Katholischer Rundfunkrat zur aktuellen Lage beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk

"Die Skandale destabilisieren die Akzeptanz des gesamten Rundfunks"

Veröffentlicht am 18.10.2022 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 

Magdeburg ‐ Der öffentlich-rechtliche Rundfunk steht nach mehreren Skandalen in der jüngsten Zeit stark unter Druck. Wie geht es vor diesem Hintergrund mit ARD, ZDF und Deutschlandradio weiter? Dazu äußert sich im katholisch.de-Interview der Vertreter der katholischen Kirche im MDR-Rundfunkrat, Stephan Rether.

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Nach einem Sommer mit zahlreichen Skandalen – insbesondere beim Rundfunk Berlin-Brandenburg (RBB) mit seiner inzwischen zurückgetretenen Intendantin Patricia Schlesinger – steht der öffentlich-rechtliche Rundfunk in Deutschland stark unter Rechtfertigungs- und Reformdruck. Im Interview mit katholisch.de spricht Stephan Rether als Vertreter der katholischen Kirche im Rundfunkrat des Mitteldeutschen Rundfunks (MDR) über die aktuelle Lage bei ARD, ZDF und Deutschlandradio, notwendige Reformen bei den Anstalten, den auch in seiner Höhe umstrittenen Rundfunkbeitrag und die hohen Gehälter der Intendantinnen und Intendanten. Außerdem äußert sich Rether, der im Hauptberuf Leiter des Katholischen Büros Sachsen-Anhalt ist, zur Rolle der katholischen Kirche in den Aufsichtsgremien der verschiedenen Anstalten.

Frage: Herr Rether, welche Bedeutung hat der öffentlich-rechtliche Rundfunk aus Ihrer Sicht für die Medienlandschaft und das gesellschaftliche Miteinander in Deutschland?

Rether: Eine sehr große. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk wurde ja als Konsequenz aus dem Desaster des Dritten Reichs gegründet, um die Menschen in Deutschland frei von staatlichen oder anderen Einflüssen mit unabhängigen Informationen zu versorgen. Ich denke, dass das über die vergangenen Jahrzehnte insgesamt sehr gut gelungen ist und wir als Gesellschaft bis heute von diesem System profitieren. Anders als Privatsender, die in unserem dualen System gleichwohl genauso ihre Berechtigung und Relevanz haben, muss der öffentlich-rechtliche Rundfunk nicht ausschließlich marktorientiert agieren, sondern kann dank des Rundfunkbeitrags weitgehend frei von wirtschaftlichen Zwängen ein vielfältiges und am Gemeinwohl orientiertes Programm anbieten.

Frage: Sie sprechen den Rundfunkbeitrag an. Dieser steht – auch wegen seiner Höhe von derzeit 18,36 Euro im Monat – regelmäßig in der Kritik. Von Vertretern der öffentlich-rechtlichen Sender und Politikern wird der Beitrag dagegen immer wieder verteidigt, der heutige WDR-Programmdirektor Jörg Schönenborn hat ihn einst sogar als "Demokratie-Abgabe" bezeichnet. Wie beurteilen Sie das aktuelle Beitragssystem?

Rether: Der Begriff "Demokratie-Abgabe" war sicher nicht sonderlich glücklich gewählt, denn natürlich reizt er zum Widerspruch. Aber: Der öffentlich-rechtliche Rundfunk kann nur dann wirklich frei arbeiten, wenn er mit ausreichenden finanziellen Mitteln ausgestattet wird, die den Sendern unabhängig von politischen Mehrheiten oder anderen äußeren Einflüssen zur Verfügung gestellt werden – und das gewährleistet der Rundfunkbeitrag. Der Beitrag ist kein Selbstzweck, sondern er versetzt die Sender überhaupt erst in die Lage, ihren Programmauftrag unter anderem in den wichtigen Bereichen Bildung, Information, Kultur und Unterhaltung zu erfüllen.

„Auf jeden Fall sehe ich in der aktuellen Lage ein großes Bedrohungspotenzial für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk.“

—  Zitat: Stephan Rether

Frage: Wie beurteilen Sie nach den jüngsten Skandalen insbesondere beim RBB und beim NDR die aktuelle Lage des öffentlich-rechtlichen Rundfunks? Sehen Sie die Gefahr, dass die momentane Krise das öffentlich-rechtliche System insgesamt beschädigt?

Rether: Auf jeden Fall sehe ich in der aktuellen Lage ein großes Bedrohungspotenzial für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Die von ihnen angesprochenen Skandale – vor allem der mindestens fragwürdige Umgang mit anvertrautem Beitragsgeld – sorgen für eine Destabilisierung der gesellschaftlichen Akzeptanz des gesamten Rundfunksystems. Und sie sind Wasser auf die Mühlen derjenigen, die dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk ohnehin kritisch oder gar ablehnend gegenüberstehen und dies bei sogenannten Montagsdemonstrationen und ähnlichen Veranstaltungen nicht nur hier in Sachsen-Anhalt lautstark und durchaus bedrohlich kundtun. In Teilen der Gesellschaft gelten ARD, ZDF und Deutschlandradio inzwischen als Staatsmedien und Hofberichterstatter der Mächtigen. Das muss uns allen zu denken geben! Und natürlich sollten sich die Sender durch ihr eigenes Verhalten nicht weiter selbst angreifbar machen.

Frage: Was würden Sie denn Menschen antworten, die eine vollständige Abschaffung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks fordern?

Rether: Mit Menschen, die dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk grundsätzlich ablehnend gegenüberstehen, ist ein Dialog über die Vorzüge dieses Rundfunks natürlich schwierig. Gleichwohl würde ich versuchen, insbesondere den Wert der journalistischen Arbeit der öffentlich-rechtlichen Sender zu betonen. Bei ARD, ZDF und Deutschlandradio arbeiten hervorragende Journalistinnen und Journalisten, die mit Herzblut bei der Sache sind und die Menschen in Deutschland mit verlässlichen Informationen versorgen. Wer dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk vorurteilsfrei eine Chance gibt, wird erkennen, dass dort keine Propaganda für irgendeine Partei betrieben oder gar die Unwahrheit berichtet wird. Natürlich passieren in der Berichterstattung auch mal Fehler oder es werden falsche Gewichtungen vorgenommen. Nach meinem Eindruck wird damit in den Sendern aber sehr professionell und transparent umgegangen.

Bild: ©picture alliance/dpa | Carsten Koall

Das beleuchtete Logo des Rundfunks Berlin-Brandenburg (RBB) an der Fassade am Sitz des Senders in Berlin.

Frage: Jenseits der von Ihnen angesprochenen Demonstrationen: Finden Sie die aktuelle Kritik am öffentlich-rechtlichen Rundfunk nach den jüngsten Skandalen vor allem in der Politik und den Medien angemessen oder wird dabei über die Stränge geschlagen?

Rether: Natürlich müssen die Skandale in den Sendern gründlich aufgearbeitet werden und natürlich können und sollen Politik und Medien diese Arbeit kritisch begleiten. Manches, was jetzt an Kritik geäußert wird, ist allerdings völlig überzogen und sachfremd – insbesondere in der bekannten Zeitung mit den vier Buchstaben, aber nicht nur dort. Ich habe den Eindruck, dass manche die aktuelle Krise nutzen, um grundsätzlich gegen den öffentlich-rechtlichen Rundfunk zu polemisieren und das System insgesamt in Frage zu stellen. Da geht es gar nicht um die Verfehlungen von einzelnen Sendern oder einzelnen Funktionsträgern, sondern es werden Pauschalurteile über den öffentlich-rechtlichen Rundfunk insgesamt gefällt. Das ist nicht redlich! Aber nochmal: Die öffentlich-rechtlichen Sender sind jetzt in der Pflicht, Lehren aus den Skandalen zu ziehen und vor allem gegenüber den Gebührenzahlern Transparenz herzustellen, um verloren gegangenes Vertrauen zurückzugewinnen.

Frage: Wie kann das gehen? Welche Reformen sind innerhalb des öffentlich-rechtlichen Rundfunksystems erforderlich? Sollte es zum Beispiel bei der jetzigen Zahl an Anstalten und Sendern bleiben oder wäre eine Zusammenlegung und Reduzierung hier besser?

Rether: Die Frage nach der Zahl der öffentlich-rechtlichen Anstalten und Sender muss von der Politik – und hier vor allem von den Bundesländern – beantwortet werden. Grundsätzlich glaube ich aber nicht, dass man die Probleme des öffentlich-rechtlichen Rundfunks lösen würde, wenn einzelne Anstalten oder Sender aufgelöst würden. Mit der ebenso beliebten wie polemischen Frage nach der weiteren Existenzberechtigung von einer kleinen Anstalt wie zum Beispiel Radio Bremen kann man vielleicht an Stammtischen punkten – sie führt aber nicht weiter. Entscheidend ist vielmehr, dass die Anstalten so effizient wie möglich mit den ihnen zur Verfügung stehenden Geldern umgehen und davon so viel wie möglich in ein qualitativ hochwertiges Programm investieren. Weitere Synergien sind auch in den bestehenden Strukturen möglich.

„Einerseits sind die Gehälter der Intendantinnen und Intendanten sicher sehr hoch und verständlicherweise regelmäßig Anlass für Neiddebatten. Andererseits kosten gute Leute nun mal gutes Geld.“

—  Zitat: Stephan Rether

Frage: Viel Geld fließt bei den Sendern bislang allerdings auch in die Gehälter der Intendantinnen und Intendanten; auch das ist ein häufig geäußerter Kritikpunkt. Was sagen Sie: Sind die Gehälter zu hoch?

Rether: Ganz ehrlich: Da bin ich hin- und hergerissen. Einerseits sind die Gehälter der Intendantinnen und Intendanten sicher sehr hoch und verständlicherweise regelmäßig Anlass für Neiddebatten. Andererseits kosten gute Leute nun mal gutes Geld. Und wenn wir insbesondere für die Spitzenposten der öffentlich-rechtlichen Anstalten gute Leute haben wollen, müssen wir auch bereit sein, dafür ordentlich Geld in die Hand zu nehmen. Denn die Anstalten stehen durch das duale System nun mal im direkten Wettbewerb mit privatwirtschaftlichen Unternehmen, bei denen in der Regel noch viel höhere Gehälter bezahlt werden. Gleichwohl kann und muss man die Gehälter bei den öffentlich-rechtlichen Sendern natürlich immer wieder auch kritisch diskutieren, schließlich ist es das Geld der Gebührenzahler, das hier ausgegeben wird.

Frage: Im Zuge der jüngsten Skandale wurde auch eine mangelhafte Aufsicht beklagt. Die Verwaltungs- und Rundfunkräte seien ihrer Kontrollfunktion in vielen Fällen nicht ausreichend nachgekommen, hieß es. Wie beurteilen Sie das?

Rether: Wir bewegen uns hier in einem Spannungsfeld. Einerseits erwartet vor allem die Politik zu Recht, dass die Aufsichtsgremien der Anstalten ihrer Kontrollfunktion seriös nachkommen. Andererseits ist die Leistungsfähigkeit der in der Regel ehrenamtlich tätigen Mitglieder der Verwaltungs- und Rundfunkräte natürlich begrenzt. Ich merke das auch bei mir selbst: In meinem Hauptberuf als Leiter des Katholischen Büros Sachsen-Anhalt bin ich stark gefordert und kann meine Mitarbeit im MDR-Rundfunkrat nicht beliebig ausweiten; vielen  anderen Mitgliedern im Rat geht es ähnlich. Insofern wird es perspektivisch wohl darauf hinauslaufen müssen, dass die Aufsichtsgremien noch mehr durch externe Sachverständige unterstützt werden und das Personal in den Gremienbüros aufgestockt wird. Anders wird eine stärkere Aufsicht kaum möglich sein.

Bild: ©MDR/Stefan Hoyer

Stephan Rether ist Leiter des Katholischen Büros Sachsen-Anhalt und Mitglied im MDR-Rundfunkrat.

Frage: Die Rundfunkräte der öffentlich-rechtlichen Anstalten setzen sich aus Vertretern gesellschaftlich relevanter Gruppen und Verbände zusammen. Dazu zählen zum Beispiel Gewerkschaften, Frauenverbände, der Deutsche Olympische Sportbund – und die Kirchen. Allerdings wird die Zusammensetzung der Räte immer wieder kritisiert. Ein häufiger Vorwurf lautet, dass die Zusammensetzung nicht mehr die gesellschaftliche Realität widerspiegle. Diese Debatte berührt auch die Kirchen, deren gesellschaftliche Relevanz in den vergangenen Jahren erheblich abgenommen hat. Was sagen Sie als Vertreter der katholischen Kirche im MDR-Rundfunkrat zu dieser Diskussion?

Rether: Natürlich gibt es einzelne Stimmen, die den Kirchen wie auch anderen Entsendeorganisationen die Berechtigung absprechen wollen, in den Rundfunkräten vertreten zu sein. Aber das ist bislang in keiner Weise mehrheitsfähig. Im Gegenteil: Gerade die Präsenz der Kirchen in den Aufsichtsgremien der öffentlich-rechtlichen Sender ist nach meinem Eindruck immer noch weithin akzeptiert. Damit das so bleibt, ist es wichtig, dass die kirchlichen Vertreter gut und aktiv in den Gremien mitarbeiten und überzeugend präsent sind; Qualität ist mir wichtiger als Quantität. Aber zur Kritik, dass die Räte häufig nicht mehr die gesellschaftliche Realität abbilden würden: Dieser Vorwurf ist in Einzelfällen sicher nicht falsch – allerdings wird bei den Anstalten ja auch bereits darauf reagiert. Nehmen Sie nur den MDR: Hier wurde der Rundfunkrat durch den neuen Staatsvertrag im vergangenen Jahr von 43 auf 50 Mitglieder vergrößert, um einerseits den Anteil der Politik- und staatsnahen Vertreter zu senken und andererseits auch neuere gesellschaftliche Gruppen aufzunehmen; zum Beispiel sitzt nun erstmals auch ein Vertreter der LSBTTIQ-Verbände im Rundfunkrat. Was die Kirchen angeht, wurde deren Präsenz im Rundfunkrat beibehalten – allerdings in reduzierter Form. Statt zuvor mit jeweils zwei Mitgliedern sind beide Kirchen jetzt nur noch mit jeweils einem Mitglied im Rundfunkrat vertreten. Sie sehen also: Der öffentlich-rechtliche Rundfunk ist durchaus zu Reformen in der Lage.

Von Steffen Zimmermann