2013 war das Jahr der zwei Päpste im Vatikan

Neuausrichtung auf allen Ebenen

Veröffentlicht am 17.12.2013 um 00:00 Uhr – Lesedauer: 
Jahresrückblick

Vatikanstadt ‐ Die Realität hat 2013 im Vatikan selbst kühnste Spekulationen übertroffen: Zum ersten Mal seit dem Mittelalter trat ein Papst freiwillig von seinem Amt zurück. Zum ersten Mal wurde ein Lateinamerikaner an die Kirchenspitze gewählt. Und der neue Papst Franziskus bringt frischen Wind und einen neuen Leitungsstil in den Vatikan. Er setzt Reformen in Gang und wird - bislang - von einer breiten Welle der Sympathie und Reformeuphorie getragen.

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Die lateinische Rücktritts-Ankündigung vom 11. Februar erschütterte nicht nur die Kirche. Sie fand viel Respekt, aber auch manches Unverständnis. Benedikt XVI. sah sich angesichts schwindender Kräfte nicht mehr in der Lage, das Amt des Pontifex maximus auszuüben. Die letzten Termine mit dem Papst aus Bayern waren bewegend. Nach einem live übertragenen Hubschrauberflug nach Castel Gandolfo grüßte er ein letztes Mal vom Außenbalkon der Papstvilla aus. Um 20.00 Uhr des 28. Februar schlossen sich die Tore , die Schweizergarde zog ab. Nach sieben Jahren, zehn Monaten und neun Tagen ging das "deutsche" Pontifikat zu Ende. Seither lebt der emeritierte Papst weitgehend zurückgezogen mit Gebet, Meditation und einem umfangreichen Briefverkehr in seinem kleinen Kloster im Vatikan.

Austausch von Kirche und Zeitgeist

Anders als nach dem Tod von Johannes Paul II. 2005 stand die Sedisvakanz diesmal nicht im Zeichen von Kontinuität; Veränderung lag in der Luft. Der ehemalige Theologie-Professor Benedikt XVI. hatte die Kirche mit brillanten Ansprachen und Publikationen geleitet und den Austausch von Kirche und Zeitgeist vorangebracht. Aber es gab im Vatikan immer wieder organisatorische Pannen: Regensburger Rede, Streit mit Piusbrüdern , Williamson-Affäre und "Vatileaks" . Im Vorkonklave forderten die Kardinäle nachdrücklich Abhilfe und Veränderungen in der Kurie.

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Video: © katholisch.de

Franziskus ist der neue Papst. Katholisch.de kommentiert die Bekanntgabe und die ersten Worte des Papstes live aus dem Studio und vom Petersplatz in Rom.

Nach 26 Stunden Konklave stieg am 13. März um 19.07 Uhr weißer Rauch aus dem Kamin der Sixtina auf: Im sechsten Wahlgang einigten sich die 115 Wahlmänner überraschend auf den Argentinier Jorge Mario Bergoglio (76). Viele hatten mit einem Jüngeren gerechnet. Aber schon mit seinem ersten, das Protokoll und die Gewohnheiten sprengenden Auftritt auf der Mittel-Loggia des Petersdoms gewann der neue Pontifex viele Herzen.

Seither ist manches anders im Vatikan. Der Lebens- und Arbeitsstil des neuen Papstes ist von Einfachheit und Bescheidenheit geprägt - was nicht heißt, dass der Vorgänger aufwendiger gelebt hätte. Franziskus wohnt im Gästehaus Santa Marta - unter vielen Menschen - und nicht im Apostolischen Palast. Er hat keinen eigenen Privatsekretär, sondern ein Sekretariat, und er erledigt vieles selbst. In den ersten Amtsmonaten hat er sich in vielen Gesprächen einen Überblick über die ihm bislang eher fremde Kurie verschafft.

Schon einen Monat nach der Wahl berief er einen achtköpfigen Kardinalsrat - darunter der Münchener Kardinal Reinhard Marx -, der ihn beraten und ihm Vorschläge für eine Kurienreform erarbeiten soll. Allerdings wurde bereits deutlich, dass das Projekt "Kurienreform" nicht Monate, sondern Jahre brauchen werde.

Ausstrahlung und Authentizität

Papst Franziskus beeindruckt die Menschen mit seiner persönlichen Ausstrahlung, seiner Authentizität, mit seiner einfachen Sprache, den prägnanten, mitunter zugespitzten Botschaften. Seit seiner Wahl strömen die Menschen zu den öffentlichen Papstterminen. Franziskus nimmt sich für die Fahrten im Jeep durch das Menschenspalier noch mehr Zeit als seine Vorgänger, er grüßt Kranke und Behinderte, herzt Kinder. Im Vordergrund stehen für ihn der Einsatz für die Armen, das Bild einer armen Kirche, das Bemühen um mehr Kollegialität und Synodalität an der Kirchenspitze.

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Video: © Gottfried Bohl

Papst Franziskus besucht die Flüchtlingsinsel Lampedusa.

Auch politisch hat Franziskus durchaus für Aufsehen gesorgt, etwa mit seinem Solidaritätsappell auf der Flüchtlingsinsel Lampedusa . Der von ihm angesetzte Weltgebetstag für Syrien unmittelbar vor der drohenden US-Militärintervention fand religionsübergreifend weltweite Beachtung. Fast ein Heimspiel war seine erste Auslandsreise: zum Weltjugendtag in Rio de Janeiro.

Der neue Stil an der Kirchenspitze gefällt freilich nicht allen. Manche halten seine Messen für zu wenig feierlich, vermissen in den Predigten theologischen Tiefgang. Andere beanstanden, dass er bis heute nur mit einer provisorischen Regierungsmannschaft amtiert. Manche halten seine jüngste Markt- und Wirtschaftskritik für zu "links". Überhaupt sehe man im Vatikan zu viel Bergoglio und zu wenig Papst, hört man. Die demonstrierte Nähe zu den Menschen gehe zu Lasten der Erhabenheit und Würde des Petrusamtes.

Zentralbegriff "Barmherzigkeit"

Neun Monate nach seiner Wahl genießt Franziskus weiterhin einen Vertrauensbonus in Medien und Öffentlichkeit. Viele seiner Anregungen werden als Reform, als Öffnung, als Veränderung gefeiert, auch wenn bereits seine Vorgänger Ähnliches anregten. Hohe Erwartungen ranken sich um seinen Zentralbegriff "Barmherzigkeit" . Freilich verweist Bergoglio etwa im Zusammenhang mit einem Kommunionsempfang für wiederverheiratete Geschiedene auf die geltenden Normen der Kirche.

Und er sei ein "Sohn der Kirche". Mit seinem Lehrschreiben "Evangelii gaudium" hat Franziskus am Ende des Kirchenjahres eine Art Pontifikatsprogramm vorgelegt. Es geht ihm um eine Neuausrichtung der Kirche auf allen Ebenen. Einer Kirche, die stärker an die Ränder der menschlichen Existenz gehen und sich den Menschen an der Peripherie zuwenden muss. Und in der das Amt - einschließlich des Amtes des Papstes und seiner Kurie - nicht Macht, sondern in erster Linie Dienst bedeuten soll.

Von Johannes Schidelko (KNA)