"Was einige Bischöfe inzwischen sagen, könnte von uns stammen"

Drei Jahre "Maria 2.0": Was hat der Protest gebracht?

Veröffentlicht am 17.01.2022 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 

Bonn/München ‐ Anfang 2019 entstand die Frauenbewegung "Maria 2.0". Seither demonstriert sie für grundlegende Veränderungen in der Kirche und sorgt mit Aktionen für Aufsehen. Wie steht die Initiative heute da? Katrin Richthofer, die die Münchner Gruppe mitgegründet hat, spricht darüber im katholisch.de-Interview.

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"Maria 2.0" wurde Anfang 2019 gegründet und sorgte im Mai desselben Jahres mit einem einwöchigen Kirchenstreik deutschlandweit für Aufsehen. Die Frauenbewegung setzt sich unter anderem für den Zugang von Frauen zu den Weiheämtern sowie für die Akzeptanz von gleichgeschlechtlichen Beziehungen in der Kirche ein. Mittlerweile gibt es Ortsgruppen in ganz Deutschland. Katrin Richthofer gehört zu den Gründerinnen der Münchner Gruppe. Für die 51-jährige Dokumentarfilmerin, selbst geschieden wiederverheiratet, hat jede der sieben Thesen von "Maria 2.0" ein Gesicht und eine Geschichte in ihrem engsten Freundes- und Verwandtschaftskreis. Mit ihr sprach katholisch.de darüber, was "Maria 2.0" in den vergangenen drei Jahren erreicht hat, über die Kritik an der Initiative – und wie die Bewegung heute dasteht.

Frage: Frau Richthofer, das Echo nach der Gründung von "Maria 2.0" war groß. Inzwischen hat man den Eindruck, dass das Interesse an der Bewegung etwas abgeflaut ist. Oder täuscht das?

Richthofer: Wir hatten wegen Corona jetzt längere Zeit keine größeren Aktionen. Aber wenn wir etwas machen, findet das in den Medien weiterhin große Beachtung, oft weltweit: Sei es unsere Postkarten-Aktion an den Papst, die Aktion #liebegewinnt mit den Segnungsgottesdiensten für homosexuelle Paare oder die Stellungnahme zur Weltsynode. Wir haben wirklich nicht das Gefühl, dass das Interesse gering ist. Ganz im Gegenteil: Viele warten auf die nächste Aktion – ich bin mir sicher, dass das wieder ein großes Echo auslösen wird.

Frage: Die mediale Beachtung ist das eine. Aber haben Sie den Eindruck, dass Sie auch innerkirchlich immer noch Anklang finden? Dringen Sie mit Ihren Anliegen auch weiter zu den "einfachen" Gläubigen vor?

Richthofer: Natürlich stellen wir uns immer die Frage, für wen wir eigentlich sprechen. Ich hatte vor kurzem ein schönes Erlebnis im Rahmen unserer Postkarten-Aktion: Ich war bei einem Wortgottesdienst Lektorin und durfte am Ende die Aktion vorstellen. Es war Samstagabend, die Kirche war gewiss nicht brechend voll, aber es waren schon einige Leute da. Ich habe die Karten dann ausgelegt und gesagt, wer Lust hat, kann sie gleich ausfüllen. Und es hat niemand diese Kirche verlassen, ohne eine Karte auszufüllen. Eine ältere Nonne war da und schrieb: "Es brennt in unserer Kirche" Auch eine Ministrantin kam auf mich zu und hat gefragt, ob da nur Erwachsene mitmachen dürfen. Als ich rausging hatte ich das Gefühl, dass wir für ganz viele in der Kirche sprechen, die an ihr verzweifeln.

Frage: Inwiefern hat sich der ganze Aufwand der letzten drei Jahre bisher gelohnt? Welche Spuren hat Ihr Protest in der Kirche hinterlassen?

Richthofer: Hören Sie nur, was einige Bischöfe inzwischen sagen: Da kommen durchaus Sätze, die so von "Maria 2.0" stammen könnten. Ich habe den Eindruck, dass vieles von dem, was aktuell an Reformgedanken in der Kirche ist, auch durch die Frauen von "Maria 2.0" salonfähig geworden ist. Wir sind ja keine Randgruppe, sondern kommen aus der Mitte der Kirche. Unsere Mitglieder halten vielerorts das Gemeindeleben mit am Laufen. Insofern glaube ich schon, dass bei vielen Bischöfen und Pfarrern angekommen ist: Wenn so die Revoluzzer aussehen – Nonnen, Jugend-, Kommunion- und Firmgruppenleiterinnen, Lektorinnen, alle im Alter von 20 bis 85 Jahren – dann heißt es wirklich: "Handeln!". Und dann darf ich auch als Gläubige meine Frustration und Zweifel aussprechen. Mich hat auch deshalb die Episode aus dem Samstagabend-Gottesdienst so gefreut, weil das die Leute sind, denen Kirche wirklich wichtig ist. Das sind die ganz normalen Christen.

Katrin Richthofer
Bild: ©privat

Katrin Richthofer gehört zu den Gründerinnen der Münchner Gruppe von "Maria 2.0".

Frage: Was sind Ihre Erfahrungen aus Gesprächen mit Vertretern der "Amtskirche"? Werden Ihre Anliegen da ernst genommen?

Richthofer: Wir von "Maria 2.0" München hatten zuletzt ein Treffen mit Kardinal Marx. Natürlich sagt er da nicht, "ihr habt recht, eigentlich gehören Frauen an den Altar". So weit geht es nicht. Aber es gibt durchaus konstruktive Gespräche, es gibt positive Reaktionen auf das, was wir schreiben und an Aktionen machen. Bei Bischof Bätzing, dem Vorsitzenden der Bischofskonferenz, fühlen wir uns sehr gut aufgehoben, wenn man hört, was er zu vielen Themen sagt. Wir werden sicher nicht alle Bischöfe erreichen. Aber ich habe schon das Gefühl, dass wir gehört werden. Auch von vielen anderen Stellen in der Kirche wird das, was wir machen, positiv aufgenommen. Wir hier in München wurden infolge der Aktion #liebegewinnt ins Ordinariat bestellt. Da wurde uns überraschenderweise dafür gedankt, was wir hier auf die Beine gestellt haben. Aber selbstverständlich gibt es auch Gläubige und Geistliche, die das ganz furchtbar finden.

Frage: Haben sich Ihre Protest- oder Beeinflussungsmechanismen verändert?

Richthofer: Wir hatten durch Corona die Möglichkeit, mehr online zu machen – auch 85-Jährige zoomen inzwischen virtuos. Das deutschlandweite Zusammenschließen der "Maria 2.0"-Gruppen ist dadurch einfacher geworden. In München haben wir uns zudem zu einem "Netzwerk für eine zukunftsfähige Kirche" zusammengeschlossen, etwa mit "Wir sind Kirche", dem ND, den "Ordensfrauen für Menschenwürde" oder der "Gemeindeinitiative". Uns allen hilft es, von vielen Seiten Rückhalt zu spüren. Und auch die weltweite Vernetzung ist inzwischen da. Wir sehen, dass es überall auf der Welt ähnliche Stimmen wie unsere gibt, etwa im "Catholic Women's Council".

Frage: Wie groß ist Ihre Hoffnung auf zeitnahe Reformen in der Kirche? Darum geht es Ihnen ja im Endeffekt.

Richthofer: Ich sage jetzt einfach mal, dass sie groß ist. Denn so, wie es jetzt ist, kann es nicht weitergehen. Gut: Wir haben in unserer Gruppe Vertreter von "Wir sind Kirche", die schon vor 25 Jahren das Gefühl hatten, die Kirche sei an einem Punkt, an dem etwas passieren muss. Trotzdem hoffen wir, dass die Situation inzwischen anders ist.

Frage: Inwiefern?

Richthofer: Einerseits kann man durch die digitale Welt viel mehr Leute erreichen und zusammenführen als noch vor 25 Jahren. Dadurch wird deutlicher, wie viele Menschen es gibt, die sich Veränderungen wünschen. Andererseits, wenn man auf den Synodalen Weg blickt: Da sind Vorschläge dabei – wenn die durchkommen, wäre das schon ein ziemlich großer Schritt nach vorne. Teilweise habe ich beim Lesen gedacht: "Wow, dass sie sich darauf geeinigt haben!" Und wenn Bischof Bätzing jetzt sagt, wir müssen in Deutschland mal ein paar Schritte vorwärts gehen und können nicht darauf warten, bis wir auch die allerletzten mitnehmen können – das ist ja eigentlich genau das, was wir fordern.

„Eine Kirche, in der das jesuanische Gebot an erster Stelle steht: Liebe deinen Nächsten wie dich selbst. Punkt. Das steht für mich über allen anderen Kirchenregeln.“

—  Zitat: Katrin Richthofer über ihre "Wunschvorstellung" von Kirche

Frage: Gegner von "Maria 2.0" sagen, die Kirche, die Sie wollen, wäre nicht mehr katholisch. Was entgegnen Sie solchen Stimmen?

Richthofer: Katholisch heißt allumfassend. Und in der lateinischen Version des Glaubensbekenntnisses steht: "Wir glauben die Kirche". Indem wir glauben, existiert die Kirche. Ich bin gläubig und würde mich guten Gewissens als eine gute Katholikin bezeichnen – obwohl ich geschieden wiederverheiratet bin. Die meisten Frauen und Männer, die bei "Maria 2.0" aktiv sind, haben das Katholische mit der Muttermilch aufgesogen und sagen: "Ich bin katholisch und will und kann das nicht aufgeben." Schön wäre Einheit in Vielfalt. Niemand sollte anderen verbieten, ihre eigene Religiosität zu leben. Es muss ja niemand zu einer Priesterin in den Gottesdienst gehen, selbst wenn einige der wunderbaren berufenen Frauen eines Tages am Altar stehen dürften. Ich fände es einfach schön, wenn man uns auch leben lassen und anerkennen würde, dass etwa traditionalistische Hardliner nicht a priori "besserkatholisch" sind.

Frage: Wie sähe die katholische Kirche aus, die Sie sich persönlich wünschen?

Richthofer: Eine Kirche, in der das jesuanische Gebot an erster Stelle steht: Liebe deinen Nächsten wie dich selbst. Punkt. Das steht für mich über allen anderen Kirchenregeln.

Frage: Spüren Sie innerhalb der Bewegung inzwischen auch Frustration? Weil man vielleicht doch den Eindruck hat, dass vieles nicht so vorangeht, wie man es gerne hätte?

Richthofer: Wir haben viele "Alte Hasen" dabei, die nichts mehr schocken kann. Der Weg ist das Ziel – wir treffen tolle Leute und suchen uns innerhalb der Kirche unsere "Lebensräume". Der Kirchenaustritt von Lisa Kötter und Andrea Voß-Frick (Gründerinnen von "Maria 2.0", Anm. d. Red.) war sicher ein kleiner Schock für die Bewegung. Da wurde sehr kontrovers diskutiert, und die beiden haben ihre Gründe absolut schlüssig dargelegt. Die eigentliche Frustration liegt oft darin, dass das ganze System Kirche nicht jesuanisch ist: Im Prinzip sind wir alle mit der Taufe Geweihte – die ganzen patriarchalen Hierarchien, die in hunderten Jahren Kirchengeschichte entstanden sind, lassen das vergessen. Dieser Zwiespalt wird sicher auch bleiben. Denn wenn eine Bewegung, die aus dem Inneren der katholischen Kirche kommt, dieser quasi sagt, sie solle sich selber abschaffen, ist das mehr als gewagt, nimmt viele Christinnen und Christen nicht mehr mit und hat keine Chance auf Erfüllung. Die Frage ist also: Wie weit können wir mit unseren Forderungen gehen? Was ist noch sinnvoll oder vertretbar? Da bin ich der Meinung: Wenn ein paar sagen, der unfassbare Umgang mit Missbrauch ist für sie unverzeihlich und das geht ihnen alles nicht weit genug mit den Reformwünschen, dann ist es stimmig, wenn sie ihren persönlichen Katholizismus in einem eigenen Kreis außerhalb der katholischen Kirche leben.

Frage: Wann wäre ein Punkt erreicht, an dem Sie diesen Schritt auch tun würden?

Richthofer: Man kann eine Institution nur von innen heraus verändern. Das von außen zu fordern, wird nichts bringen. Klar gibt es Leute, die froh wären, uns los zu sein. Ich sehe die Kirche aber auch als eine Institution, die Großartiges leistet, gerade im sozialen Bereich. Es passiert viel Gutes im Namen der Kirche. Wenn die Kirche sich weiter so kleinschrumpft, dass irgendwann nur noch diejenigen bleiben, die alle Missstände und Scheinheiligkeiten klaglos hinnehmen, würden wir viel verlieren, gerade an sozialen Strukturen. Und deswegen, glaube ich, ist es wichtig, dass wir uns bemühen, zu bleiben. Insofern kann ich mir im Moment nicht vorstellen auszutreten – dafür bin ich zu katholisch.

Frage: Was würden Sie sagen: Wie steht "Maria 2.0" aktuell da?

Richthofer: Gut organisiert, gut vernetzt. Wir haben deutschlandweit rund 100 Ortsgruppen. Wir haben uns trotz Corona gut über Wasser gehalten und uns als Gruppe zusammengerauft. Da treffen viele Charaktere mit eigenen Vorstellungen zusammen, da gibt es auch mal gewisse Spannungen. Aber es funktioniert. Die Aktiven investieren wirklich viel Zeit und positive Energie. Deshalb würde ich sagen: "Maria 2.0" steht stark in den Startlöchern, wenn man nach Corona wieder guten Gewissens größere Aktionen machen kann. Und wir freuen uns über alle, die mitmachen wollen.

Von Matthias Altmann