Eine Reise durch Mecklenburg-Vorpommern

Auf den Spuren von Spiritualität: Der Pilgerweg der heiligen Birgitta

Veröffentlicht am 28.02.2021 um 12:50 Uhr – Lesedauer: 

Güstrow ‐ Der Pilgerweg auf den Spuren der Birgitta führt quer durch Mecklenburg-­Vorpommern. Während sich an den Küsten die Touristen drängeln, ist das Hinterland fast menschenleer – und dennoch nicht gottvergessen. Eine Reise zu Landschaft und Spiritualität.

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Die Schönheit der Landschaft gewinnt, nachdem wir unter einer Brücke der A20 hindurchgegangen sind, schnell die Oberhand: Feldlerchen ersetzen das Rauschen der Autos. Über die weiten Wiesen des Recknitztals schrauben sich die unscheinbaren Vögel tirilierend in die Lüfte. Auf den Magerwiesen nicken kleine Blüten in kräftigen Farben mit ihren Köpfen im Wind. Der Weg am Rand des Tales besteht aus Sand und Lehm, teilweise von Traktoren ausgefahren.

Übernachtet haben wir im Pfarrhaus des kleinen Städtchens Tessin, 4000 Einwohner. Tief im Osten, weit weg vom Meer. Hier hat sich die DDR-Patina erhalten. Anne-Frank-Schule, Bäcker, Friseur, Pflegeheim – Senioren bestimmen das Straßenbild. Doch der kleine Ort Tessin hält sich wacker. Er existierte bereits im 12. Jahrhundert und war von Bedeutung, da der mecklenburgische Vogt hier seinen Sitz hatte.

Ist Birgitta, Tochter einer schwedischen Adelsfamilie, auf diesem Weg nach Santiago de Compostela oder nach Rom gepilgert? Ihre Botschaften – Armut, Keuschheit, Liebe zu Gott – sind schwer in die Gegenwart zu übertragen. Einfacher ist dies bei ihrem sozialen Engagement. Klug und geschickt kam sie mit den weltlichen Herrschern und der Kirchenobrigkeit ins Gespräch. Sie verwandte ihre Lebenszeit darauf, die Könige und Päpste zu unliebsamen Entscheidungen zu bewegen. Gleichzeitig kümmerte sie sich um Arme, Kranke und Prostituierte. Eine starke Frau des 14. Jahrhunderts. Wir empfinden Respekt für sie, während wir dem Weg aus dem Recknitztal heraus über eine kleine Hügelkuppe folgen.

Eine abwechslungsreiche Landschaft

Durch Wälder und kleine Dörfer gelangen wir gegen Abend nach Laage, unser Übernachtungsquartier. Auch am folgenden Tag laufen wir durch die hügelige und abwechslungsreiche Landschaft Mecklenburgs. An Feldern vorbei, durch Forste mit nachhaltiger Bewirtschaftung und durch kleine Dörfer, die Landidylle versprühen: Hinter blühenden Bauerngärten reihen sich Fachwerk- und Backsteinhäuser aneinander.

Den hohen Turm der aus Feldsteinen und Ziegeln errichteten Bartolomäus-Kirche des Dorfes Recknitz sehen wir schon von Weitem. Es ist heiß, ein Gemeindemitarbeiter macht seine Mittagspause auf einer schattigen Friedhofsbank. "Hier gibt es nur wenige Kirchgänger", erzählt er. Deshalb habe der Gemeinderat das Pfarrhaus verkauft.

Bild: ©Sandra Pixberg

Eine Windmühle in Zepelin

Aber wo sollte die Gemeinde nach dieser Entscheidung zusammenkommen? Er lächelt. "Wir haben eine gute Lösung gefunden: Nach der Renovierung kommt eine kleine Küchenzeile ins Kirchenschiff." Eine Kirche mit Küche – was die gradlinige Birgitta wohl davon halten würde? Mit 46 Jahren bekam sie von Gott die Weisung, nach Rom zu pilgern und auf die Rückkehr des Papstes zu warten. Sie blieb dort, denn der Papst kam nicht zurück aus Avignon. In ihrem Haus an der Piazza Farnese führte sie mit Pilgern, ihrer Tochter und Mönchen ein klosterähnliches Leben. Stundengebete, Andachten und gemeinsame Mahlzeiten verliehen dem Tage seinen Rhythmus. Bei Tisch herrschte Schweigen, aber es gab eine Tageszeit, die für private Gespräche vorgesehen war.

Erst Andacht, dann Beisammensein

Einen ähnlichen Rhythmus gibt es nun auch in der Recknitzer Kirche, denken wir: Erst die Andacht, dann das gemeinschaftliche Beisammensein. Birgitta wäre bestimmt zufrieden damit. Der Weg führt uns am Nachmittag bis in eine Mulde nach Rheinshagen. Wiewohl nah der Autobahn nach Berlin, ist das Dorf doch reizend: eine alte Kirche, das Pfarrhaus aus rotem Backstein, ein eigener Dorfteich mit Badestelle. In der "Alten Ausspanne" spannen auch wir aus und genehmigen uns im Schatten riesiger Schwarzpappeln einen Kaffee und ein Eis.

Als wir über die rot-weiße Schranke klettern und einem Pfad durch das hohe Gras einen Hügel hinauf folgen, ist uns mulmig zumute: Erst übten hier Soldaten des Naziregimes schießen, dann russische und schließlich wurde das Areal in der DDR militärisches Sperrgebiet. Auf dem Weg bleiben, heißt die Devise, links und rechts könnte alte Munition durch Berührung detonieren. Vor uns kreuzt ein stattlicher Hase den Pfad, der jetzt wildromantisch an Büschen entlang durch kleine Rinnsale führt. Die ungehemmte Bewegung des Langohrs stimmt uns ruhiger, zuversichtlicher.

In dem alten Wald, den wir anschließend durchqueren, haben wir die belastende Vergangenheit des Gebiets fast vergessen. Vereinzelt kommen uns Spaziergänger entgegen – so schlimm kann es also nicht sein. Später kreuzen wir eine große Zufahrtsstraße und schwenken auf einen Fußweg entlang des Flusses Nebel. Wir denken, dass auch Birgitta auf diesem Weg gepilgert ist. Denn die Türme des Doms, des Schlosses und der Kirchen tauchen im Hausdachgewirr linker Hand auf – ein mittelalterliches Bild. Der Fluss Nebel windet sich noch und leitet uns zu den Toren Güstrows.

Die Sternberger Seenplatte übertrifft unsere Erwartungen

In dem pittoresken Landstädtchen Güstrow, Geburts- und Schaffensort des Bildhauers Ernst Barlach (1870-1938), hätten wir länger verweilen wollen. Doch der Weg am Kanal entlang mit seinem naturbelassenen Ufer entschädigt uns bald. Am Ende des Weges befindet sich das Örtchen Bützow im Märchenschlaf. So wie Tessin, Laage und alle Miniatur-Orte, die wir durchwandert haben. Das ändert sich im Naturpark Sternberger Seenland nicht sonderlich. Sicher, wir begegnen öfter Individualreisenden – zu Fuß oder auf dem Fahrrad.

Später, vor der Klosterschenke Rühn, machen wir eine Rast. Uns beeindruckt die noch immer reiche Ausstattung der Kirche des ehemaligen Zisterzienserinnen-Klosters. Die Grabplatten, Putten, verzierten Logen und der Altar erzählen von Reichtum und Macht dieses Ordens. Birgitta bekam von Christus die Weisung, den Erlöser-Orden zu gründen. Wir nehmen an, dass sie auch hier in Rühn Rast während ihrer Pilgerreise gemacht hat. Denn in den neuen Vorschriften leuchtet deutlich das Ideal auf, das auch die Zisterzienser verfolgen: Liebe zur Gottesmutter und asketische Strenge. Heute saniert ein Verein das Kloster Rühn Stück für Stück.

Bild: ©Sandra Pixberg

Die Landschaft vor Güstrow wirkt märchenhaft.

Die Sternberger Seenplatte übertrifft unsere Erwartungen. Es gibt Seen in allen Variationen: wahre Wasserlöcher, aber auch große und kleine Seen – versteckt hinter Gebüsch, im Wald oder plötzlich in der offenen Landschaft. Einige eignen sich zum Baden. Der Ausblick auf den kleinen Klocksee bei Eickelberg überrascht uns nach einem Anstieg über eine prächtige Eichenallee. An den bunten Blumenfeldern mit Phacelia, Ringel- und Sonnenblumen laben sich die Insekten. In dem kleinen Ort Baumgarten übernachten wir in dem prächtigen Pfarrhaus, diesmal im eigenen Bett. Uns überkommt eine selten empfundene, tiefe Ruhe.

Die Pilgerreise wirkt noch lange nach

Wir wandern durch die alte und behutsam sanierte Landschaft des Naturparks. Ein Hügel durch Wald und Feld reiht sich an den nächsten. Schließlich entdecken wir den Turm des ehemaligen Antoniter-Klosters Tempzin hinter einem Weizenfeld. Der heute als "Pilgerkloster" genutzte Ort ist für uns das beste Argument, dass Birgitta hier tatsächlich entlang pilgerte. Er wurde im 13. Jahrhundert als Tochterkloster und Hospital der Hessischen Antoniter gegründet. Der Orden bekämpfte das Antoniusfeuer, heute als Mutterkornvergiftung bekannt.

Über Jahrhunderte mahlte man den schwarzen, schmarotzenden Pilz mit Roggen zu Mehl. Der Mensch des Mittelalters konnte sich nicht vorstellen, dass ein Teil vom Getreide giftig sein könnte. Arme Menschen ernährten sich von Roggen, die Adeligen und Geistlichen aßen Weizen. Die Vergifteten litten entsetzliche Qualen, die Arme und Beine faulten ihnen langsam ab. Die Menschen glaubten, dass die Krankheit eine Strafe Gottes sei, und es gab die Vorstellung, dass die Armen vor Gott die größeren Sünder seien, weil das Antoniusfeuer sie ereilte. Doch die Antoniterinnen schenkten diesem Aberglauben keine Beachtung. Auch Birgitta setzte sich ein Leben lang für die Armen ein. Viele der Botschaften, die sie durch Christus empfing, verurteilen die Verschwendung, Luxus, ja sogar das Leben im Komfort.         

Wir erreichen Tempzin und besichtigen das Warmhaus, das gerade für Seminare umgebaut wird. In diesem schönen Backsteinbau erfuhren die vom Antoniusfeuer Befallenen Linderung: Die Wärme, Antoniuswein und Antoniusbrot (aus Weizen hergestellt) verhalfen sogar zu Spontanheilungen. Hier, in diesen Mauern, geschahen Wunder, denken wir ehrfürchtig. Am Tag darauf nehmen wir den Zug zurück nach Hause, doch die Gespräche über die heilige Birgitta begleiten uns noch lange.

Von Sandra Pixberg

Zum Weiterlesen

Dieser Text stammt aus dem Magazin "der pilger – Magazin für die Reise durchs Leben". "Mit allen Sinnen genießen" ist ein weiteres Thema in der aktuellen Ausgabe, die bundesweit am Kiosk erhältlich ist. Mit vielen Tipps und Anregungen, wie die Sinne trainiert und anregt werden können. Weitere Beiträge in der Frühjahrsausgabe: Urban Gardening – Mach deine Stadt grüner, Unterwegs auf dem Jakobsweg Südmähren-Weinviertel, Fasten: Auszeit für Körper und Seele. Schwester Birgit aus dem Franziskanerinnen-Kloster Reute verrät, welche heilenden Kräfte in der kleinen Braunelle stecken.

Sandra Pixberg hat mit der Rügener Pastorin Ellen Nemitz den Pilgerführer "Pilgerweg der Birgitta" verfasst. Die Strecke von Lund über Rügen nach Schwerin wird in 21 Tagesetappen beschrieben. Im Pilgerführer finden sich GPS-Daten, Übernachtungsmöglich­keiten und kleine Impulse. Das Buch ist im Steffen Verlag/edition lesezeichen erschienen.