Florian Baumgartner über ein besonderes pastorales Arbeitsfeld

Seelsorge auf Festivals: "Bei manchen kommen da verdrängte Dinge hoch"

Veröffentlicht am 09.07.2022 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 

Bonn ‐ Laute Musik und ausgelassene Feierstimmung: Für Florian Baumgartner genau das passende Umfeld für Seelsorge-Gespräche. Der Pastoralassistent aus der Diözese Linz berichtet im katholisch.de-Interview von seinen Einsätzen als Festivalseelsorger – und erklärt, was seine Motivation ist.

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Sie wollen dahin gehen, wo die Menschen sind – eben auch auf Musikfestivals: In Österreich sind bei einigen großen Festivals im Sommer, etwa dem "Nova Rock", kirchliche Seelsorger unterwegs. Unter dem Dach der Katholischen Jugend Österreichs organisiert Florian Baumgartner, hauptberuflich Pastoralassistent in der Diözese Linz, die Einsätze und stellt dafür Teams aus Haupt- und Ehrenamtlichen zusammen. In den meisten Fällen ist er auch selbst dabei. Er spricht über die Besonderheiten dieses besonderen pastoralen Arbeitsfelds – und erklärt, warum es wichtig ist, dass die Kirche auch auf Musikfestivals Präsenz zeigt.

Frage: Herr Baumgartner, jemand, der Festival-Seelsorger ist, war doch in seiner Jugendzeit bestimmt auf vielen Festivals unterwegs. Wie war das bei Ihnen?

Baumgartner: Ich muss gestehen, dass ich in meiner Jugend oder im jungen Erwachsenenalter nur einmal selber auf einem Festival war. Aber für einen Festival-Seelsorger ist es auch gar nicht so wichtig, dass man die jeweilige Musik mag.

Frage: Sondern?

Baumgartner: Mir geht es um die Menschen, die auf einem Festival sind. Um die Feiernden, aber auch um die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die dort eine Zeit ihres Lebens verbringen. Ich sehe meinen Auftrag als hauptamtlicher Seelsorger darin, bei den Lebensvollzügen der Menschen zu sein und sie dabei zu begleiten. Und da gehören eben auch Feste oder Festivals dazu. Wenn man diese Offenheit als Seelsorger hat, dann hält man auch mal zu laute Musik oder das Wetter aus.

Frage: Wie wird man überhaupt Festival-Seelsorger? Braucht es da eine spezielle Ausbildung?

Baumgartner: Wir haben österreichweit pro Jahr eine Fortbildung, bei der man die Arbeitsweise und die Schwerpunkte der Festivalseelsorge kennenlernt. Da geht es vor allem darum, wie man mit den Besuchern umgeht und wie man sich in Spezialsituationen verhält, etwa wenn sie unter dem Einfluss von Alkohol und Drogen stehen. Auch seelsorgliche Gesprächsführung wird dabei vermittelt. Dann lernen die Teilnehmer natürlich auch, wie sie sich selbst schützen oder abgrenzen können.

Florian Baumgartner mit einer Kollegin
Bild: ©Klaus Mittermayr

Florian Baumgartner (links) koordiniert die Einsätze von Seelsorgern auf Musikfestivals in Österreich.

Frage: Zu einem Festival gehen Leute, um gute Musik zu hören, um zu feiern und um Alkohol zu trinken. Provokant gefragt: Was haben in diesem Setting kirchliche Seelsorger überhaupt zu suchen?

Baumgartner: Alles haben sie dort zu suchen (lacht). Die Frage, warum wir überhaupt da sind, stellen uns natürlich auch viele Festivalbesucher. Wenn man dann erzählt, was man macht, entwickelt sich häufig eine sehr positive Stimmung. Und mit ganz vielen kommt man dann sehr schnell in ein persönliches Gespräch. Viele erzählen uns dann Situationen aus dem eigenen Leben, Dinge, die sie im Moment besonders beschäftigen. Gerade auf einem Festival, unter dem Einfluss von Musik, Schlafentzug und auch Alkohol, kommen manchmal Dinge zum Vorschein, die man im Alltag sonst vielleicht verdrängen kann. Da kommt dann etwas hoch, was man bereden möchte – aber nicht unbedingt mit dem Kumpel, mit dem man auf dem Festival ist. In solchen Situationen werden wir als Ansprechpartner geschätzt.

Frage: Was sind dann die Hauptgesprächsthemen mit den Festivalbesuchern?

Baumgartner: Bei 80 Prozent der Gespräche, das sind meist die kürzeren, geht es um die Situation auf dem Festival: das, worüber man sich freut, das, was gerade schwierig ist, das zu heiße oder zu schlechte Wetter oder die laute Musik. Von den Gesprächsprotokollen ausgehend, die wir machen, gehen 20 bis 25 Prozent der Gespräche in die Tiefe. Da vertrauen uns dann mache an, dass sie sich depressiv fühlen, dass sie eine schlimme Nachricht aus dem persönlichen Umfeld erhalten haben – oder sogar, dass sie Suizidgedanken haben. Wir sind natürlich keine Psychologen, aber wir vermitteln in solchen Situationen Hilfe. Was wir tun können, ist die Leute in der konkreten Situation zu stabilisieren.

Frage: Spielen bei diesen Gesprächen auch Glaubens- oder Kirchenthemen eine Rolle?

Baumgartner: Ja, aber das kommt eher seltener vor. Es tauchen natürlich immer wieder kritische Fragen auf. Da lassen wir uns dann auch auf die eine oder andere Glaubensdiskussionen ein.

„Gerade auf einem Festival, unter dem Einfluss von Musik, Schlafentzug und auch Alkohol, kommen manchmal Dinge zum Vorschein, die man im Alltag sonst vielleicht verdrängen kann. Da kommt dann etwas hoch, was man bereden möchte – aber nicht unbedingt mit dem Kumpel, mit dem man auf dem Festival ist.“

—  Zitat: Florian Baumgartner

Frage: Wie sehr sind Sie auf Festivals "ausgelastet"? Also wie viele Menschen kommen auf Sie zu?

Baumgartner: Ich kann vom letzten großen Festival berichten, bei dem wir waren: In knapp vier Tagen haben wir in einem Team von 13 Seelsorgerinnen und Seelsorgern knapp 1.600 Gespräche geführt, mit Einzelpersonen bis hin zu kleinen Grüppchen. Wir haben also gut zu tun.

Frage: Gibt es auch dumme Sprüche oder gar aggressive Reaktionen von Festivalbesuchern auf Sie und Ihre Kollegen?

Baumgartner: Es gibt bei so einem Festival vielleicht ein Dutzend Gespräche, die wirklich negativ sind. Alle anderen verlaufen äußerst gut. Viele sind dankbar und sagen, sie finden es super, dass wir da sind. Viele stecken den Daumen in die Höhe, wenn sie uns sehen. Die Reaktionen sind zum allergrößten Teil wirklich sehr positiv.

Frage: Wie sieht so ein Festival-Alltag für Sie als Seelsorger aus?

Baumgartner: Wir haben einen fixen Standort, ein Zelt, am oder in der Nähe des Festivalgeländes, wo wir immer ansprechbar sind. Wir sind auch immer erkennbar an unseren speziellen Warnwesten. Beim letzten Festival haben wir es so gemacht, dass wir ab der Mittagszeit – wenn das Leben auf einem Festivalgelände sozusagen wieder beginnt, weil die Besucher langsam ausgeschlafen haben – in Zweierteams unterwegs waren und den Kontakt zu den Leuten gesucht haben. Viele haben uns dann zu einem Gespräch eingeladen – meistens verbunden mit der Frage: "Wollt ihr ein Bier?" Unsere augenzwinkernde Antwort ist dann immer: "Wir sind im Dienst!" Und schon ist man im Gespräch. Manche von denen, die wir getroffen haben, haben uns dann später an unserem Zelt aufgesucht, weil sie vor der Gruppe nicht reden wollten. Wegen unseres festen Standorts sind wir immer wieder auch Anlaufstelle für diejenigen, die aufgrund von Verletzungen medizinische Hilfe suchen. Wir alarmieren dann die Rettungskräfte und bleiben bei den Leuten, bis sie versorgt sind

Hinweisschild zur Festival-Seelsorge
Bild: ©privat

Ein Schild zeigt an: Hier befindet sich die Festival-Seelsorge.

Frage: Manchmal ereignen sich auf Festivals ganz tragische Vorfälle: eine Massenpanik etwa, bei der viele Menschen sich verletzen oder gar sterben. Gab es für Sie einen Einsatz, den sie als besonders schlimm in Erinnerung haben, oder bei dem sie besonders gefordert waren?

Baumgartner: So etwas Extremes haben Gottseidank weder ich noch meine Kolleginnen und Kollegen bislang erlebt. Schlimme Situationen sind für uns sicher die, wenn Leute in Gesprächen die finstersten Abgründe ihres Lebens ausbreiten, von einem Gefühl der totalen Überforderung im Leben bis hin zu Gewalt- und Missbrauchserfahrungen. Und besonders herausfordernd sind natürlich die Einsätze, bei denen man Menschen begleitet, die in einer akuten emotionalen Notsituation sind. Eine Teilnehmerin hat zum Beispiel während eines Festivals erfahren, dass eine schwangere Freundin von ihr ein Kind verloren hat.

Frage: Wegen der Pandemie konnte in den vergangenen beiden Jahren vieles nicht stattfinden. Kommt das Thema Corona auch in den Gesprächen vor?

Baumgartner: Man merkt schon, dass Corona bei vielen etwas verändert hat. Wir sehen in manchen Gesprächen, dass vieles in Frage gestellt wird: Beziehungen, Lebenssituationen, Beruf, Veränderung. Viele sagen aber einfach nur: Wir haben lange nicht gefeiert, jetzt wollen wir endlich wieder Gas geben.

Frage: Was nehmen Sie für Ihre Praxis als Gemeindeseelsorger von einem Festival mit?

Baumgartner: Das befruchtet sich natürlich gegenseitig. Aber vor allem ist es die Offenheit, auf Menschen zuzugehen – in den Situationen, in denen sie gerade sind. Wir wollen als Kirche ja nicht nur für kirchlich sozialisierte Menschen da sein, sondern unser Auftrag aus dem Evangelium heraus ist, für alle Menschen da zu sein – egal, wo oder wie sie ihr Leben leben. Da müssen wir immer wieder schauen, welche Angebote wir als Kirche machen können.

Frage: Aktuell sind es vereinzelte Festivals in Österreich, bei denen Sie mit einem Team vor Ort sind. Ist es realistisch, das weiter auszubauen?

Baumgartner: Da sind wir tatsächlich dran. Aber es braucht viel Überzeugungsarbeit bei den Veranstaltern, weil sie das Thema Festival-Seelsorge oft einfach nicht auf dem Schirm haben. Aber wir haben nicht nur die größeren Festivals im Blick. Schön wäre es zum Beispiel, wenn sich auch an kleineren Orten kirchliche Mitarbeiter und Ehrenamtliche zusammentäten und kleinere Feste begleiten. Da bieten wir natürlich auch Unterstützung an.

Von Matthias Altmann