Gedanken zum Weihnachtsfest von Jesuit Fabian Retschke

"Alles wird gut": Zwischen billiger Floskel und echtem Trost

Veröffentlicht am 25.12.2021 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 
#jetzthoffnungschenken

Bonn ‐ Das diesjährige Weihnachtsfest steht im Zeichen der hohen Corona-Infektionsraten. Da fällt es schwer, Trost zu finden, ein schnell dahingeworfenes "Alles wird gut" hilft selten. In seinem Gastbeitrag macht sich der Jesuit Fabian Retschke auf die Suche nach ehrlichem Mutmachen.

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"Ich würd dir gerne deine Angst nehm'n, alles halb so schlimm
Einfach sagen, diese Dinge haben irgendeinen Sinn
[…]
Ich wär gerne voller Zuversicht
Jemand, der voll Hoffnung in die Zukunft blickt
Der es schafft, all das einfach zu ertragen."

Mit diesen Versen beginnt "Der letzte Song" des Chemnitzer Solomusikers "Kummer", den er vor wenigen Wochen veröffentlicht hat. Er leitet damit das Ende seiner Solokarriere ein, die 2019 mit einer Kreativpause seiner Band "Kraftklub" begonnen hatte und kurz danach wohl wie jede künstlerische Bühnenarbeit unter der Pandemie gelitten haben dürfte. Genauso scheinwidersprüchlich wie sein bürgerlicher Name Felix (lat. "Der Glückliche") Kummer geht der Liedtext wenig später weiter:

"Ich würd dir eigentlich gern sagen:
Alles wird gut
Die Menschen sind schlecht und die Welt ist am Arsch
Aber alles wird gut

Das System ist defekt, die Gesellschaft versagt
Aber alles wird gut
Dein Leben liegt in Scherben und das Haus steht in Flamm'n
Aber alles wird gut
Fühlt sich nicht danach an, aber alles wird gut".

Das ganze Lied ist eine keineswegs ironische Schlussbemerkung zu einem künstlerischen Auftritt, der mitten in der Flut oberflächlicher Mutmachbotschaften aus der Popmusikindustrie mit den Mitteln des Pop eine Gegendarstellung wagt. Kummer singt: "'Glaub an dich, geh dein'n Weg', schaff' ich einfach nicht zu schreiben. Tut mir leid, keine Sätze, die dich aufmuntern zum Schluss." Er will nicht trösten, noch weniger vertrösten oder gar vortäuschen. Doch der Künstler "Kummer" dürfte wissen, was als Ohrwurm bleibt, wenn man sich den Song anhört: Die markante Stimme seines Ko-Sängers Fred Rabe (von "Giant Rooks"), der singt: "Aber alles wird gut". In ein und demselben Lied gelingt es "Kummer", die Schwierigkeit, die in diesen vier Worten steckt, aufzuzeigen und sie durch die ständige, eingängige Wiederholung sofort wieder ins Werk zu setzen.

Ein kleiner Geniestreich? In jedem Fall raffiniert, wie ich finde. Und die Kommentarspalten zum Youtube-Video des Songs bestätigen: Der Song, der nicht trösten will, weil ihm "alles wird gut" zu billig sein soll, er tröstet. Menschen fühlen sich verstanden, "abgeholt" und können sogar weinen. 

"Alles wird gut" kann jeder sagen

Zunächst: "Alles wird gut", das kann jeder sagen und das sagen auch sehr viele und das darf man auch noch sagen. Wenn eine Mutter ihr gerade gestürztes und nun weinendes Kind in die Arme nimmt und ihm sagt: "Alles wird gut", dann ist das eingebettet in die behütende Geste und sagt unausgesprochen noch viel mehr, etwa: "Du hast dir wehgetan, das tut jetzt bestimmt weh und ich teile mit dir den Schmerz, der jetzt alles andere zu überwiegen scheint, doch glaub mir, bald schon wirst du auch wieder andere Gefühle zulassen können, sodass du sagst: Es ist wieder gut."

Bild: ©picture alliance/PantherMedia/Andriy Popov

"Alles wird gut", das kann jeder sagen und das sagen auch sehr viele und das darf man auch noch sagen.

Für gewöhnlich taugen diese Worte nur deshalb zum Trost, weil ihre Absicht und die Beziehung zum Menschen, der sie sagt, viel wichtiger sind als die Aussage an sich. Doch in manchen Situationen wirkt ein schnell hingeworfenes "Alles wird gut" unangebracht oder geradezu verletzend. Wer damit eine Verlegenheit überspielen will, wischt schnell das Mitgefühl weg und pflastert mit einem unbeholfenen Mantra die unangenehme Seite der Wirklichkeit zu. Davon spricht ja "Kummer". Die Worte taugen dann gar nichts mehr, gerade wo sich aus Erfahrungen von Schmerz und Einsamkeit oft Misstrauen und Ernst entwickeln, was Trost zumindest anspruchsvoller macht. Was ist das Überlebenstaugliche an diesem einen Satz? Nehmen wir ihn auseinander. 

"Alles" – Das kann nicht das ganze Universum und seine zeitliche Ausdehnung umfassen. Denn niemand, der "alles" sagt, kann dieses "Alles" überblicken. Außerdem geht es nie um dieses "Alles", weil das selbst die Vorstellungskraft übersteigt. Vom "Weltschmerz" halte ich nicht viel, das ist pathetisch. Wer sagt, "Alles ist furchtbar", drückt damit vielleicht aus, dass in diesem Moment so viele Dinge belasten, dass eine einzelne Ursache nicht benannt werden kann. Darum geht es also: Dein Alles, deine Wahrnehmung der Dinge und darum deine Einstellung zum Leben.

Die Zukunft ist für uns nicht vorhersehbar

"Wird" – Die Zukunft ist für uns nicht vorhersehbar, allein schon, weil es sie noch nicht gibt. Manche Aussichten sind wahrscheinlicher als andere, das liegt an Gesetzmäßigkeiten. Solange es Freiheit gibt, ist die Zukunft einigermaßen offen. Wie aber die Vergangenheit, die wir nicht ändern können, in der Zukunft "gut" werden soll, ist fraglich.

"Gut" – Der biblische Schöpfergott blickt auf sein Werk unter den Bedingungen des paradiesischen Ursprungszustandes und nennt es mehrfach "gut". Was dann daraus geworden ist, verdient aber auch aus menschlichem Standpunkt nicht in jedem Fall diese Auszeichnung, ganz gleich, wem man dafür die Verantwortung geben will. Ist das Projekt deshalb dem Scheitern (zu) überlassen? Nicht zwingend. Denn woher nähmen wir den Anspruch, dass alles "gut" sein müsste, solange es uns selbst bei allem Bemühen nicht immer gelingt, nur "gut" zu sein? Es ist aber bis jetzt gar nicht klar, warum das Leben nur zumutbar sein sollte, wenn alles gut ist.

Bild: ©Privat

Der Jesuit und Theologe Fabian Retschke studiert derzeit an der Päpstlichen Universität Javeriana in Bogotá, Kolumbien.

Alle drei Bestandteile dieses Satzes drücken eine Hoffnung aus, die über die menschlichen Möglichkeiten hinausgeht. "Alles wird gut" enthält also eine theologische Anfrage. Trifft es im Kern die christliche Hoffnung? Angenommen, Gott verfügt über die Allfreiheit, um wirklich "alles gut" zu machen, würde er die Entscheidungen von Menschen wohl kaum ernst nehmen, wenn er jenen Teil der Vergangenheit "ungeschehen" machte, der nicht "gut" oder zumindest nicht für alle gut genug war. Dann wäre überhaupt keine Entscheidung mehr ernst zu nehmen. Auch die Ausrede, dass für uns schlecht erscheinende Dinge aus einer "göttlichen" Sicht "gut" würden, ist mindestens ein schwacher Trost.

Entscheidend ist die persönliche Beurteilung

Entscheidender scheint mir in jedem Fall die persönliche Beurteilung eines einzelnen Menschen. Denn sie ist der Ausgangspunkt dafür, wie jemand auf die Fragen und Herausforderungen, die das Leben stellt, eingeht. "Alles wird gut" ist damit ein Wunsch, der mehr auf das Innere des Menschen abzielt. Nach der Überprüfung seiner Bestandteile kann er heißen: Ich hoffe für dich, dass du einen Grund findest, dich mit deinem Leben(-Müssen) zu versöhnen, sodass du Mut findest, wiederum an seiner Gestaltung teilzunehmen. Das taugt wohl nicht für tröstende Worte, scheint mir aber als die etwas anspruchsvollere Grundlage und Haltung für die, welche Halt zu geben versuchen.  

Wir lernen von "Kummer" ganz viel darüber, was wahrer Trost zu sein hat. Er gibt dem Schmerz Raum und nimmt die Lage der Einzelnen ernst. Wer tröstet, öffnet sich für das Mitgefühl, das auch weh tun kann. Dem Schmerz kann nur aus einer begründeten Hoffnung etwas entgegnet werden, die nur als solche persönlich zugesprochen wird.

Ausschnitt aus dem Gemälde "Anbetung der Hirten" von Gerard Honthorst (1590-1656).
Bild: ©picture alliance / akg-images

Hier ist nur der wirklich sehr kleine Anfang von etwas, und das muss man dann einfach anerkennen, später ziemlich groß Werdendem.

Endlich komme ich an dieser Stelle zu Weihnachten. Die himmlischen Engel verkünden laut biblischer Darstellung den Hirten nicht: "Alles wird gut". Sondern: "Heute ist euch in der Stadt Davids der Retter geboren; er ist der Christus, der Herr." Kurz darauf brechen sie auf, um diesem oberflächlich betrachtet überaus armseligen Ereignis ihre Beachtung zu schenken. Hier ist nur der wirklich sehr kleine Anfang von etwas, und das muss man dann einfach anerkennen, später ziemlich groß Werdendem. Mitnichten hat aber die Geburt oder die sich anschließende Jesus-Bewegung (besser bekannt als Kirche) je bewirken können, alles werde gut.

Gott überlässt seinen Sohn der Welt

Die Zeilen von "Kummer" gelten damals wie heute. Trotzdem finde ich etwas Tröstendes in dem Ereignis, zugänglich für solche, die wie die Hirten dem Ganzen eine Chance geben (wollen würden). Ohne Not und ohne jemandem etwas beweisen zu müssen, entschließt sich die Allfreiheit namens Gott, sie will ihren Sohn der Welt überlassen.

Also nochmal: Die Person, die alles kennt und nicht blind über den Wolken schwebt, gibt nicht auf, sondern sie gibt endgültig das Gegen-alles-Sein zugunsten des In-Allem-Mit-Drinstecken auf. Weil sie sich selbst zutraut, dass auch mit bloß menschlichen Mitteln und Wegen, mit echter Menschlichkeit noch etwas zu retten ist. Im Angesicht von Scherben, Flammen und "am Arsch" schon eine Zumutung, noch mehr für jemanden, der den Anspruch an sich selbst hat, irgendwas retten zu wollen.

Hoffnung und Handeln

Wie fremd und einsam sich ein Mensch fühlt, der an so etwas glaubt, hat Jesus am eigenen Leib erfahren. Nicht weniger wollte er die Nähe zu den "schlechten Menschen" wagen. Denn nur so konnte er ihrem Schmerz Raum geben, ihre Verwundungen und Kränkungen teilen, zuhören und das mitteilen, was ihn zutiefst bewegt und ihm Kummer bereitet. Er hat nicht gezögert, zu erklären, was ihn dazu motiviert, worin er seinen Halt findet und was ihm diese unverbrüchliche Hoffnung gibt. An anderen Stellen hat er aber auch einfach gehandelt, ohne zu belehren, ohne Worte zu verlieren.

Immer wieder die Geschichte von Jesus zu erzählen ist mindestens genauso scheinwidersprüchlich wie das Lied von "Kummer". Aber die eingängigen Passagen und seine markanten Worte sind kein billiger Trost. Menschen fühlen sich davon verstanden, "abgeholt" und können sogar weinen. Ich weiß, der Mensch, der trösten will, weil ihm "alles wird gut" zu billig sein soll, er tröstet nicht alle. Dennoch: 

Ich hoffe für dich, dass du einen Grund findest, dich mit deinem Leben(-Müssen) zu versöhnen, sodass du Mut findest, wiederum an seiner Gestaltung teilzunehmen.

Das sage ich zu Weihnachten:
"Fühlt sich nicht danach an, aber __________ ."

Von Fabian Retschke

Aktion #jetzthoffnungschenken

Die Zahlen sind erschreckend: Jede vierte Person in Deutschland fühlt sich einsam. Und es sind nicht nur ältere Menschen betroffen. Einsamkeit ist ein gesamtgesellschaftliches Problem – unabhängig von Geschlecht, Alter oder Herkunft. Dabei reichen oft nur kleine Gesten wie ein Lächeln, ein freundliches Wort, ein offenes Ohr oder etwas Zeit, um seinem Gegenüber Hoffnung zu schenken. Mit der Aktion #jetzthoffnungschenken will das Katholische Medienhaus in Bonn gemeinsam mit zahlreichen katholischen Bistümern, Hilfswerken, Verbänden und Orden im Advent 2021 einen Beitrag gegen Einsamkeit leisten. Erfahren Sie mehr auf jetzthoffnungschenken.de.