Neubewertung von historischen päpstlichen Dokumenten gefordert

Historiker: Überzogenes Papsttum förderte Europas Kolonialismus

Veröffentlicht am 30.07.2022 um 13:55 Uhr – Lesedauer: 

Fribourg/Rom ‐ Unter anderem müssten Dokumente neu bewertet werden, mit denen Päpste die Versklavung von Nicht-Christen gerechtfertigt hätten: Der Historiker Mariano Delgado fordert eine Aufarbeitung der Rolle der Päpste im europäischen Kolonialismus.

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Die Rolle von Päpsten und römischer Kurie im europäischen Kolonialismus muss nach Aussage des Schweizer Historikers Mariano Delgado noch weiter aufgearbeitet worden. Dabei seien auch Dokumente neu zu bewerten, mit denen Päpste die Unterwerfung und Versklavung von Nicht-Christen gerechtfertigt hätten, sagte Delgado am Samstag in einem Interview. Dabei bezog sich der im schweizerischen Fribourg lehrende Kirchenhistoriker auch auf die Debatte um die "doctrine of discovery" (Entdeckungsdoktrin), die während der jüngsten Reise von Papst Franziskus nach Kanada aufflammte.

Indigene fordern Widerrufung päpstlicher Bullen

Dort fordern Indigene und andere Kommentatoren, der Papst solle Dokumente seiner Vorgänger aus dem 15. Jahrhundert widerrufen, in denen die Unterwerfung, Entrechtung und Zwangsmissionierung indigener Völker in von Europäern entdeckten Gebieten gutgeheißen oder gar gefordert worden sei. Die Lehre von einer angeblich gottgewollten Entdeckung und Unterwerfung nicht-europäischer Kulturen sei bis in nationale Gesetze und höchstrichterliche Urteile in den USA und Kanada eingeflossen, so Kritiker.

Nach Einschätzung Delgados wird der Vatikan entsprechende Bullen (Urkunden) der Päpste Nikolaus V. (1447-1455) und Alexander VI. (1492-1503) kaum explizit widerrufen. Wahrscheinlicher sei eine Umdeutung, wie dies in anderen Fällen schon geschehen sei. Zudem müsse man auf die bereits damals differenzierte Diskussion und Kritik zu den Papst-Dokumenten verweisen.

Kirchliche Mitverantwortung bei der Expansion der Europäer

So hätten Theologen wie Bartolome de Las Casas (1485-1566) gefordert, die Missionierung Amerikas müsse ohne Zwang geschehen. Auch habe Papst Paul III. bereits 1537 die Dokumente seiner Vorgänger in Teilen widerrufen. Leider hätten solche Stimmen sich nicht durchsetzen können. Im Übrigen hätten Vertreter protestantischer Kirchen die Kolonialisierung Amerikas ähnlich begründet, sich aber anstatt auf den Papst direkt auf Gott berufen.

Eine deutlich kritischere Sicht kirchlicher Mitverantwortung bei der Expansion der Europäer habe bereits 1992 mit dem 500-Jahr-Gedenken an die erste Reise von Christoph Kolumbus eingesetzt. Allerdings sei päpstlich-kuriale Selbstkritik vielfach noch zu zaghaft. Insbesondere bei der Beurteilung des überzogenen Papalismus im zweiten Jahrtausend gebe es noch viel zu tun, so Delgado. (KNA)