Wie es der neue britische Monarch mit der Religion hält

König Charles III. – Verteidiger des Glaubens, Freund des Islam

Veröffentlicht am 11.09.2022 um 12:00 Uhr – Lesedauer: 

London ‐ Seit Jahrhunderten tragen die britischen Könige den Titel eines Verteidigers des Glaubens. Als Prinz von Wales fremdelte Charles damit – die Tradition aber bleibt, mit einem König, der so offen wie nie zuvor in der britischen Geschichte andere Religionen umarmt.

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Auch König Charles III. wird "Defender of the Faith" sein, wie die Königinnen und Könige vor ihm seit Heinrich VIII. im Jahr 1521. Das hatte er als Prinz von Wales schon 2015 angekündigt. Zu diesem Zeitpunkt hielten sich hartnäckig auch von ihm selbst befeuerte Gerüchte, das künftige weltliche Oberhaupt der anglikanischen Kirche könne es anders handhaben und "Defender of Faith", Verteidiger "von Glauben" statt "des Glaubens" werden, oder gar "Defender of Faiths" im Plural. Der Thronfolger wolle zwar in der Tat lieber ein Verteidiger von als des Glaubens sein, gab er zu Protokoll, doch beim traditionellen Titel, der seit Heinrich VIII. im 16. Jahrhundert zum britischen Königshaus gehört, sollte es bleiben. Ohnehin könnte Charles auch als Souverän den Titel nicht auf eigene Initiative hin ändern: Festgelegt wird der Titel des Monarchen nicht durch ihn selbst, sondern durch das Parlament. Charles wolle als Christ dafür stehen, dass auch andere Bekenntnisse als das anglikanische geschützt seien. Religionsfreiheit auch für Nichtchristen ist ihm wichtig.

Im Vergleich zu seiner Mutter wird der neue König wohl andere Akzente setzen, allerdings mit viel Kontinuität. Die von 1952 regierende Königin wurde in einem ganz anderen Großbritannien groß als ihr Sohn. Das Vereinigte Königreich ist heute kulturell und religiös viel diverser als in den 1950er Jahren. Elisabeth II. ließ nie einen Zweifel an ihrem christlichen Glauben anglikanischer Tradition. Schon Elisabeth selbst hat bei ihrem 60. Thronjubiläum die Veränderungen in der religiösen Landschaft aufgegriffen. "Die Aufgabe der Kirche von England ist nicht, den anglikanischen Glauben zum Nachteil der anderen Religionen zu verteidigen. Nein, stattdessen hat die Kirche von England die Pflicht, die freie Ausübung aller Religionen im Land zu beschützen. Tatsächlich hat die Kirche eine Umgebung geschaffen, in der andere Glaubensgemeinschaften und Menschen ohne Glauben frei leben können", betonte sie 2012, möglicherweise beeinflusst durch ihren Sohn. In seiner ersten Rede als König griff er diese Gedanken, Kontinuität und Wandel, auf. "Im Laufe der letzten siebzig Jahre hat sich unsere Gesellschaft zu einer Gesellschaft mit vielen Kulturen und vielen Religionen entwickelt. Auch die Institutionen des Staates haben sich verändert", betonte er in der Ansprache am Tag nach dem Tod seiner Mutter. Konstant geblieben seien aber die Werte – "und sie müssen es auch bleiben". Die Idee eines "Defender of Faiths" wurde in der Rede nur noch angedeutet: Charles versicherte seinem Volk, allen mit Loyalität, Respekt und Liebe zu dienen – "was auch immer Ihr Hintergrund oder Ihre Überzeugungen sein mögen".

Faszination für alle Religionen

Der neue König ist seit Jahrzehnten nicht nur für seine pointierten Meinungen zu Ökologie und Naturschutz bekannt, sondern auch für seine religiöse Offenheit, die in der britischen Boulevardpresse immer wieder kritisch in den Blick genommen wurde. "Prince Charles' views on religion could force him to GIVE UP throne - 'ABDICATION'", titelte 2018 der Daily Express: die Ansichten des Thronfolgers über Religion könnten ihn dazu zwingen, auf den Thron zu verzichten. Immer wieder hatte sich Charles positiv nicht nur über andere christliche Konfessionen geäußert – etwa die griechisch-orthodoxe Kirche, der sein Vater, Prinz Philip, vor seiner Konversion angehörte –, sondern auch über andere Religionen: den Sikhismus, den Hinduismus, und immer wieder den Islam.

Prince Charles mit Kopfbedeckung in einem Sikh-Tempel
Bild: ©picture alliance / empics | PA (Archivbild)

Bei seinen Reisen wie im Inland legt Charles Wert darauf, auch religiöse Stätten zu besuchen wie hier den Sikh-Tempel Sri Guru Singh Sabha Gurdwara in Southall.

Durch die Adern des neuen britischen Königs fließt auch das Blut des Propheten der Muslime Mohammed – das geht aus "Burke’s Peerage" hervor, der Genealogie des britischen Adels. Die arabischen Könige von Sevilla beriefen sich auf das Erbe – und die Verwandtschaft – des Begründers des Islam. Über die europäischen Könige von Portugal und Kastilien gelangte dieses Erbe im 16. Jahrhundert an König Eduard IV. und so in den britischen königlichen Stammbaum. Darauf wies 1986 der Herausgeber des "Burke's" die damalige Premierministerin Margaret Thatcher hin – allerdings nicht, um den interreligiösen Dialog zu fördern: "Die direkte Abstammung der königlichen Familie vom Propheten Mohammed kann nicht als Garantie dafür dienen, dass die königliche Familie für immer vor muslimischen Terroristen geschützt ist", auch wenn alle muslimischen religiösen Führer darauf stolz seien, warnte Harold Brooks-Baker.

Für Charles steht das religiöse Erbe des Islam höher als die Furcht vor religiösem Terrorismus. Als 1989 der iranische Ajatollah Ruhollah Chomeini seine Fatwah über den britisch-indischen Schriftsteller Salman Rushdie aussprach, warb Charles als erstes nicht für Redefreiheit, sondern um Verständnis für den Islam, den er gegen seine Instrumentalisierung für Gewalt in Schutz nahm. Der Islam leide darunter, dass Extremisten sein Bild prägten. "Die Leitprinzipien und der Geist des islamischen Rechts, die direkt aus dem Koran entnommen sind, sollten von Gerechtigkeit und Barmherzigkeit geprägt sein", betonte er 1993 bei einer Rede in Oxford, wo er Schirmherr des Zentrums für Islamische Studien ist, nicht von den brutalen Interpretationen einer fundamentalistischen Minderheit.

Hang zu esoterischer Ganzheitlichkeit

Für den Ökologen Charles scheint der Islam ein Gegenbild zu einer materialistischen westlichen Weltsicht darzustellen, die zu Umweltzerstörung und Vereinzelung führt. "Der Islam kann uns heute eine Art und Weise lehren, die Welt zu verstehen und in ihr zu leben, die das Christentum verloren hat, weil es ärmer ist", sagte er in derselben Rede. Für ihn steht im Kern des Islams die Bewahrung einer ganzheitlichen Sicht des Universums. Der Islam weigere sich wie der Buddhismus und der Hinduismus, "Mensch und Natur, Religion und Wissenschaft, Geist und Materie voneinander zu trennen", und habe "sich eine metaphysische und einheitliche Sicht auf uns selbst und die Welt um uns herum bewahrt", so der Thronfolger.

In derselben Rede wird auch eine andere Überzeugung des Thronfolgers deutlich: Die Faszination für Irrationalismus und Esoterik. Der Westen habe seine ganzheitliche Sicht "mit Kopernikus und Descartes und der Ankunft der wissenschaftlichen Revolution" verloren. Nicht nur bei dem Oxforder Islam-Institut fungiert er als Schirmherr, 2019 kam auch ein Patronat für die "Faculty of Homeopathy" dazu, die britische homöopathische Gesellschaft.

„Die islamische Welt ist die Hüterin eines der größten Schätze an Weisheit und spirituellem Wissen, die der Menschheit zur Verfügung stehen. Es ist sowohl das edle Erbe des Islam als auch ein unbezahlbares Geschenk an den Rest der Welt. Und doch wird diese Weisheit heute so oft durch den vorherrschenden Drang zum westlichen Materialismus verdunkelt - das Gefühl, dass man den Westen nachahmen muss, um wirklich "modern" zu sein.“

—  Zitat: Prince Charles in Oxford, 2010

Die Faszination für den Islam ging für Charles sogar so weit, dass er eine Zeitlang versuchte, Arabisch zu lernen, um den Koran im Original lesen zu können – aber ohne Erfolg. "Es geht mir zum einen Ohr rein und zum anderen wieder raus", sagte er über die ihm fremde Sprache. 2010, wiederum in Oxford äußerte er sich erneut zu Islam und Ökologie. Es gebe eine tiefe Wahrheit in einem Sprichwort der Nomaden: Die beste aller Moscheen ist die Natur selbst.

In der Rede gab Charles auch Einblick in sein Gottesbild: Gott werde als Wesen außerhalb seiner Schöpfung gesehen, kritisierte er, dabei sei Gott Teil der Entfaltung der Schöpfung: "Als das Prinzip, das den Kosmos unterstreicht, ist der Kosmos das Ergebnis davon, dass Gott ihn kennt und dass er den ungeschaffenen Gott kennt", erläuterte der Prinz halb kryptisch, halb mystisch.

Zuletzt Ende 2021 hatte Charles Ägypten und Jordanien bereist. Es war der erste größere Besuch nach der durch die Pandemie erzwungenen Einstellung der royalen Reisediplomatie. Nicht nur, um über die Klimakrise zu sprechen. Auch der Besuch heiliger Stätten und interreligiöse Veranstaltungen standen auf dem Programm. Der Thronfolger wollte sich dort auch für Religionsfreiheit aussprechen. Schon Jahre zuvor äußerte er sich besorgt angesichts der Verfolgung von Christen im Nahen Osten.

Erste Amtshandlung völlig säkular

Als König beginnt die Amtszeit von Charles trotz seiner Offenheit und seiner Sympathien für andere Religionen zunächst durch und durch in der anglikanischen Tradition. Bei seiner Krönung wird er in der Westminster Abbey gegenüber dem Erzbischof von Canterbury, dem geistlichen Oberhaupt der Anglikaner, den Amtseid ablegen. Mit Gottes Hilfe muss er schwören, die Kirche von England, ihre Lehre und ihre Privilegien zu verteidigen – so hieß es jedenfalls im Amtseid seiner Mutter. Seither ist auch im Staatskirchenrecht Bewegung. Seit wenigen Jahren können britische Monarchen auch Katholiken heiraten. Bei den letzten beiden Krönungen führte die gegenteilige Regelung noch dazu, dass die katholischen Bischöfe ihnen fernblieben. Bei Charles Krönung dürften sie anwesend sein.

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Wie er als König eigene religiöse Akzente setzt, wird sich zeigen: Die Person dürfte auch hier hinter dem Amt zurücktreten. Statt großer Reden sind wohl eher subtile Gesten zu erwarten. Die erste öffentliche Amtshandlung von Charles III. jedenfalls ließ den Glauben völlig außen vor: Das am Todestag der Königin veröffentlichte Statement seiner Majestät des Königs kam ganz ohne religiösen Bezug aus. "In dieser Zeit der Trauer und des Wandels werden meine Familie und ich durch das Wissen um den Respekt und die tiefe Zuneigung, die der Königin entgegengebracht wurde, getröstet und gestärkt", hieß es in der vom Palast verbreiteten Erklärung. Kein Trost aus dem Glauben, keine Hoffnung auf das kommende Königreich, auf das Elisabeth II. hoffte.

Mit seiner ersten Rede ans Volk am Tag darauf steuerte Charles dann schon leicht um und verpflichtete sich auf Kontinuität – auch was das staatskirchliche System angeht. "Auch die Rolle und die Pflichten der Monarchie bleiben bestehen, ebenso wie die besondere Beziehung und Verantwortung des Souveräns gegenüber der Kirche von England - der Kirche, in der mein eigener Glaube so tief verwurzelt ist", versicherte der neue König: "In diesem Glauben und den von ihm inspirierten Werten bin ich dazu erzogen worden, ein Gefühl der Verpflichtung gegenüber anderen zu hegen und die wertvollen Traditionen, Freiheiten und Verantwortlichkeiten unserer einzigartigen Geschichte und unseres parlamentarischen Regierungssystems mit größtem Respekt zu betrachten."

Auch der sehr persönliche Abschied von seiner geliebten Mutter, von seiner "darling Mama", erhielt eine spirituelle Einkleidung. "May flights of Angels sing thee to thy rest", "Mögen Engelscharen singen dich zur Ruh'!", schloss er seine Rede. Auch wenn hier die christliche Antiphon "In paradisum" anklingt – "Zum Paradies mögen Engel dich geleiten": Es sind Horatios Worte an den toten Hamlet. Charles zitiert nicht die Bibel, nicht die christliche Tradition, sondern Shakespeare.

Von Felix Neumann