Wie die Kirche für eine bessere Nachbarschaft sorgen will

Man erkennt sie kaum, deshalb findet man sie beinahe nur, wenn man von ihrer Bedeutung weiß: kleine blaue Aufkleber mit einem Kirchen-Piktogramm, die zum Beispiel an einem Briefkasten kleben. Manchmal hängt im Fenster eine vergrößerte Version und ist damit auch von weitem sichtbar. Der Aufkleber ist Teil der Aktion "Kirche in der Nachbarschaft" der Pfarrei zur Heiligen Familie im Kölner Stadtteil Dünnwald. "Wir haben uns gefragt: Wo ist Kirche? Auf jeden Fall ist sie nicht nur im Kirchengebäude", erklärt Pastoralreferent Andreas Schöllmann. "Deswegen wollten wir mit diesen Aufklebern Menschen anregen, Ansprechpartner für kirchliche Themen zu sein."
Die Idee dazu kam vor etwa zehn Jahren aus dem damaligen Pfarrgemeinderat. Auf dem sehr vielfältigen Gebiet der Pfarrei – neben bürgerlichen Einfamilienhäusern gibt es auch Viertel mit großen Wohnblöcken – sollten sich die Menschen besser kennenlernen und auch über Themen aus den Bereichen Glaube und Kirche ins Gespräch kommen. "Wir hatten uns das so vorgestellt, dass die Leute mit einem Aufkleber etwa bei Fragen zu Taufe oder Hochzeit Informationen geben können, aber auch kleine Gruß-Päckchen der Kirche etwa an Neugeborene verteilen. So sollte die Kirche in der Nachbarschaft sichtbar und greifbar werden."
Ähnliche Gedanken hatte auch Annegret Hiekisch im baden-württembergischen Böblingen. Hier war der Zuzug von Geflüchteten um das Jahr 2015 der Anlass, ebenfalls kleine Aufkleber anzubringen. "Das große Problem der Geflüchteten war, dass sie kaum Kontakt in die Nachbarschaft hatten", erklärt sie. "Mit den Aufklebern sollten Nachbarn zeigen: Ich bin da, bei mir darf man auch mal wegen einem Ei oder einem Schluck Milch klingeln."
Nette und einfache Idee
Schnell stellte sich heraus, dass sich nicht nur Geflüchtete mehr Kontakte in die Nachbarschaft wünschten, sondern auch andere Zugezogene, die in ihrem jeweiligen Viertel noch nicht so recht angekommen waren. Das kam zunächst gut an. "Ich habe immer wieder die Rückmeldung bekommen: Das ist aber eine nette Idee – und so einfach", sagt Hiekisch.
„Ich habe immer wieder die Rückmeldung bekommen: Das ist aber eine nette Idee – und so einfach.“
Zur Wahrheit gehört aber auch: Beide Aktionen werden nicht mehr aktiv weitergeführt und sind ein Stück weit im Sande verlaufen – aus ähnlichen Gründen. Einerseits fehlte es mittelfristig an Personal, um das Netzwerk am Laufen zu halten und weiter zu entwickeln, zudem gab es kein konkretes Ziel und deshalb auch keine Etappenziele, die als Erfolg hätten verbucht werden können.
Das Ziel, die Kirche in die Nachbarschaft zu bringen, gibt es an beiden Orten jedoch immer noch. In Böblingen wurde dafür das "Ansprechbar-Mobil" entwickelt. Das ist ein Bus, der zu bestimmten Anlässen in einzelne Viertel fährt und durch kleine Aktionen die Menschen ins Gespräch bringen möchte.
Nachbarschaft verschiedener Institutionen
Es gibt in Sindelfingen etwa eine Schule, in deren direkter Nachbarschaft eine katholische Kirche sowie eine Tagespflege für Senioren stehen. Deshalb läuft im Advent eine mehrteilige Aktion: Zunächst basteln die Kinder in der Schule kleine Sterne, die sie überall im Stadtteil aufhängen und ihn so adventlich schmücken. Als Dank dafür bekommen sie kleine Geschenktüten, in denen auch von den Senioren gestaltete Kleinigkeiten stecken – neben Lebensmitteln für den Winter. Mittelpunkt der Aktion ist der Weihnachtsgottesdienst der Schule, verteilt werden die Tüten danach an dem kleinen Bus. "Meist ist es so, dass zuerst die Kinder zum Stand kommen, und dann entwickeln sich über sie auch schnell Gespräche zwischen den Eltern und uns als kirchlichen Haupt- und Ehrenamtlichen“, so Hiekisch.
Das "Ansprechbar-Mobil" auf einem Rastplatz.
Bislang machte das "Ansprechbar-Mobil" unter anderem schon mehrere Male Station auf einem Autobahnrastplatz, wo die berufliche wie seelische Situation der Fernfahrer im Mittelpunkt stand. Bei einer Aktion an Berufsschulen ging es dagegen am Valentinstag mit kleinen Segenskärtchen zum Verschenken um die Themen Liebe und Partnerschaft. "Diese kleinen Angebote sind eine Brücke. Dadurch kommen wir mit den Menschen oft auf grundlegende Themen zu sprechen", sagt die Pastoralreferentin.
In Köln ist man einen etwas anderen Weg gegangen. Dort gründete die Pfarrei gemeinsam mit Partnern ein eigenes Stadtteilcafé – "ganz schlicht aus dem Grund, weil es dort bis dahin kein Café gab", so Schöllmann. Dort gibt es mit Absicht wenige kleine und mehrere größere Tische, damit die Menschen schnell zueinander finden. Mal sitzen dort Senioren, mal junge Mütter, denn es gibt auch eine Kinderspielecke. Ein paar Mal wurde hier auch Gottesdienst gefeiert, ganz nach dem Motto, dass die Kirche zu den Menschen kommen müsse und nicht andersherum.
Kirchenumbau für Familien
Des Weiteren steht bei einer der Kirchen der Pfarrei ein Umbau an: St. Hermann-Joseph soll zu einer Familienkirche umgestaltet werden: Mit Video- und Hörstationen für Kinder und Segensgottesdiensten für Schwangere. "Hier in der Gegend wohnen viele Familien, da gibt es den Bedarf für sowas", sagt Schöllmann. Nachdem die Pläne bekannt geworden seien, hätten sich bereits viele Eltern gemeldet, die mitmachen wollten.
Zur Nachbarschaft in Köln-Dünnwald gehört auch ein Stadtteilcafé.
Wie beim Stadtteilcafé auch wird die Familienkirche keine Aktion sein, die ausschließlich von der Kirche getragen wird. Aus dem Kirchenschiff wird ein Mischraum, in dem es beispielsweise auch Beratungsangebote und Kurse geben soll. "Die Leute kommen nicht mehr einfach so zum Gottesdienst. Aber wenn es am Eingang der Kirche eine Waffel gibt, dann ist das einladend, auch für die, die sonst nicht kommen würden."
Diese Angebote stellen sich in eine Reihe mit weiteren, die die Pfarrei für Familien, aber auch Jugendliche und Senioren anbietet. Klar bei alledem ist hier, was auch in Böblingen entscheidend ist: Dass sich Menschen bereit erklären, mitzumachen, als neue Form des Ehrenamts. Die soll darüber hinausgehen, für ein Buffet einen Kuchen zu backen oder bei der Tombola die Lostrommel zu rühren. Menschen wollen sich auch inhaltlich einbringen.
Deshalb hängen in beiden Pfarreien die Engagements in der Nachbarschaft davon ab, wer sie gestaltet. Die Aufkleber werden beiderorts nicht mehr beworben – weil die Menschen nicht mehr da sind, die für diese Idee standen. Die Suche nach Ideen geht also weiter und führt zwangsläufig zu den Menschen. Wo Kirche in der Nachbarschaft sein will, muss die Nachbarschaft auch mitreden.