Standpunkt

Auch ohne "Kompostierhaufen": Die kirchliche Lehre muss sich ändern

Veröffentlicht am 22.03.2021 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 

Bonn ‐ Muss die Lehre der Kirche geändert werden oder sollte sie besser "kompostiert" werden? Die Debatte um Segnungen für homosexuelle Paare nach dem Nein aus dem Vatikan ist ein gutes Beispiel für diese Frage, sagt Andreas Püttmann.

  • Teilen:

HTML-Elemente (z.B. Videos) sind ausgeblendet. Zum Einblenden der Elemente aktivieren Sie hier die entsprechenden Cookies.

Die Auflösung des Dilemmas zwischen kirchlichem Wahrheitsanspruch und Korrekturen der Lehre erfolge durch "Kompostierung", fand mein katholisch-konservativer Staatsrechtsprofessor: Statt überholte Doktrinen zu widerrufen, bislang "Rechtgläubige" zu desavouieren und eigene Autorität zu riskieren, predige man einfach kaum noch darüber, kleide sie sprachlich wohlklingender ein, ergänze eine kleine Konzession, interpretiere um und lasse langsam eine neue Lehrschicht über die alte wachsen. Am Ende sei etwa vergessen, dass die Kirche früher heftig gegen die Menschenrechte opponierte.

Die Kompostierungsmethode setzt viel Geduld voraus. Öffentliche Nachfragen, ob dies oder jenes erlaubt sei und was genau gelte, unterbrechen den Gärungsprozess und decken die schon etwas übel riechende Schicht unter der neueren wieder auf. So nun die römische "Note" zum Segen für gleichgeschlechtliche Paare.

Den Vertretern kirchlicher Erneuerung im Dialog mit der säkularen Welt werfen Bewahrer gern Opportunismus vor. Ihren eigenen erkennen sie nicht. Eine sich korrigierende Kirche gilt ihnen als so inopportun, dass manche in Doppelzüngigkeit verfallen. Ein einflussreicher konservativer Theologe verblüffte mich bei einer privaten Tour d’Horizont katholischer Streitfragen mit der Aussage, bei der Lehre zur Homosexualität reiche kein Neuanstrich der Fassade, da müsse man humanwissenschaftliche Erkenntnisse rezipieren und grundlegend neu denken. Das öffentlich zu sagen bei seinen häufigen Wortmeldungen, hütet er sich. Wer es zum Helden der Bewahrerpartei gebracht hat, ruiniert seinen Ruf doch nicht durch die Redlichkeit des Zweifels!

2019 erschien eine opulente soziologische Studie in acht Sprachen über das rege schwule Klerikerleben im Vatikan. Zuvor hatte schon die Glaubenskongregation selbst per Coming Out eines langjährigen Mitarbeiters einen Whistleblower hervorgebracht, der die bizarre Verquickung von Homosexualität und Homophobie in der Kirchenelite bezeugte. Da gehört schon Chuzpe dazu, nun "Verbindungen von Personen gleichen Geschlechts" als mit den "Plänen Gottes" unvereinbar, sündhaft und segensunfähig abzuqualifizieren. Eine Kirche, die sich hier nicht wenigstens ehrlich macht, im Blick auf menschliche Opfer ihrer Rigidität in Demut übt und zu lernen bereit ist, verabschiedet sich aus dem rationalen Diskurs freier Gesellschaften und der Wissenschaften. Dass neben zahlreichen Theologen, Seelsorgern und Laiengremien nun auch etliche Bischöfe der Copy-and-Paste-Verlautbarungstheologie zu dieser Frage widersprechen, rettet ein Stück Glaubwürdigkeit unserer Kirche als Raum aufrichtiger Gewissenskultur.

2018 änderte der Papst den Katechismus. Die Kirche lehre nun "im Licht des Evangeliums" und einem "heute wachsenden Bewusstseins dafür" folgend, dass "die Todesstrafe unzulässig ist, weil sie gegen die Unantastbarkeit und Würde der Person verstößt". Geht doch! Auch ohne Kompostierhaufen. Könnte man so ähnlich übernehmen. Zur Menschenwürde gehört das Liebenkönnen allemal.

Von Andreas Püttmann

Der Autor

Andreas Püttmann ist Politikwissenschaftler und freier Publizist in Bonn.

Hinweis

Der Standpunkt spiegelt ausschließlich die Meinung der jeweiligen Autorin bzw. des Autors wider.