In Stufen entwickelt sich der Glaube weiter

Was bleibt, wenn der Kinderglaube erwachsen wird

Veröffentlicht am 25.09.2021 um 12:00 Uhr – Lesedauer: 

Bonn ‐ Gottesbilder verändern sich im Leben. Der naive Kinderglaube vom alten Mann mit Rauschebart tritt zurück – doch was kommt danach? Einen Blick auf Glaubensbilder im Verlauf des Lebens und worauf man im entscheidenden Moment zurückgreifen kann, wirft Eckhard Raabe in seinem Gastbeitrag.

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Was wurde bloß aus dem alten Mann mit Bart, von dem wir in unserer Kindheit gehört haben? Wohin ist er verschwunden? In unseren Hinterkopf, jederzeit bereit wieder einzuspringen, wenn abstraktere Gottesbilder nicht weiterhelfen? Den Gott der Kindheit mit seiner immerwährenden Möglichkeit, direkt ins Geschehen einzugreifen, haben wir ihn wirklich so gründlich abgeschafft, dass unsere Welt ganz autonom funktioniert? Was bleibt vom Kinderglauben, wenn man auch in Glaubensfragen erwachsen wird?

"Der Gottessohn ist nach seiner Auferstehung in den Himmel aufgefahren, senkrecht hoch, mit magischen Kräften." So jedenfalls lernen es die Kleinen durch die barocken Gemälde in den Kirchen und in den Erzählungen der Großeltern. "Opa, wie hat Jesus das gemacht? Hatte er einen Düsenantrieb?" Und Opa antwortet hilflos: "Das weiß ich auch nicht, aber es war so." Zurück bleiben in der kindlichen Vorstellungswelt der Düsenantrieb, der Himmel als Zielpunkt, ganz weit oben, und dass das zu glauben ist, nicht zu verstehen.

Nehmen wir das Gebet. Es spielt für das Kind in frommen Familien eine besondere Rolle. Nicht nur morgens, mittags und abends, auch zwischendurch ist Gott der Ansprechpartner für kindliche Wünsche: "Lieber Gott mach, dass meine Oma wieder gesund wird." "Lieber Gott, hilf meiner Schwester bei der Klassenarbeit." "Lieber Gott mach, dass uns der Hagel nicht trifft." Bittgebete, die im Kinderglauben den lieben Gott bei seinen tagtäglichen Eingriffen in den Ablauf hier auf Erden manipulieren sollen, gehören zum Alltag, zum eigenen Nutzen versteht sich.

"Das musst du einfach glauben!"

Noch ein Beispiel: Der Glaube selbst. Wem sitzt der Satz "Das musst du einfach glauben!" nicht noch in den Knochen? Mit diesem Satz wurde das endlose kindliche Nachfragen beendet: "Papa, wieso ist Jesus nicht untergegangen, als er auf dem Wasser ging?" oder "Mama, wieso kannst du nicht wie Jesus aus dem Brötchen zehn machen?" Nach hilflosen Erklärungsversuchen und etlichen, hartnäckigen Nachfragen des Kindes endete das Gespräch mit dem "Das musst du einfach glauben! Basta!" Glauben als etwas, was keinem akribischen Nachfragen standhält. Glauben als Nicht-Wissen. Glauben als Irgendwas jenseits der Vernunft.

In Stufen entwickelt sich der Glaube weiter. Die je höhere löst die früheren, schlichteren im Laufe der kindlichen Entwicklung ab und begleitet so die wachsende Reife eines Individuums. Anthropomorphe Gottesbilder weichen abstrakteren. Der Glaube wird vernünftiger. Diese Entwicklung gilt als irreversibel. Die kindlichen Glaubensinhalte bleiben auf den Stufen der Entwicklung auf der Strecke. Gottes Übergriffe in den menschlichen Alltag zum Beispiel, das Verlassen seiner göttlichen Sphäre, um am Rad der Geschichte zu drehen, erscheint schon mit 12 Jahren nicht mehr plausibel: "Wieso macht Gott meine Oma gesund und meine Tante nicht?" "Weshalb hat meine Schwester wieder mal nur 3 Punkte in der Klassenarbeit?" "Wieso hat der Hagel unser Auto zerbeult?" "Hat Gott die Gebete nicht gehört, wieso nicht erhört oder habe ich selbst Schuld, dass er sie nicht erhört hat?" Die Fragen bleiben bis ins hohe Erwachsenenalter unbeantwortet und Gottes Position in der Kausalitätskette unseres Alltags bleibt fraglich. Ist Gott tot?

Bild: ©Adobe Stock

In Stufen entwickelt sich der Glaube weiter. Die je höhere löst die früheren, schlichteren im Laufe der kindlichen Entwicklung ab und begleitet so die wachsende Reife eines Individuums.

Wie verhält es sich nun mit der Entwicklung unseres (Gottes-)Glaubens, kommen wir damit wirklich voran? Denken wir Gott nicht viel eher mal so, mal so. Mal als den sich kümmernden, ansprechbaren Gott und gleichzeitig spüren wir die Gottesferne und das Geworfensein auf uns selbst in postmodernen Zeiten?

Sehnsucht und Erkenntnis

Die moderne bzw. postmoderne Theologie versucht, beides miteinander zu verbinden: Unsere Sehnsucht nach einem ansprechbaren Gegenüber und die Erkenntnis Gottes als etwas Abstraktes, Gott als Person und Prinzip zugleich. Ein Gott, der in der Liebe wird, der im Dazwischen seine Form der Existenz findet; ein Gott, der nicht mehr im Irgendwo der Transzendenz zu suchen ist, sondern in der Tiefendimension unserer Welt. Dieser Gott ist nicht mehr so leicht ansprechbar wie der anthropomorphe Kindergott. Mit dem Gott der Postmoderne nehmen die Dinge erst mal ihren Lauf und wir sind ohnmächtig, auch wenn die Macht im Kinderglauben nur von Gott geliehen war. Die Welt funktioniert autonom, irgendwie kalt, ohne die Chance für ein Eingreifen Gottes als eine höhere, gerechtere Macht.

So bleibt der Kindheitsglaube traurig zurück und wird durch Rationalität in Schach gehalten. Dennoch ist in der Volksfrömmigkeit der Kinderglaube nie ganz verschwunden und auch das Tun-Ergehen-Schema irgendwie überall präsent. In der Pädagogik hat es mancherorts immer noch seinen festen Platz: "Wenn Gott das sieht…" Auch in der Geschichte der Menschheit sollte das Tun-Ergehen-Schema, das schon im Buch Hiob fraglich erscheint, längst überwunden sein, taucht dann aber doch wieder auf, wenn Menschen sich in der Coronakrise fragen: "Wieso lässt Gott das zu?"

Bild: ©picture alliance/PIXSELL/Zarko Basic

Der kindliche Glaube bleibt und er bleibt in unserer – ach so – vernünftigen Vorstellungswelt immer noch von Bedeutung.

Der kindliche Glaube bleibt und er bleibt in unserer – ach so – vernünftigen Vorstellungswelt immer noch von Bedeutung. Wir wissen, dass kein Mensch ohne den entsprechenden Düsenantrieb senkrecht nach oben fliegen und die Naturgesetze überlisten kann. Doch dann hoffen wir insgeheim auf diesen Gottessohn mit Superkräften, der uns so lieb geworden ist, gerade wenn es hart auf hart kommt und die Not groß ist: In Krisen, in Krankheiten und am Ende im Sterben. Wenn wir schwach sind, dann holen wir den starken Gott aus unserer Erinnerungskiste heraus und flehen ihn an. Wenn es um Leben und Tod geht, fangen wir an zu glauben wie ein Kind. Moderne Glaubensweisen scheinen in Stresssituationen ihre Tragfähigkeit einzubüßen, die kindlichen dagegen bestehen den Stresstest eher.

Der Kinderglauben besteht den Stresstest

Was bleibt also vom Kinderglauben? Eine ganze Menge. Die Geborgenheit oder die Hoffnung auf ein gutes Ende. Die Nähe zu dem Mann aus Nazareth, der so menschlich Göttliches in die Welt gebracht hat und die Nähe zu diesem was auch immer, was es ist und wie es wirkt. Die Suche nach ihm oder ihr. Das Drängen.

Wie müssen lernen, mit dem Kinderglauben zu leben und ihn lieb zu haben. Vielleicht ist es so: Das Kind in mir will glauben wie früher, der Erwachsene kann es noch nicht. Wer in dieser Zerrissenheit auf sein inneres Kind hört, der ist im Kern immer noch gut beraten. Denn der Gott der Kinder und der Gott von uns Erwachsenen ist ein und derselbe.

Von Eckhard Raabe

Der Autor

Eckhard Raabe ist katholischer Theologe, Pädagoge und Journalist. Er arbeitet seit über 30 Jahren in der kirchlichen Medienarbeit der Diözese Rottenburg-Stuttgart, ist verheiratet und hat zwei Töchter. Zuletzt erschien von ihm: "Was ich glaub(t)e", herausgegeben von der Fachstelle Medien der Diözese Rottenburg-Stuttgart. Annika Werner, von der die Illustrationen in dem Büchlein "Was ich glaub(t)e" stammen, ist Volontärin der Stabsstelle Mediale Kommunikation der Diözese Rottenburg-Stuttgart.