Standpunkt

Kirche in Deutschland: Wären Rücktritte derzeit hilfreich?

Veröffentlicht am 04.01.2021 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 

Bonn ‐ Pater Stefan Kiechle wägt das Für und Wider von Rücktritten in der Kirche in Deutschland ab. Für beide Optionen findet er Argumente. Dennoch ist seine Schlussfolgerung eindeutig.

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Wenn ein hoher Repräsentant oder eine hohe Repräsentantin einen Fehltritt begeht – versehentlich oder absichtlich, aus Angst oder aus Eigeninteresse, mit guter Absicht oder nicht – und dieser publik wird, rufen viele "Skandal"und fordern den Rücktritt. Zurecht?

Was spricht für den Rücktritt? Er wäre das Eingeständnis des Scheiterns im Amt und des Verlustes jener Glaubwürdigkeit, die man für das Amt braucht. Auch würde man persönliche Schuld öffentlich gestehen und die damit verbundene Strafe annehmen – man verliert dadurch Macht, Glanz und Reputation. Der Rücktritt wäre ein Akt der Reinigung für die Institution, und er stellt die Autorität des durch den Fehltritt beschädigten hohen Amten wieder her.

Was spricht gegen den Rücktritt? Eine einzelne Person würde zum Sündenbock gemacht und in die Wüste geschickt, diese muss "alle Schuld tragen" – aber es waren doch mehr Personen und auch die Institution beteiligt! Daher wäre dieser Rücktritt für die zurücktretende Person auch ungerecht. Außerdem wäre er mehr äußeres Ritual und Symbol, denn er ändert ja nicht die Person im Inneren, und schon gar nicht das beteiligte fehlerhafte System – er würde zur bloßen Beruhigungspille für die Öffentlichkeit. Weiterhin würde er den Rachedurst der Betroffenen des Fehltritts oder den einer sensationslüsternen Öffentlichkeit befriedigen – aber ist das moralisch richtig? Und wenn der Rücktritt an der Fehlerquelle nichts wirklich ändert, werden mit Nachfolgern oder Nachfolgerinnen die Fehler weitergehen….

Rücktritte sind Symbolhandlungen. Wie alle Symbole sind sie begrenzt: Sie zeigen Umkehr, Reinigung und Neubeginn, bewirken auch etwas davon, aber sind lange nicht ausreichend. Dennoch: Es braucht Symbole. Bisweilen braucht es Rücktritte – aber bitte ohne die Häme der anderen und ohne dass Zurücktretende sich neu als Opfer definieren oder von anderen zu Opfern gemacht werden. Wäre derzeit in der Kirche Deutschlands nicht – bei allem Pro und Contra – der eine oder andere Rücktritt hilfreich?

Von Stefan Kiechle SJ

Der Autor

Pater Stefan Kiechle SJ ist seit 2018 Chefredakteur der Zeitschrift "Stimmen der Zeit". Zuvor leitete er sieben Jahre die Deutsche Provinz des Jesuitenordens.

Hinweis

Der Standpunkt spiegelt nicht unbedingt die Meinung der Redaktion von katholisch.de wider.