Trauer an Weihnachten: Wenn ein Platz unterm Christbaum leer bleibt
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Weihnachten ist für viele Menschen das Familienfest schlechthin. Gemeinschaftliche Rituale wie das Schmücken des Christbaums, die Bescherung und ein Gottesdienstbesuch mit der Familie prägen die Weihnachtsfeiertage. Doch wenn ein nahes Familienmitglied oder ein enger Freund im vorausgegangenen Jahr gestorben ist, bleibt bei den meist jahrzehntelang eingeübten Weihnachtstraditionen der Platz der verstorbenen Person unbesetzt. Diese schmerzhafte Lücke an der festlich geschmückten Tafel kann dazu führen, dass sich die Trauer über den Verlust Bahn bricht – oft auch plötzlich und unerwartet.
Aus diesem Grund hat Marlies Meyer große Angst vor dem diesjährigen Weihnachtsfest. Die 68-Jährige hat im Februar ihren Mann verloren, mit dem sie fast 40 Jahre verheiratet war. "Ich vermisse Karl sehr, komme aber im Alltag mittlerweile gut klar", sagt Meyer, die in einer norddeutschen Kleinstadt lebt. Doch sie geht davon aus, dass sie und ihre zwei erwachsenen Kinder an Heiligabend sehr traurig sein werden: "Wir werden uns zwar wie in den Jahren zuvor um den Weihnachtsbaum versammeln und die Geschenke verteilen, aber dann wird uns sicher bewusst werden, wie sehr uns mein Mann fehlt." Meyer fürchtet sich davor, dass die Traurigkeit sie überwältigen könnte.
Wegen der emotionalen Bedeutung von Weihnachten rät Andrea Stachon-Groth Trauernden, die Feiertage nicht unvorbereitet zu begehen. "Es kann eine Hilfe sein, im Vorfeld Aktivitäten rund um die Weihnachtstage zu planen, um nicht in der Trauer zu versinken", sagt die Leiterin der Ehe-, Familien- und Lebensberatung im Bistum Münster. Stachon-Groth empfiehlt etwa, sich zu einem Spaziergang zu verabreden oder Besuche bei Freunden und Verwandten zu vereinbaren. Das könne die Feiertage gliedern und Abwechselung schaffen.
Aber: "Es gibt kein Patentrezept für den Umgang mit Trauer an Weihnachten", weiß die Psychologin. In ihrer mehr als 20-jährigen Arbeit als Ehe-, Familien- und Lebensberaterin hat Stachon-Groth erfahren, wie individuell Menschen mit dem Verlust eines Angehörigen umgehen. Oft würden die Reaktionen davon abhängen, wie eng die Beziehung zum verstorbenen Menschen gewesen ist. "Der Tod des Partners kann etwa bedeuten, sein Leben nun komplett ändern zu müssen oder mit Einsamkeit konfrontiert zu sein." Auch spiele es eine große Rolle, ob ein Mensch plötzlich stirbt oder ob Familie und Freunde die Möglichkeit haben, sich zu verabschieden. "Wichtig ist, den Schmerz und die Trauer anzunehmen und zuzulassen", rät Stachon-Groth. "So schwer das manchmal auch ist."
Rituale helfen beim Trauern an Weihnachten
Für die Weihnachtsfeiertage bedeute das, die aufkommende Trauer nicht zu unterdrücken, sondern ihr etwa durch Rituale einen Platz zu geben. "Man kann bewusst den Stuhl des Verstorbenen freilassen, ein Foto der Person aufstellen oder eine Kerze in Erinnerung an das verschiedene Familienmitglied entzünden", so Stachon-Groth. Außerdem biete es sich an, Geschichten und Anekdoten aus dem Leben des Verstorbenen oder rund um die vergangenen Weihnachtsfeste zu erzählen, an denen er teilgenommen habe. Die Erinnerungen zu teilen, schaffe eine Verbindung zum fehlenden Menschen. "So kann man mit ihm weiterleben, denn auch wenn er tot ist, existiert er doch in den Gedanken und Gefühlen fort."
Trotz ihrer Angst vor den Tränen hat sich Meyer für die Weihnachtstage vorgenommen, das Gedenken an ihren verstorbenen Mann in die Feierlichkeiten zu integrieren. "Ich werde sein Lieblingsessen kochen: Braten mit Rotkohl und Knödeln", sagt die Rentnerin. "Das mögen die Kinder und ich auch gerne, aber es war das Leibgericht von Karl." Sie hoffe, dass beim Gespräch am festlich gedeckten Tisch nicht nur getrauert, sondern auch etwas gelacht werde, wenn man sich an schöne oder lustige Ereignisse mit dem Verstorbenen erinnere. "Karl hätte das sicher so gewollt, denn er hat auch gerne herzlich gelacht", glaubt Meyer.
Für Trauernde sei wichtig, sich gut zu überlegen, was ihnen über die Festtage guttun werde und sich nicht nach den Erwartungen der Anderen zu richten, sagt Stachon-Groth: "Es muss nicht alles so wie bisher gemacht werden." Doch was an Ritualen und Traditionen helfe, solle auf jeden Fall beibehalten werden. Für die Angehörigen von trauernden Menschen ist der Umgang mit ihnen oft eine Gratwanderung: Viele sind bei diesem Thema unsicher und wüssten nicht genau, wie sie Trauernden begegnen sollen. Einen Grund dafür sieht Stachon-Groth im Gefühl der Angst, das die Bereiche Tod und Sterben bei den meisten Menschen auslösten. Außerdem sei vielen bewusst, dass der Umgang mit Trauer sehr individuell geschehe und sie Angst hätten, ihr Gegenüber durch unbedachte Bemerkungen zu verletzen.
Zwar sei bei Angehörigen Taktgefühl im Umgang mit Trauernden gefragt, weshalb etwa die einfache Frage "Wie geht es Dir?" nicht unbedingt angebracht sei, so Stachon-Groth. "Es ist eigentlich klar, dass es jemandem nicht gut geht, der einen nahen Menschen verloren hat, auch noch nach mehreren Monaten", sagt die Ehe-, Familien- und Lebensberaterin. Besser sei es daher, konkreter zu fragen, was der Person guttun würde und wie man sie unterstützen kann. Zudem seien Worte nicht immer nötig: "Manchmal reicht es, einfach da zu sein und den Schmerz gemeinsam auszuhalten." Dabei könne man sich gegebenenfalls auch in der Verwandtschaft abwechseln. Falls Trauernde allein sein wollten, sei dieser Wunsch zu respektieren. Zugleich sei es wichtig regelmäßig Kontaktmöglichkeiten anzubieten, da die Stimmung bei Trauernden schnell wechseln könne.
Eine Kraftquelle für Trauernde sieht Stachon-Groth besonders in der religiösen Botschaft des Weihnachtsfestes: "Die Geburt eines Kindes ist immer ein Hoffnungszeichen." Gott wolle mit der Menschwerdung vermitteln, dass er jeder Person nahe sei – ganz besonders den Kraftlosen und Trauernden, so die Lebensberaterin. Der Ausruf der Engel zu den Hirten auf den Feldern "Fürchtet Euch nicht!", könne auch von allen verstanden werden, die mit Angst auf das diesjährige Weihnachtsfest blickten. Dieser Sichtweise kann auch Meyer zustimmen. Die gläubige Katholikin schöpft große Hoffnung aus der Zuversicht, die mit der Geburt Jesu verknüpft ist: "Ich bin mir sicher, dass Gott mir immer hilft, auch wenn es schwierig wird – und nun mein verstorbener Mann bei ihm aufgehoben ist."
Aktion #jetzthoffnungschenken
Die Zahlen sind erschreckend: Jede vierte Person in Deutschland fühlt sich einsam. Und es sind nicht nur ältere Menschen betroffen. Einsamkeit ist ein gesamtgesellschaftliches Problem – unabhängig von Geschlecht, Alter oder Herkunft. Dabei reichen oft nur kleine Gesten wie ein Lächeln, ein freundliches Wort, ein offenes Ohr oder etwas Zeit, um seinem Gegenüber Hoffnung zu schenken. Mit der Aktion #jetzthoffnungschenken will das Katholische Medienhaus in Bonn gemeinsam mit zahlreichen katholischen Bistümern, Hilfswerken, Verbänden und Orden im Advent 2021 einen Beitrag gegen Einsamkeit leisten. Erfahren Sie mehr auf jetzthoffnungschenken.de.