretten ins neue Jahr, in die Zeit nach Corona. Es gibt ja genügend Lernerfahrungen: zum Beispiel, dass die Leistungsträger in unserer Gesellschaft – Pflegerinnen, Supermarktkassierer – chronisch unterbezahlt sind. Kann man ändern, muss man ändern. Oder dass sich die Stärke einer Gesellschaft danach bemisst, wie sie mit den Schwächsten umgeht, mit den Alten und den Jungen. Auch da gibt es noch Luft nach oben. Und dass die Solidarität am Ende stärker ist als jeder Egoismus.

Von Tilmann Kleinjung

Der Autor

Tilmann Kleinjung ist Leiter der Redaktion Religion und Orientierung im Bayerischen Rundfunk (BR).

Hinweis

Der Standpunkt spiegelt nicht unbedingt die Meinung der Redaktion von katholisch.de wider.