Nicht nur über Schließung von Fakultäten reden

Schavan sieht wachsenden Bedarf an theologischem Wissen

Veröffentlicht am 08.02.2021 um 14:25 Uhr – Lesedauer: 

Ostfildern ‐ Immer weniger Theologiestudenten – und auch für Religionslehrer wird der Bedarf sinken: Für Ex-Ministerin und -Vatikanbotschafterin Annette Schavan ist das kein Grund, Fakultäten zu schließen. Sie hofft auf einen Aufbruch an der Universität.

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Die ehemalige Bundeswissenschaftsministerin und Vatikanbotschafterin Annette Schavan sieht einen wachsenden Bedarf an theologischem Wissen und Denken. In ihrem am Montag erschienenen Buch "geistesgegenwärtig sein. Anspruch des Christentums" betont die Politikerin, dass Theologie als Teil der Tradition der europäischen Universität neben der Ausbildung für kirchliche Berufe auch eine Rolle in einem umfassenden Bildungskonzept habe. Daher dürfe die Diskussion um die Zukunft der akademischen Theologie auch nicht nur mit Blick auf eine Schließung von Fakultäten geführt werden. 

Der Aspekt der Berufsbildung sei zwar bisher in den staatskirchenrechtlichen Vereinbarungen zur Errichtung theologischer Fakultäten im Mittelpunkt gestanden. Mit dem ständigen Rückgang an Studierenden, auch im Bereich der angehenden Religionslehrer, werde aber zunehmend der Aspekt der umfassenden Bildung wichtiger. Daher spricht sie sich dafür aus, bei der Weiterentwicklung der akademischen Theologie Zentren mit Schwerpunkten einzurichten, "die die Theologie zu einer attraktiven Gesprächspartnerin für alle Fakultäten und zu einem inspirierenden Angebot im allgemeinen Bildungskonzept der Universität" werden lässt.

Schavan rechnet damit, dass auch die Zahl der Lehramtsstudierenden mangels Nachfrage nach konfessionellem Religionsunterricht in einer immer säkularer werdenden Gesellschaft auf Dauer deutlich zurückgehen werde. Daher spricht sie sich dafür aus, neben Angeboten wie Ethik und Lebenskunde auch "ausgewählte religionsphilosophische Themen und damit verbundene klassische Fragestellungen" in die Lehrpläne aufzunehmen. "Jedenfalls scheint das fundierter und attraktiver zu sein als die Reduzierung der Inhalte des früheren Religionsunterrichts auf Ethik", so Schavan. Auch im christlichen Religionsunterricht sei angesichts sinkender Schülerzahlen in Zukunft eine Zusammenarbeit der Konfessionen "zwingend".

Bessere Kooperation zwischen Einrichtungen verschiedener Religionen

Die von der ehemaligen Wissenschaftsministerin skizzierte Entwicklung könne für die Theologie an der Universität eine Chance darstellen. "Sie kann ihr Potenzial im Dialog mit anderen Fakultäten entdecken; sie wird ihre Rolle in der Begleitung, Beratung und Reflexion globaler Prozesse der Transformation definieren können; sie kann aus den Erfahrungen eines breiten Spektrums an Fächern in einer theologischen Fakultät schöpfen, wenn es um die Entwicklung von Forschungsfragen einer interaktiven Theologie geht", so Schavan. "Theologie im Haus der Wissenschaft" sei nicht nur eine Angelegenheit der Kirchen: "Es geht um einen Erfahrungsschatz und ein Erkenntnisspektrum, das im globalen Dialog über Zukunftsfragen wertvoll ist", betont Schavan. Daher sei es auch wünschenswert, die Zahl der Universitäten, an denen jüdische und muslimische Theologie gelehrt wird, zu erhöhen: "An diesen Standorten besteht die Chance, ein bloßes Nebeneinander dadurch zu überwinden, dass gemeinsame Forschungsfragen erarbeitet werden und eine tatsächlich interaktive Theologie entsteht." Für die Theologie als "kulturelles Laboratorium" bestehe ein hoher Bedarf, betont Schavan.

Annette Schavan war von 2005 bis 2013 Bundesministerin für Bildung und Forschung, von 2014 bis 2018 war sie deutsche Botschafterin beim Heiligen Stuhl. Von 1994 bis 2005 war sie eine der vier Vizepräsidenten des Zentralkomitees der Deutschen Katholiken, dem sie seit 1991, zunächst als Leiterin des Cusanuswerks, der Studienstiftung der katholischen Kirche, angehörte. Bereits 2017 hatte sich Schavan für eine engere Kooperation der Theologien verschiedener Konfessionen und Religionen ausgesprochen. (fxn)