Im Fall Monika Schmid stehen schwere Kirchenrechtsverstöße im Raum

Der Ermittler des Bischofs: So laufen kanonische Voruntersuchungen ab

Veröffentlicht am 24.10.2022 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 

Chur/Würzburg ‐ Nach dem Skandal um die Abschiedsmesse von Monika Schmid läuft seit über einem Monat ein Voruntersuchungsverfahren im Bistum Chur. Das Kirchenrecht regelt wenig und lässt dem Bischof und dem Voruntersuchungsführer viele Freiheiten. Sicher ist aber: Eine Alternative zum kanonischen Verfahren gibt es nicht.

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Das kirchliche Strafrecht war lange unbekannt und wurde kaum angewendet. In letzter Zeit hat es aber wieder an Relevanz gewonnen. Nicht nur, weil es in der Bewältigung von Missbrauchstaten eine wichtige Rolle spielt, sondern auch durch die umfassende Strafrechtsreform, die Papst Franziskus im vergangenen Jahr in Kraft gesetzt hat. Die Kirche straft dabei nicht nur in Fällen, die auch das staatliche Strafrecht kriminalisiert. Auch die Ordnung der Sakramente ist in seinem Fokus. Die Abschiedsmesse der Gemeindeleiterin Monika Schmid im schweizerischen Illnau-Effretikon hat daher auch ein kirchenrechtliches Nachspiel.

In der Sache geht es um die Frage, ob Monika Schmid sich eine kanonische Straftat hat zuschulden kommen lassen, indem sie das Hochgebet zur Wandlung in abgewandelter Form teilweise allein, teilweise gemeinsam mit zwei Priestern, einem Diakon und einer weiteren Frau gesprochen hat. Für die Prüfung ist der Churer Bischof Joseph Bonnemain zuständig. In seinem Bistum fand der Gottesdienst statt. Was er zu tun hat, regelt das kirchliche Straf- und Verfahrensrecht.

Bild: ©Pfarrei Effretikon (Archivbild)

Monika Schmid bei ihrem Abschiedsgottesdienst in der Pfarrei St. Martin in Illnau-Effretikon.

"Die Komplexität des stattgefundenen liturgischen Missbrauchs erfordert die Eröffnung einer kanonischen Voruntersuchung", erläuterte Bonnemain sein Vorgehen. Das sieht auch der emeritierte Würzburger Kirchenrechtler Heribert Hallermann so. Er ist Experte für das kirchliche Strafrecht und hat die erste Kommentierung des jüngst reformierten Buch VI des Codex Iuris Canonici (CIC), in dem die Kirche ihre Strafbestimmungen regelt, mit herausgegeben. Die Videoaufzeichnung des Gottesdienstes vermittle dem Bischof "nicht mehr und nicht weniger" als die vom Kirchenrecht als Bedingung vorgesehene "wahrscheinliche Kenntnis" davon, dass eine Straftat im kirchlichen Sinn begangen wurde. "Das Video gibt keine Auskunft über die näheren Umstände der vorgeworfenen Straftat oder über deren strafrechtliche Zurechenbarkeit. Dies zu ermitteln ist Aufgabe der Voruntersuchung und des Voruntersuchungsführers", erläutert Hallermann. Aus Sicht des Kirchenrechtlers kann der Bischof auch nicht anders, als eine Voruntersuchung anzuordnen und auf ihre sorgfältige Umsetzung zu achten – der Wortlaut der kirchenrechtlichen Bestimmung zwinge ihn dazu.

Knappe Regelung ohne Beschuldigtenrechte

Die kanonische Voruntersuchung ist noch nicht das Strafverfahren selbst. Sie ist vergleichbar mit dem Vorermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft und – wie das staatliche Pendant – kaum rechtlich geregelt. Nur drei Paragraphen, im kirchenrechtlichen Sprachgebrauch "Canones", regeln die kanonische Voruntersuchung und wie der Ordinarius – also der Diözesanbischof oder der Generalvikar – vorgehen müssen: Er selbst oder eine von ihm beauftragte geeignete Person muss "vorsichtig Erkundigungen über den Tatbestand, die näheren Umstände und die strafrechtliche Zurechenbarkeit einziehen, außer dies erscheint als gänzlich überflüssig" (c. 1717 CIC). Ansonsten wird zum Verfahren nur geregelt, dass dabei auf den guten Ruf der beschuldigten Person zu achten ist und dass die Person, die die Voruntersuchung führt, dieselben Rechte hat wie der Vernehmungsrichter im Prozess. Nach Abschluss der Voruntersuchung muss der Ordinarius dann entscheiden, ob er ein Verfahren einleitet (c. 1718 CIC), anschließend müssen alle Akten im bischöflichen Geheimarchiv verschlossen werden, wenn sie nicht für den eventuell anschließenden Strafprozess benötigt werden (c. 1719 CIC).

Der Rottenburg-Stuttgarter Diözesanrichter Friedolf Lappen, der selbst bereits als Voruntersuchungsführer beauftragt wurde, betont, dass eine Voruntersuchung noch keine umfassende Ermittlung darstellt. Schon der Hinweis im Gesetzestext, dass die Untersuchung ohne großes Aufsehen vonstatten gehe solle, spreche gegen eine breite Untersuchung. Was nach der staatlichen Strafprozessordnung im staatsanwaltlichen Ermittlungsverfahren stattfindet, hat im kirchlichen Verfahrensrecht erst seinen Platz im Strafprozess. "Erst hier sollen breit Zeugen gehört und Beweise erhoben werden, Herr des Verfahrens ist der Untersuchungsrichter, nicht der Kirchenanwalt", so Lappen. Ziel der Voruntersuchung sei nicht die vollständige Aufklärung des Vorgangs. Es genüge, zu zeigen, dass der Verdacht evident sei. Das könne ein Geständnis sein, aber auch eine staatliche Verurteilung. "Dann müsste entweder - sofern alles klar ist - ein Strafdekret erlassen werden, oder aber man müsste einen Strafprozess führen, in dessen Verlauf dann die weiteren Beweise zur Tat, aber auch zu Vorsätzlichkeit und Zurechenbarkeit zu erheben sind", so Lappen weiter. Erst in einem solchen Verfahren haben Beschuldigte und, wenn das Gericht es zulässt, Betroffene dann weitgehende Antrags-, Informations- und Einsichtsrechte.

Blick in den Codex Iuris Canonici in Buch VI zum kirchlichen Strafrecht
Bild: ©katholisch.de/fxn (Symbolbild)

Buch VI des Codex Iuris Canonici regelt das kirchliche Strafrecht. Papst Franziskus hat es im vergangenen Jahr umfassend reformiert.

Im Vergleich zur staatlichen Strafprozessordnung fällt auf, dass es mit Ausnahme des Schutzes des guten Rufs keine Beschuldigtenrechte gibt. Es besteht nicht einmal die Pflicht, den Beschuldigten auch nur über Eröffnung und Beendigung des Verfahrens zu informieren oder ihn anzuhören. "Sehr problematisch ist, dass bei der Voruntersuchung das Verteidigungsrecht des Beschuldigten nicht rechtlich verankert ist und dass insofern auch nicht die Möglichkeit vorgesehen ist, dass dieser einen Anwalt beizieht; auch eine Akteneinsicht des Beschuldigten oder seines Anwalts ist nicht positiv normiert", kritisiert Hallermann. Bei der Strafrechtsreform wurde erstmals die Unschuldsvermutung im Kirchenrecht festgeschrieben. Das müsste nach Ansicht des Kirchenrechtlers auch Auswirkungen zugungsten des Rechts auf Verteidigung haben: "Immerhin hat Papst Franziskus in der Apostolischen Konstitution 'Pascite Gregem Dei' das Verteidigungsrecht als einen grundlegenden Aspekt des Strafrechts bezeichnet."

Nach der Voruntersuchung muss der Bischof entscheiden

Der Straftatbestand, der bei Monika Schmid im Raum steht, ist in c. 1379 § 1 Nr. 1 CIC geregelt: Der Versuch, ohne Priesterweihe das eucharistische Opfer zu feiern. Auch den Konzelebranten droht eine Strafe. Wer an einer Straftat mitwirkt, wird bestraft, wobei das gleiche oder ein geringeres Strafmaß möglich ist (c. 1329 CIC). "Die äußere Verletzung des Gesetzes scheint durch das erwähnte Video festzustehen", erklärt Hallermann. Der Voruntersuchungsführer  muss nun beispielsweise prüfen, ob die Tat fahrlässig oder vorsätzlich begangen worden ist. Obwohl das Kirchenrecht keine Anhörung von Beschuldigten vorsieht, geht der Professor davon aus, dass diese Frage nur durch eine Befragung der Beschuldigten geklärt werden kann.

Bischof Joseph Maria Bonnemain
Bild: ©picture alliance/KEYSTONE | ANTHONY ANEX (Archivbild)

Der Churer Bischof Joseph Bonnemain ist als oberster Richter seines Bistums dafür verantwortlich, dass das kirchliche Recht umgesetzt wird. Er hat die kanonische Voruntersuchung beauftragt, wie es der CIC vorsieht.

Nach Abschluss der Voruntersuchung folgt entweder die Einstellung oder aber ein Verfahren. Normalerweise ist der Diözesanbischof selbst der zuständige Richter für kanonische Straftaten. Es gibt aber auch Straftaten, die von der kirchlichen Rechtsordnung als besonders schwerwiegend eingestuft werden – dazu gehören neben sexualisierter Gewalt auch Straftaten gegen die Sakramente. Hier ist geregelt, dass das Glaubensdikasterium in Rom für das Verfahren zuständig ist. Das habe allerdings keine unmittelbaren Auswirkungen auf die Voruntersuchung, ergänzt Hallermann: "Allenfalls dürfte dem Voruntersuchungsführer bewusst sein, dass seine Arbeit entsprechend kritisch gewürdigt wird." Über die Dauer der Voruntersuchung lässt sich nur spekulieren. Für kirchliche Gerichtsverfahren legt das Kirchenrecht fest, dass Richter und Gerichte dafür Sorge tragen müssen, dass sie "möglichst bald zu Ende geführt werden". Für die Voruntersuchung ist dergleichen nicht geregelt.

Eine Besonderheit des kirchlichen Strafrechts ist, dass Strafen sowohl – wie im weltlichen Bereich – nach einem Gerichtsverfahren verhängt werden können, aber auch ohne Verfahren auf dem Verwaltungsweg durch ein Dekret festgestellt werden können. Hallermann hofft auf ein Gerichtsverfahren nach Abschluss der Voruntersuchung: "Erst in einem solchen Strafverfahren kommt es zu einer Würdigung der zusammengetragenen Beweise; ein Anwalt der Beschuldigten kann ebenso tätig werden wie der Kirchenanwalt als Vertreter der Anklage tätig wird." Erst ein Strafverfahren könne endgültige Klarheit in so einer Sache schaffen – im Sinne der Unschuld oder der Schuld, ergänzt Hallermann: "Insofern sollten alle Seiten ein Interesse daran haben, dass ein solches Verfahren durchgeführt werden kann."

Von Felix Neumann

24. Oktober 2022, 11 Uhr, ergänzt um Informationen von Friedolf Lappen.