Dekan Sautermeister über die Hintergründe von drei neuen Professuren

Theologie mit Mehrwert: Wie die Bonner Fakultät neue Schwerpunkte setzt

Veröffentlicht am 12.03.2021 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 

Bonn ‐ Trotz der allgemein sinkenden Zahl an Theologiestudierenden werden an der Fakultät in Bonn gleich drei neue Professuren eingerichtet. Was das für die Ausrichtung der Theologie an der Exzellenzuniversität bedeutet, erklärt Dekan Jochen Sautermeister im katholisch.de-Interview.

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Die Katholisch-Theologische Fakultät der Universität Bonn wird größer: Gleich drei neue Professuren werden jetzt eingerichtet, wie der Dekan der Fakultät, der Moraltheologe Jochen Sautermeister, im Interview verrät. Bis 2022 sollen die neuen Professuren für "Christliche Sozialethik mit Schwerpunkt Nachhaltige Entwicklung", für "Philosophische Grundfragen der Theologie und Sozialphilosophie" und die Exzellenz-Professur für "Systematische Theologie unter besonderer Berücksichtigung gesellschaftlicher Herausforderungen" besetzt sein. Außerdem ist geplant, neue interdisziplinäre Studiengänge zunächst mit dem Ziel eines Bachelor-Abschlusses einzurichten. Sautermeister berichtet, wie es zu diesem Aufbruch an der Fakultät kam – und was Papst Franziskus mit den neuen Schwerpunkten zu tun hat.

Frage: Professor Sautermeister, in Deutschland wird gerade eher über drohende Reduzierungen der Theologie im Kontext der Konzentration von Priesterausbildungsstätten diskutiert. Wie kommt es, dass die Katholisch-Theologische Fakultät in Bonn sogar ausgebaut wird?

Jochen Sautermeister: Die Universität Bonn wurde 2018/2019 im Exzellenz-Wettbewerb mit insgesamt sechs Exzellenzclustern zur erfolgreichsten Exzellenzuniversität. Insofern die Theologien in der Exzellenzstrategie der Universität eingebunden sind, ergeben sich nun ausgezeichnete Perspektiven und Möglichkeiten der Weiterentwicklung und Profilbildung. Die Unterstützung der Universitätsleitung und die gemeinsame Dynamik und Motivation der Fakultät ist beeindruckend. Für das Rektorat und die anderen Fakultäten ist es selbstverständlich, dass eine Volluniversität wie in Bonn auch starke Theologien braucht. Das betrifft nicht nur drängende Fragen von sozialer Gerechtigkeit, interreligiösem Dialog oder Nachhaltigkeit, sondern auch grundsätzlich die Frage nach Orientierung und Sinn, die einzelwissenschaftliche Reflexionen übersteigen. Und ein weiteres: Mit der Enzyklika "Laudato si" und der Apostolischen Konstitution "Veritatis gaudium" hat außerdem Papst Franziskus klare Perspektiven angeboten, in welche Richtung sich die Theologie weiterentwickeln und welche Aufgabe die Kirche in der Gesellschaft übernehmen soll. Auch darauf wollen wir mit unseren neuen Professuren und ihren inhaltlichen Ausrichtungen antworten.

Frage: Gibt es ähnliche Aufbrüche auch in der Evangelisch-Theologischen Fakultät? Und ist das ökumenisch abgestimmt?

Sautermeister: Ja, auch die Evangelisch-Theologische Fakultät befindet sich gerade in einem spannenden Prozess. Wir haben einen intensiven Austausch über die gesellschaftlichen, wissenschaftlichen und religiösen Herausforderungen, die alle Theologien zu bearbeiten haben. Hier wollen wir eng zusammenarbeiten. Ich mache das an zwei Themen fest: einmal – geplant – beim Thema des interreligiösen und interkulturellen Dialogs, bei dem Religionen eine wichtige Rolle spielen, und dann, wie die Theologien im Blick auf die großen gesellschaftlichen Herausforderungen agieren. Hier gibt es Kooperationen in Forschung, Lehre und bei Verbundprojekten, etwa in der Resilienzforschung, in der Reflexion von Zukunftsdiskursen oder in ökumenischen Studien.

Frage: Insgesamt geht die Zahl der Theologiestudierenden zurück, nicht nur beim Priesternachwuchs. Gibt es denn bei den Studierenden Bedarf für mehr Theologie?

Sautermeister: Wir müssen die Frage beantworten, wie die Angebote des Theologiestudiums angesichts der Realität sinkender Interessenten an den klassischen Berufen in der Pastoral und in der Schule erweitert werden müssen. Wie können wir es schaffen, theologische Kompetenz und Expertise in anderen Berufsfeldern zu stärken? In vielen Berufen im Bereich von Kultur, Wissenschaft, Bildung, Medien oder der psychosozialen Gesundheit ist auch theologische Kompetenz gefragt; das bekomme ich immer wieder mit. Die gesellschaftliche Relevanz der Theologie muss sich daher auch in den Studienangeboten widerspiegeln – und solche interdisziplinären Angebote möchten wir entwickeln.

Bild: ©LMU

Jochen Sautermeister ist Inhaber der Lehrstuhls für Moraltheologie und Direktor des Moraltheologischen Seminars an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn. Zudem ist er Dekan der Fakultät.

Frage: Zielt das dann primär auf in der Kirche verwurzelte Studieninteressierte ab, die aber kein Vollstudium der Theologie anstreben, oder könnte das auch attraktiv für säkular sozialisierte junge Menschen sein?

Sautermeister: Die ersten Anfragen kommen beispielsweise aus den Geistes- und Kulturwissenschaften, aber auch aus den Wirtschaftswissenschaften. Hier und im Bereich der Geschichts- und Medienwissenschaften bekunden auch eher säkular ausgerichtete Studierende Interesse an der Theologie. Ein Beispiel neben der Kunstgeschichte sind die Medienwissenschaften mit der Frage nach inszenierter Kommunikation, dem Verhältnis von Fiktion und Wirklichkeit oder der Ritualforschung.

Frage: Der deutschsprachigen Theologie wird gelegentlich eine gewisse regionale Nabelschau vorgeworfen. Wie nehmen Sie interkulturelle Impulse aus den Theologien etwa aus afrikanischen, asiatischen oder südamerikanischen Ländern auf?

Sautermeister: Das spielt auch bei der fakultären Schwerpunktbildung und unserer Internationalisierungsstrategie eine wichtige Rolle. Uns geht es darum, bei den großen gesellschaftlichen Unklarheiten und Herausforderungen den Horizont und die Perspektive interkulturell zu weiten. Es gibt konkrete Planungen für eine Vernetzung mit anderen Universitäten und Fakultäten mit entsprechenden Schwerpunkten, auch über die verschiedenen Kontinente hinweg. In der Corona-Krise haben wir viel bei der digitalen Kommunikation dazugelernt, und die vorangeschrittene Digitalisierung ist eine gute Möglichkeit, internationale Zusammenarbeit leichter zu initiieren und zu gestalten. Wir planen aber auch, Kolleginnen und Kollegen aus der Theologie aus anderen Erdteilen und Theologiekulturen nach Bonn einzuladen, um an der Fakultät regelmäßige Angebote zu schaffen. Die Exzellenzuniversität Bonn ist hier ein erfahrener und gefragter Standort, um auch theologischerseits Eine-Welt-Themen zu adressieren.

Frage: Was kann die Theologie der Gesellschaft anbieten?

Sautermeister: In der Fakultät haben wir im vergangenen Jahr das Schwerpunktthema "Ambiguitäten – Identitäten – Sinnentwürfe" eingerichtet. Das mag zunächst etwas kompliziert und erklärungsbedürftig klingen. In Deutschland und weltweit lassen sich zunehmend Spaltungs- und Polarisierungstendenzen beobachten, nicht nur in der Politik. Mit Mehrdeutigkeiten, Unsicherheiten und Ambivalenzen umzugehen, ist nicht einfach: In der Biotechnologie oder in der Digitalisierung etwa sind Entwicklungen nicht einfach gut oder schlecht. Was in der einen Hinsicht gut ist, kann in anderer Hinsicht negative Folgen haben; das bekommen wir ja gerade sehr eindrücklich in der Corona-Pandemie mit. Und diese Ambivalenzen muss man wahrnehmen, reflektieren – ja auch aushalten können –, um zu verantwortlichen Handlungsoptionen zu kommen. Dazu kann die Theologie viel beitragen. Denken Sie an Papst Franziskus, der mit seiner Betonung von Geschwisterlichkeit und sozialer Freundschaft in der Enzyklika "Fratelli tutti" eine Möglichkeit aufzeigt, mit Ambiguitäten, mit anderen Identitäten und der eigenen Identität umzugehen, um für Menschenrechte, Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung einzutreten. "Wer sind wir, wer bin ich, wer wollen wir sein?", das sind zentrale Fragen, die von den Theologien vor dem Erfahrungsschatz ihrer religiösen Traditionen, Denkfiguren, Praktiken und Sinnentwürfe reflektiert werden. Dabei spielen Horizonte von grundlegender Orientierung und Sinn eine entscheidende Rolle. Die Theologie bearbeitet diese Fragen aus historischer, systematischer, praktischer und biblischer Perspektive im Horizont des christlichen Glaubens und ihrer konfessionellen Einbettung – wir Theologinnen und Theologen betreiben Erfahrungs-, Sinn-, Kultur- und Orientierungswissenschaft, und das wollen wir als unseren Beitrag im gesellschaftlichen und interdisziplinären Diskurs einbringen.

Von Felix Neumann