Himmelklar – Der katholische Podcast

Alltag und doch ganz anders: Seelsorge auf der Ferieninsel Norderney

Veröffentlicht am 02.06.2021 um 00:30 Uhr – Lesedauer: 

Köln ‐ In der Regel lebt ein Gemeindeleben von den Anwohnern vor Ort – doch auf Norderney ist das anders. Die beliebte Urlaubsinsel beherbergt zahlreiche Gäste, die auch das Gemeindeleben prägen – das zudem ohne einen festen Priester auskommen muss.

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Norderney ist keine Gemeinde wie andere: Zu den Katholiken am Ort kommen zahlreiche Urlauber mit ganz unterschiedlichen Geschichten, Fragen und Bedürfnissen. Seit Jahren ist für sie alle Diakon Markus Fuhrmann der Ansprechpartner. Er leitet die Gemeinde auf der Urlaubsinsel, seine Frau ist in der Caritas aktiv. Im Interview erzählt er von seinen besonderen Aufgaben und der Gemeindeleitung in Familienhand.

Frage: Sie sind seit 2014 als Seelsorger auf Norderney, seit 2019 zudem Pfarrbeauftragter, das heißt es gibt keinen festen Priester für die Gemeinde, aber viele Ehrenamtliche, die gemeinsam mit Ihnen und Ihrer Frau, die für die Caritas arbeitet, das Gemeindeleben aufrecht erhalten. Das ist ein relativ ungewöhnliches Gemeindemodell. Wie kam das zu Stande?

Fuhrmann: Durch eine Bewerbung – und durch die Zeit. Wir sind beide aus dem Ruhrgebiet und waren da auch tätig – meine Frau an der Universität, ich dort beim Bistum Essen. Wir hatten zwei Kinder und haben 2012/2013 überlegt: Wo geht die Reise hin? Was wollen wir eigentlich machen?

Meine Frau suchte auch eine neue Stelle, weil ihre Stelle auslief. Dann kam die Idee: Wir gucken mal, was wir gemeinsam als Theologen-Ehepaar und Seelsorger in den Ring werfen können und haben geschaut: Wo gibt es denn noch interessante Dinge? Wir sind auf das Bistum Osnabrück gekommen, gar nicht auf Norderney. Da waren wir wie viele andere vorher im Urlaub und hatten die Idee, obwohl das ja was ganz anderes ist. Dann kam es dazu, dass wir uns beim Bistum Osnabrück initiativ beworben haben, gar nicht mit dem Fokus auf die Insel.

Beim gemeinsamen Vorstellungsgespräch, – das war schon tatsächlich ungewöhnlich, das hatten wir auch noch nicht als Ehepaar – wurde gesagt: Wir haben da Norderney als Insel. Da wechseln die Stelleninhaber und wir finden: Da passt gut eine Familie hin. So ist es dazu gekommen.

Frage: Sie haben es gesagt, dass es ein bisschen anders als das Gemeindeleben im Bistum Essen gewesen ist. Wie unterscheidet sich das denn?

Fuhrmann: Wir haben hier sehr viele Menschen, die nur ein paar Tage auf der Insel sind, die dann einmal im Gottesdienst sind, und dann sieht man sie wieder nicht, weil der Urlaub vorbei ist. Es gibt viele Menschen, die hier als Saison-Arbeiterinnen und -arbeiter hinkommen und einfach einen Teil ihres Arbeitsjahres hier verbringen und dann wieder gehen. Es gibt Menschen, die haben hier einen Zweitwohnsitz, die in regelmäßigen Abständen wieder hier hinkommen und auch am Gottesdienst und am Gemeindeleben teilnehmen. Und wir haben auch fünf Rehakliniken. Das ist noch mal besonders – da sind Menschen, die einfach hier zur Rehabilitation sind, zur Vorsorge.

Das macht einfach eine bunte Mischung aus, die man auf so kleinen Raum in der Großstadt, denke ich, nicht hat. Dann noch der abgeschlossene Bereich durch die Insel im Weltnaturerbe Wattenmeer. Das ist schon was ganz Besonderes.

Frage: Aber Sie haben keinen Priester, der in der Gemeinde sitzt. Holt man sich den dann einfach immer rüber, wenn man den braucht oder wie funktioniert das?

Fuhrmann: Als wir anfangs hier hinkamen, war es noch so, dass der Pfarrer im Ort Norden auf dem Festland tatsächlich auch Pfarrer für die Inseln war, die zur Pfarreiengemeinschaft Küste gehören. Dazu gehören noch Langeoog, Baltrum, Juist, Spiekeroog und Norderney. Langeoog, Juist und Norderney waren immer hauptamtlich besetzt – das war so, dass der Pfarrer rüber kam. Aber schon seit über zehn Jahren gibt es hier keinen eigenen Pfarrer mehr auf Norderney. Das war eine Entscheidung des Bistums Osnabrück, eben anhand der Zahlen auch zu sagen: Wir setzen auf den Inseln keinen dauerhaften Pfarrer ein.

Wir arbeiten mit Gastpriestern, also mit Priestern, die hier in unserem Gastapartment Ferien machen und dafür die priesterlichen Dienste übernehmen. Damit haben wir sehr gute Erfahrungen gemacht. Wir haben nicht das ganze Jahr einen Priester hier, der mitarbeitet, aber doch große Strecken des Jahres. Wenn ich auf unseren Kalender schaue, könnten wir manchmal drei, vier oder fünf Menschen aufnehmen, aber so viel Platz haben wir nicht.

Bild: ©Katja Brandt/Adobe-Stock/Sergei

Diakon Markus Fuhrmann leitet die Gemeinde auf der Insel Norderney

Frage: Priestermangel gibt es ja im ganzen Land. Könnten sich die Gemeinden auf dem Festland etwas von Ihrem Modell abschauen? Oder funktioniert das nur in dieser speziellen Situation auf Norderney?

Fuhrmann: Das funktioniert, glaube ich, nur durch Norderney. Also wenn man Norderney sagt, das ist für viele einfach ein Magnet.

Wir haben ja fast eine halbe Million Gäste im Jahr hier – die Zahlen waren zumindest noch vor Corona so. Das ist ein Magnet, der zieht Leute an, von überall her, aus ganz Deutschland. Unsere Gastpriester kommen auch aus ganz Deutschland. Die Gemeinde hat tatsächlich den Luxus, dass sie – vielleicht nicht jeden Sonntag, aber doch jeden zweiten Sonntag jemand anderes predigen hört. Wer hat das heute schon? Ja, das ist natürlich sehr abwechslungsreich.

Frage: Ist das ein Luxus? Ich könnte mir das auch als Einschränkung vorstellen, wenn man nicht einen Geistlichen hat, der die Gemeinde kennt und der sich auf die Leute einstellen kann. Fuhrmann: Es ist einfach so, dass jeder sein Talent mitbringt und seine Persönlichkeit einbringt – das macht es eben so bunt und abwechslungsreich, wie die Insel durch die Gäste ist. Die meisten Gastpriester kommen eigentlich jedes Jahr wieder. Das hat natürlich auch den Vorteil, dass sie die Menschen kennen. Ich glaube, das ist grundsätzlich für die Seelsorge in der gegenwärtigen Zeit und auch in den nächsten Jahren wichtig, dass wir diese Räume nicht immer größer ziehen, sondern ich muss die Leute noch kennen können. Das ist hier auf einer Insel gegeben.

Das sagen mir viele Priester, die sieben, acht, neun, zehn Gemeinden haben. Ich denke an jemanden, der aus der Eifel kam, der hatte acht Dörfer mit, ich weiß nicht, 17 Kirchen. Die waren zu zweit da und er sagte: Mensch, ich schaffe das überhaupt gar nicht, jemanden kennenzulernen. Das ist natürlich hier anders.

Frage: Sie und Ihre Frau sind ja auch noch da, die sich um die Gemeinde kümmern.

Fuhrmann: Genau. Ich bin offiziell, wie auch die beiden Kolleginnen auf Juist und Langeoog, – Pfarrbeauftragter im Bistum Osnabrück. Der hat die Gemeindeleitung inne, zusammen natürlich mit einem moderierenden Priester, der auf dem Festland ist. Meine Frau ist zuständig für die vier Häuser des Caritas-Gesundheitszentrums hier auf Norderney. Es gibt zwei Reha-Kliniken und zwei Gästehäuser. Wir machen das hier zusammen mit der Gemeinde, mit dem Kirchenvorstand, mit dem Pfarrgemeinderat. Das haben wir auch. Das muss man auch sagen, das ist auch besonders. Wir sind eigenständig und haben die Gremien besetzt. Die Leute arbeiten mit. Das ist für die Insulaner hier, also für die Katholiken, ihre Kirchengemeinde – und die identifizieren sich auch damit.

Frage: Nun ist es ja eigentlich Standard, dass ein zölibatär lebender Priester eine Gemeinde leitet, unter anderem auch, um sich komplett der Gemeinschaft widmen zu können. Sie leben mit Ihrer Familie im Pfarrhaus, das ist ja fast schon ein evangelisches Modell. Was denken Sie persönlich aus Ihrer Erfahrung: Geht es auch ohne Zölibat?

Fuhrmann: Ich für mich kann sagen: Das funktioniert gut. Das ist aber eine grundsätzliche Entscheidung. Das ist auch ein Stück eine Lebensentscheidung, ob ich so eng mit Kirche und Gemeinde leben will. Wir haben vier Kinder. Die kennen das natürlich nicht anders. Letztlich kann so etwas wie dieses Modell hier nur funktionieren, wenn man sich in dem Fall als Ehepaar einig ist, dass man so etwas will. Das spricht weder für noch gegen Zölibat. Ich halte das für eine Lebensform, die, wenn das zu der Person passt, wunderbar ist, genauso wie die Ehe. Das würde ich nicht gegeneinander ausspielen wollen.

Der Vergleich zum evangelischen Pfarrhaus ist schwierig, glaube ich, weil oft auch heute noch erwartet wird, dass der Ehepartner oder die Ehepartnerin, die nicht im Dienst ist, quasi ehrenamtlich mitarbeitet. So kenne ich das wenigstens – und das ist bei uns beiden ja nicht der Fall. Wir sind ja beide beim Bistum Osnabrück als Seelsorgerin und Seelsorger dabei. Das ist noch mal ein Spezialfall. Da gibt es aber auch nicht wenige von. Also wir kennen viele Ehepaare, die Gemeinde-/Pastoralreferenten sind – und beide auch in der Seelsorge tätig. Ich glaube, das ist ein Modell, da kann die Kirche noch etwas von lernen und das vielleicht als Ressource nutzen und hingucken, welche Talente und Begabungen da noch eingebracht werden können.

Von Renardo Schlegelmilch