Pater Philipp König über das Evangelium am Ostersonntag

"Er ist weg!" Warum wir Gott verlieren müssen

Veröffentlicht am 03.04.2021 um 17:45 Uhr – Lesedauer: 
Ausgelegt!

Frankfurt am Main ‐ Ende gut, alles gut? Pater Philipp König hat keine einfachen Antworten auf die Krisen unserer Zeit. Was ihm aber hilft, ist der Blick auf die österliche Apostelin Maria Magdalena: Als alle weggehen, harrt sie suchend in der vermeintlichen Gottesferne des Gartengrabes aus – und lässt sich finden.

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Impuls von Pater Philipp König

In diesem Jahr sticht für mich ein Satz aus dem Osterevangelium besonders hervor. Maria Magdalena sagt ihn gleich mehrmals, zunächst zu den Jüngern, dann zu den zwei Engeln und später etwas abgewandelt zu Jesus selbst, den sie für den Gärtner hält: "Sie haben meinen Herrn weggenommen."

Verzweiflung und blankes Entsetzen sprechen aus diesen Worten! Gerade erst hatte Maria mit ansehen müssen, wie Jesus qualvoll am Kreuz verendet. Mit ihm starben all ihre Träume, alle ihre Hoffnungen musste sie begraben. Und jetzt hatte man auch noch seinen Leichnam weggenommen. Nicht einmal in Ruhe trauern und um ihn weinen durfte sie.

Gott ist weg!

Ich habe Eindruck, als seien diese Worte genau in unsere Situation hineingesprochen! Zu Ostern 2021 grassiert das Coronavirus noch immer. Die Menschen sind erschöpft, nervös, verwundet. Ich kenne niemand, dem diese Lage nicht schwer zusetzt, ob wirtschaftlich, psychisch oder auch religiös. Viele haben gerade jetzt größte Schwierigkeiten, zu beten und sie können und wollen Gottes Wege nicht verstehen.

In den letzten Wochen wurde zudem überdeutlich, wie unwiederbringlich unsere Kirche an Glaubwürdigkeit eingebüßt hat. Das Ausmaß der Skandale und die mangelnde Aufarbeitung von sexualisierter Gewalt verschlägt einem die Sprache und erfüllt einen mit Scham. Selbst langjährige treue Gläubige überlegen ernsthaft, ob sie bleiben oder gehen. Viele haben sich schon längst verabschiedet, oft verbunden mit tiefen Verletzungen, oft ganz leise und schleichend. Mich lässt das nicht kalt.

Die Kirche: ein Trümmerhaufen? Die Gläubigen: innerlich zerrissen. Wo bleibt Gott in alldem? Hat Gott seine Kirche verlassen? Hanns Dieter Hüsch ließ bereits 1988 in seinem Gedicht "Religiöse Nachricht" verlauten, "Gott sei aus der Kirche ausgetreten". Satirisch zugespitzt, aber dennoch bedrängend aktuell!

Maria sucht Jesus. Immer wieder!

Ich habe keine einfachen Antworten auf die Krise(n)! Aber mir hilft in diesem Jahr der Blick auf Maria Magdalena, wie sie uns im Evangelium vom leeren Grab vorgestellt wird. Sie sucht nach Jesus, ist allerdings zunächst fokussiert auf Jesu Leichnam. Sie sucht ihn immer wieder, auch dann noch, als die Jünger schon längst wieder abgehauen sind. Von welcher Liebe muss sie erfüllt gewesen sein! Und welches todsichere Vertrauen wurde ihr da abverlangt!

An diesem Osterfest möchte ich mir an Maria ein Vorbild nehmen und mir ihre tiefe Trauer darüber zu eigen machen, dass Jesus uns genommen ist. Wenn nötig will ich mit Maria durch den Garten irren, verstört und verwirrt, und mehrmals in das leere Grab hineinschauen, um zu realisieren: "Er ist nicht hier." Ostern bedeutet auch, dass wirklich etwas an sein Ende gekommen und unwiederbringlich verloren ist. Erst dann kann etwas Neues blühen. Was heißt das für mich? Was heißt das für unsere Kirche, die sich in Schockstarre befindet?

Christus verlieren – und von ihm gefunden werden!

Vielleicht gilt es gerade jetzt, die Erfahrung der Gottesferne radikal ernstnehmen, ohne allzu schnell in das Osterhalleluja überzuwechseln: "Um ihn wiederfinden zu können, erstaunlich lebendig und unerwartet nahe, müssen wir Christus verlieren. Wir müssen Gott gehen lassen, von ihm verlassen werden, über seine Abwesenheit trauern, damit wir entdecken können, dass er uns näher ist, als wir uns je vorstellen konnten." (Timothy Radcliffe)

Vielleicht ist es jetzt dran, in der Zumutung, dass Jesus uns genommen ist, wieder eine Grunderfahrung unseres Osterglaubens zu verstehen. Vielleicht ist es gerade für uns heute heilsam und notwendig, Gott zu "verlieren", um ihn dann wiederfinden zu können – besser: um von ihm auf neue Weise wiedergefunden zu werden!

Von P. Philipp König OP

Aus dem Evangelium nach Johannes (Joh 20,1–18)

Am ersten Tag der Woche kam Maria von Magdala frühmorgens, als es noch dunkel war, zum Grab und sah, dass der Stein vom Grab weggenommen war. Da lief sie schnell zu Simon Petrus und dem anderen Jünger, den Jesus liebte, und sagte zu ihnen: Sie haben den Herrn aus dem Grab weggenommen und wir wissen nicht, wohin sie ihn gelegt haben.

Da gingen Petrus und der andere Jünger hinaus und kamen zum Grab; sie liefen beide zusammen, aber weil der andere Jünger schneller war als Petrus, kam er als Erster ans Grab. Er beugte sich vor und sah die Leinenbinden liegen, ging jedoch nicht hinein.

Da kam auch Simon Petrus, der ihm gefolgt war, und ging in das Grab hinein. Er sah die Leinenbinden liegen und das Schweißtuch, das auf dem Haupt Jesu gelegen hatte; es lag aber nicht bei den Leinenbinden, sondern zusammengebunden daneben an einer besonderen Stelle.

Da ging auch der andere Jünger, der als Erster an das Grab gekommen war, hinein; er sah und glaubte. Denn sie hatten noch nicht die Schrift verstanden, dass er von den Toten auferstehen müsse. Dann kehrten die Jünger wieder nach Hause zurück.

Maria aber stand draußen vor dem Grab und weinte. Während sie weinte, beugte sie sich in die Grabkammer hinein. Da sah sie zwei Engel in weißen Gewändern sitzen, den einen dort, wo der Kopf, den anderen dort, wo die Füße des Leichnams Jesu gelegen hatten.

Diese sagten zu ihr: Frau, warum weinst du? Sie antwortete ihnen: Sie haben meinen Herrn weggenommen und ich weiß nicht, wohin sie ihn gelegt haben. Als sie das gesagt hatte, wandte sie sich um und sah Jesus dastehen, wusste aber nicht, dass es Jesus war.

Jesus sagte zu ihr: Frau, warum weinst du? Wen suchst du? Sie meinte, es sei der Gärtner, und sagte zu ihm: Herr, wenn du ihn weggebracht hast, sag mir, wohin du ihn gelegt hast! Dann will ich ihn holen.

Jesus sagte zu ihr: Maria! Da wandte sie sich um und sagte auf Hebräisch zu ihm: Rabbuni!, das heißt: Meister. Jesus sagte zu ihr: Halte mich nicht fest; denn ich bin noch nicht zum Vater hinaufgegangen. Geh aber zu meinen Brüdern und sag ihnen: Ich gehe hinauf zu meinem Vater und eurem Vater, zu meinem Gott und eurem Gott.

Maria von Magdala kam zu den Jüngern und verkündete ihnen: Ich habe den Herrn gesehen. Und sie berichtete, was er ihr gesagt hatte.

Der Autor

Pater Philipp König gehört dem Dominikanerorden an und arbeitet als Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Patristik und Antikes Christentum an der Hochschule Sankt Georgen in Frankfurt/Main. Außerdem ist er als Postulatsleiter in der Ordensausbildung tätig.

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