Vor 50 Jahren legte Papst Paul VI. feierlich die Tiara ab

Mehr als eine karitative Geste

Veröffentlicht am 19.10.2014 um 00:00 Uhr – Lesedauer: 
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Seligsprechung

Rom ‐ Papst Paul VI. (1963-1978) zählt vermutlich zu den am häufigsten unterschätzten Päpsten der Neuzeit. Das mag daran liegen, dass sein Wirken stets im Schatten seines zweifellos großen Vorgängers Johannes XXIII. (1958-1963) und des noch wirkmächtigeren Nachfolgers Johannes Paul II. (1978-2005) stand.

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Während man Johannes XXIII. auch in nichtkirchlichen Kreisen als genialen Erneuerer würdigt, wird Paul VI. zwar zugestanden, dass er für das Gelingen des Zweiten Vatikanum (1962-1965) maßgeblich verantwortlich war; ansonsten aber sehen ihn viele als Zauderer und halbherzigen Reformer, der das Rad der Geschichte mit der allzu oft auf das Thema "Pille" verkürzten Enzyklika "Humanae vitae" wieder zurückgedreht habe. Wie ungerecht dieses Urteil ist, zeigt das Ereignis, das vor 50 Jahren die Welt bewegte: Am 13. November 1964 legte Paul VI. feierlich die Tiara ab.

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KNA-Bild Sondersendung "Vor 50 Jahren" / April 1959 Papst Johannes XXIII. hat im April 1959 das Osterfest im Vatikan gefeiert. Am Ostersonntag hat der Papst eine Messe im Petersdom gefeiert, nach der er den Segen "Urbi et Orbi" gesprochen hat. In seiner Osterpredigt erneuerte das Kirchenoberhaupt seinen Friedensaufruf an alle Staatsmänner der Welt.

Zuvor war die die päpstliche Krone stets mehr als eine prächtige Kopfbedeckung. Seit dem Mittelalter war sie das herausragende Erscheinungsmerkmal des Papstes: die kegelförmige Haube mit den drei eingesetzten Ringkronen, die den Machtanspruch des Bischofs von Rom sinnfällig zum Ausdruck brachte.

Der weltliche Charakter der Tiara

Nach der Krönungsmesse folgte stets eine pompöse Übergabezeremonie vor den Augen der Bevölkerung auf dem Petersplatz. Sie oblag dem ersten unter den Kardinaldiakonen, der dabei stets die folgenden Worte sprach: "Empfange die dreifach gekrönte Tiara und wisse, dass Du der Vater der Fürsten und Könige, der Lenker des Erdkreises und der Vikar Jesu Christi, unseres Erlösers, auf Erden bist." Der weltliche Charakter der Tiara kam darin zum Ausdruck, dass sie nur bei höfischen Auftritten getragen wurde; bei Gottesdiensten dagegen trug der Papst die Mitra.

Die Tiaren erhielten die Päpste meist aus ihren Heimatdiözesen. So war es auch 1963, nachdem Giovanni Battista Montini, Kardinal und Erzbischof von Mailand, zum Papst gewählt worden war und den Namen Paul VI. angenommen hatte. Das Bistum Mailand gab eine Tiara in Auftrag, die den Geist der Zeit und das Wesen des neuen Amtsinhabers künstlerisch widerspiegeln sollte: ohne pompöses Dekor, nur spärlich mit schlichten Goldreifen und Edelsteinen besetzt und von einem futuristischen Zackenrelief umgeben. Insgesamt erinnerte das Stück an eine Raketenform, was der Tiara den Beinamen "Raumschiff" einbrachte. Eine Assoziation, die durchaus zu einem Papst des Raumfahrtzeitalters passte.

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Theologe und Buchautor Ulrich Nersinger über das Leben von Papst Paul VI.

Moderner als sein Ruf

Dieser Papst war jedoch noch weitaus moderner, als die Mailänder erwartet hatten. Denn ein knappes Jahr später legte Paul VI. seine Tiara in einem feierlichen Akt auf dem Altar der Peterskirche ab. Danach schenkte er sie den amerikanischen Katholiken, um ihnen für ihre Spendenbereitschaft zu danken. Das geschah in der dritten Periode des Zweiten Vatikanischen Konzils, die das Problem der Armut in der Welt als Schwerpunktthema hatte.

Kardinal Spellmann nahm die Tiara mit nach New York, wo sie gewissermaßen auf Tournee ging, um Geld für karitative Zwecke, unter anderem für die Armen- und Sterbehäuser von Mutter Teresa, einzusammeln. Seit dem 30. Juni 1968 wird sie dauerhaft in der Memorial Hall des National Shrine of the Immaculate Conception in Washington aufbewahrt. Im vergangenen Jahr kehrte sie für kurze Zeit nach Europa zurück, um bei der Ausstellung "Pracht und Prunk der Päpste" im Utrechter Catharijneconvent die Besucher zu beeindrucken.

Doch die Trennung von der Papstkrone war mehr als eine karitative Geste. Sie brachte den Verzicht auf weltliche Macht zum Ausdruck und setzte damit einen endgültigen Schlussstrich unter die Herrschaftsansprüche des mittelalterlichen Papsttums. Pauls Nachfolger Johannes Paul I. und Johannes Paul II. sind diesen Weg weitergegangen. Sie verzichteten ganz auf eine Krönungsfeier mit Tiara und setzten an deren Stelle eine deutlich schlichtere Amtseinführung, bei der ihnen lediglich das Pallium, die weiße Schulterbinde der Erzbischöfe, überreicht wurde, was bei beiden insofern eine Doppelung darstellte, als sie dieses Attribut als Metropoliten von Venedig beziehungsweise Krakau bereits besaßen.

Benedikt XVI. (2005-2013) vollendete schließlich den Abschied von der Tiara, indem er auch im Papstwappen die Mitra an deren Stelle setzte. Somit wurde Franziskus der erste neuzeitliche Papst, der sich bei Amtsbeginn gar nicht mehr mit dem alten Machtsymbol der Päpste auseinandersetzen musste.

Von Guido Bee (KNA)

Zur Person: Papst Paul VI.

Papst Paul VI. war von 1963 bis 1978 Oberhaupt der römisch-katholischen Kirche. Als Erzbischof von Mailand gehörte Kardinal Giovanni Battista Montini zu den Vertrauten des Konzilspapstes Johannes XXIII. (1958-1963), der das Zweite Vatikanum (1962-1965) einberief. Als dessen Nachfolger führt Paul VI. die größte Kirchenversammlung des 20. Jahrhunderts zu Ende. Das Konzil leitet eine Erneuerung der katholischen Kirche ein, die nichtsdestoweniger an Einfluss in der Gesellschaft verliert. Dies prägt auch die Amtszeit Pauls VI. Geboren am 26. September 1897 als Sohn eines norditalienischen Rechtsanwalts, schlägt Montini die Priester- und Diplomatenlaufbahn ein. Seit 1937 ist er engster Mitarbeiter von Kardinalstaatssekretär Eugenio Pacelli, später Papst Pius XII. (1939-1958). 1954 ernennt dieser Montini zum Mailänder Erzbischof. Als Paul VI. wird er der erste "Reisepapst" der Neuzeit; er bereist alle Kontinente. Vor den Vereinten Nationen in New York mahnt er vor dem Hintergrund des Vietnam-Kriegs zum Frieden. In der Sozialenzyklika "Populorum progressio" (1967) fordert er einen Ausgleich zwischen reichen und armen Ländern. Seine Enzyklika "Humanae vitae" (1968) bekräftigt die Ablehnung künstlicher Empfängnisverhütung. Darauf wird er als "Pillen-Paul" geschmäht. Paul VI. setzt im Zuge des Konzils die Liturgiereform ins Werk und modernisiert den katholischen Gottesdienst. Der Vatikan beginnt eine eigene Ostpolitik und führt Geheimverhandlungen mit mehreren Ostblockstaaten. 1975 bezeichnet Paul VI. den Bruch zwischen der christlichen Botschaft und der modernen Kultur als das "Drama unseres Zeitalters". Im August 1978 stirbt er im Alter von 80 Jahren. (KNA)