Lutherischer Erzbischof Musa über Ukraine-Krieg, Reformen und Missbrauch

LWB-Präsident: Evangelische Kirchen dürfen Vertuschung nicht hinnehmen

Veröffentlicht am 18.06.2022 um 12:25 Uhr – Lesedauer: 

Stuttgart ‐ Als Präsident des Lutherischen Weltbundes ist Erzbischof Panti Filibus Musa "Oberhaupt" von weltweit rund 75 Millionen Christen. Im Interview spricht er über den Ukraine-Krieg, Streitthemen unter den Mitgliedskirchen und Missbrauchsaufarbeitung.

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Seit 2017 ist der nigerianische Erzbischof Panti Filibus Musa (62) Präsident des Lutherischen Weltbundes (LWB). Aktuell befindet er sich auf einer zehntägigen Reise durch Deutschland. Der Geistliche äußert sich zu seiner Hoffnung auf Frieden zwischen Russland und der Ukraine, dem Status von Frauen und Homosexuellen in den Mitgliedskirchen sowie die Beziehungen zu Rom. Außerdem erläutert er, wie die lutherischen Kirchen mit der Aufarbeitung des sexuellen Missbrauchs umgehen.

Frage: Herr Erzbischof Musa, im August und September trifft sich der Ökumenische Rat der Kirchen in Karlsruhe. Es wird darüber gestritten, ob die russisch-orthodoxe Kirche angesichts ihrer Position im Ukraine-Krieg an dem Treffen teilnehmen soll. Wie stehen Sie dazu?

Musa: In einer so komplizierten Situation ist es keine Option, nicht miteinander zu reden. Selbst wenn wir komplett gegenteiliger Meinung sind, ist Reden schon ein Hoffnungszeichen, dass wir Lösungen finden können. Wer nicht miteinander spricht, der vertieft die Spaltung. Niemand sollte dieser Versammlung fernbleiben.

Frage: Der Metropolit der Orthodoxen Kirche Kirche der Ukraine, Epiphanius, hat in Berlin gesagt, er wäre bereit, an der Vollversammlung teilzunehmen, wenn er eingeladen werde. Ist das eine Chance auf Versöhnung zwischen den beiden Kirchen?

Musa: Ich hoffe sehr, dass die Orthodoxe Kirche der Ukraine nach Karlsruhe kommt. Damit ist kein Zwang verbunden, dann auch in den Dialog mit der russisch-orthodoxen Kirche eintreten zu müssen. Aber nur wenn wir als Kirchen zusammenkommen, können wir über Optionen für die Zukunft sprechen – und gemeinsam beten. Nur dann kann Gemeinschaft entstehen. Ich erinnere mich gut an meine Besuche bei Papst Franziskus. Am Ende unserer Gespräche bittet er mich immer, gemeinsam zu beten. Das hat mich tief beeindruckt.

Frage: Sie betonen immer wieder, wie wichtig der Dialog ist. Nun wird die Ukraine von Russland angegriffen. Reichen Worte in so einer Situation aus?

Musa: Nationen haben ein Recht auf Selbstverteidigung, so jetzt auch die Ukraine. Und dennoch: Gewalt hat noch nie zur Lösung eines Problems beigetragen. Sie ruft immer noch mehr Gewalt und menschliches Leid hervor. Der Krieg muss unbedingt und schnellstmöglich beendet werden. Ich bleibe dabei, dass man am Dialog nicht vorbeikommt. Wir müssen die Mechanismen hinter den Kriegen verstehen und sie lösen. Anders kann man nicht zum Frieden kommen.

Bild: ©Caritas-Spes/Ukraine (Archivbild)

"Nationen haben ein Recht auf Selbstverteidigung, so jetzt auch die Ukraine. Und dennoch: Gewalt hat noch nie zur Lösung eines Problems beigetragen", betont Erzbischof Mousa.

Frage: In ihrer Heimat Nigeria schwelen viele Konflikte, Boko Haram wütet durch das Land. An Pfingsten gab es wieder einen Anschlag auf eine katholische Kirche, bei dem Dutzende starben. Wie kann es zum Frieden kommen?

Musa: Alle christlichen Kirchen verurteilen den Anschlag. Das Ausmaß der Gewalt ist besorgniserregend und die Situation hochkompliziert. Der Staat tut zu wenig. Er muss gegen die vorgehen, die Gewalt und Terror verbreiten. In den Dörfern brauchen wir den Dialog zwischen den Menschen, die miteinander leben müssen. Aber die Politik darf die Verantwortung nicht auf die Bauern und Arbeiter abwälzen.

Frage: Kommen wir zurück zum Lutherischen Weltbund. Immer wieder wird zum Beispiel über die Ordination von Frauen diskutiert, für die der Bund sich generell ausspricht. Was ist Ihre Position?

Musa: Die Frauenordination steht seit Jahren auf der Agenda des LWB. Die meisten Mitglieder haben das akzeptiert und umgesetzt, zuletzt Polen. Aber es bleibt eine Reise, und einige Mitgliedskirchen sind noch unterwegs. Manche haben die Fahrt noch nicht einmal begonnen. Aber jede Kirche muss für sich zu der Erkenntnis kommen, warum es Frauen in den Positionen braucht.

Frage: Ein weiteres Spannungsfeld ist das Thema der Homosexualität.

Musa: Auch dort vertreten wir keine einheitliche Position. Wir diskutieren das seit vielen Jahren. Unsere Mitgliedskirchen sind zu verschiedenen Ergebnissen gekommen, und die müssen wir respektieren. Einig sind wir uns darüber, dass niemand aufgrund seiner sexuellen Orientierung Leid erfahren oder in seiner Würde verletzt werden darf.

Frage: Auch in der deutschen katholischen Kirche werden aktuell Reformfragen kontrovers debattiert. Nun hat Papst Franziskus in einem Interview gesagt, es gebe bereits eine sehr gute evangelische Kirche in Deutschland, es brauche nicht noch eine. Stimmen sie dem zu?

Musa: Das ist schwer zu kommentieren, wenn der Heilige Vater spricht (lacht). Ich muss ihn bei unserem nächsten Treffen mal fragen, was genau er damit gemeint hat.

Bild: ©picture alliance/dpa/Friso Gentsch (Symbolbild)

"Wir verstehen uns immer im Kontext der anderen christlichen Kirchen und nicht exklusiv. Wir brauchen die anderen Kirchen, auch die römisch-katholische", sagt Erzbischof Musa mit Blick auf die Ökumene.

Frage: Der LWB und der Päpstliche Ökumenerat haben in den vergangenen Jahren ein Dokument zum Tauf- und Kirchenverständnis erarbeitet. Rom hat aber letztlich doch Bedenken und das 80-seitige Papier nur als Studiendokument freigegeben. Wie bewerten Sie diese Entscheidung?

Musa: Wir sind in unserem Dialog schon weit gekommen und haben Meilensteine zurückgelegt – so zum Beispiel mit der Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre 1999. Und wir gehen dahinter nicht zurück. Katholiken und Protestanten begegnen sich nicht mehr mit der alten Bitterkeit. Auch das Dokument zur Taufe ist ein wichtiger Schritt und gibt Hoffnung – gleichwohl wir uns über dessen Stellenwert uneins sind.

Frage: Für 2021 war eigentlich eine Erklärung zum 500. Jahrestag der Exkommunikation Luthers geplant. Wegen der Pandemie wurden die Treffen jedoch abgesagt. Wie ist da der Stand der Dinge?

Musa: Nun, da die Pandemie sich ihrem Ende zuneigt, wird es zügig weitergehen. Ich bin zuversichtlich, dass wir die Gespräche über dieses Dokument bald wieder aufnehmen werden.

Frage: Ökumene bleibt ein drängendes Thema – nicht nur mit Rom. Vor fünf Jahren haben der LWB und die Weltgemeinschaft Reformierter Kirchen sich gegenseitig zugesagt, künftig stärker zusammenarbeiten zu wollen. Wie geht es weiter im Dialog der christlichen Kirchen?

Musa: Wir haben noch nicht alles erreicht, was wir 2017 beschlossen haben, aber wir sind ein gutes Stück weitergekommen. Lutherisch zu sein bedeutet ökumenisch zu sein. Wir verstehen uns immer im Kontext der anderen christlichen Kirchen und nicht exklusiv. Wir brauchen die anderen Kirchen, auch die römisch-katholische. Der Blick auf unsere Zusammenarbeit im diakonischen Bereich zeigt, dass wir uns gemeinsam für Menschen, die etwa von Flucht und Hunger bedroht sind, einsetzen.

Frage: In der katholischen Kirche – vor allem in Deutschland – sind der sexuelle Missbrauch und seine Aufarbeitung aktuell dominierende Themen. Wie gehen die lutherischen Kirchen damit um?

Musa: Das ist natürlich ein Thema. Wir verurteilen sexuellen Missbrauch auf der ganzen Linie und sprechen uns für den Schutz gerade von Kindern und Jugendlichen aus. Aber Missbrauch geschieht auch in evangelischen Kirchen. Nur weil wir nicht darüber sprechen, heißt es nicht, dass das Problem nicht existiert. Das ist der Unterschied zur katholischen Kirche. Dort wird offen darüber geredet, und deswegen melden sich immer mehr Menschen, die missbraucht wurden. Das Schweigen ist gebrochen. Das ist eine Lehre für uns und alle anderen Kirchen. Auch die evangelischen Kirchen dürfen Vertuschung nicht akzeptieren. Die Krise der katholischen Kirche kann eine Chance sein, uns selbst kritisch zu hinterfragen. Studien zum Missbrauch stehen bei uns noch weitestgehend aus. Und es braucht Orte, an denen sich Opfer melden und wir Missbrauch aufarbeiten können. Dafür will ich mich einsetzen.

Von Annika Schmitz (KNA)