Standpunkt

Nach Benedikts Tod: Wenn der "Großvater" nicht mehr im Haus ist

Veröffentlicht am 03.01.2023 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 

Bonn ‐ "Es ist, wie den Großvater im Haus zu haben", sagte Papst Franziskus einst über seinen Vorgänger Benedikt XVI. Burkhard Hose schreibt im Standpunkt, wie ein ehrlicher Blick auf den toten "Großvater" nicht nur in Familien hilfreich sein kann.

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Angesprochen auf seinen Vorgänger, sagte ein gutgelaunter Papst Franziskus 2013 in einer improvisierten Pressekonferenz auf dem Rückflug von Rio de Janeiro nach Rom: "Es ist, wie den Großvater im Haus zu haben." Ihm war sehr wohl bewusst, dass dieser spontane Vergleich nicht nur positiv verstanden werden konnte. Deshalb fügte er schnell hinzu: "Aber einen weisen Großvater."

Höre ich in den letzten Tagen manche der Würdigungen für den früheren Papst Benedikt, kommt es mir so vor, als übten sich Kinder und Enkel:innen nach dem Tod des Über(groß)vaters vor allem in Selbstvergewisserung. Nachrufe erzählen ja manchmal mehr über ihre Verfasser:innen als über den verstorbenen Menschen. Da gibt es die Menschen, die augenblicklich in der Kirche hohe Ämter innehaben und mit entsprechender Macht ausgestattet sind. Die Bischofsgenerationen der vergangenen 40 Jahre sind geprägt durch die Art, in der Joseph Ratzinger Kirche dachte, organisierte und Macht ausübte. Entsprechend fallen ihre von Dank und Ehrerbietungen geprägten Nachrufe aus. Andere, die in den letzten Jahrzehnten unter dem Anspruch, den Joseph Ratzinger verkörperte, gelitten haben, kommen zu ganz anderen Bewertungen. Und wie in jeder Familie gibt es wohl auch in der Kirche so etwas wie transgenerationale Weitergaben. Das sind Aufgaben und häufig gerade traumatische Erfahrungen, die unbewusst und meist unausgesprochen von einer an die nächste Generation übertragen werden. Mag sein, dass die persönlichen Erfahrung des Professors Joseph Ratzinger in der Zeit der Studentenunruhen heutige Bischöfe mit ihrem Kirchenbild und mit ihrem Blick auf den oft gescholtenen "Zeitgeist" weit stärker beeinflussen als manches theologische Argument.

Der ehrliche Blick auf den toten "Großvater", auf seine Bedeutung für die eigene Biografie und auf unbewusst übernommenen Aufgaben kann in Familiensystemen dazu beitragen, dass Kämpfe der vorangegangenen Generation nicht weiter ausgefochten werden müssen, dass für heute Lebende ein Neuanfang möglich wird und Verstorbene in Frieden ruhen dürfen. Das muss ja nicht nur in Familien so sein, in denen der Großvater auf einmal nicht mehr im Haus ist.

Von Burkhard Hose

Der Autor

Burkhard Hose ist Hochschulpfarrer in Würzburg.

Hinweis

Der Standpunkt spiegelt ausschließlich die Meinung der jeweiligen Autorin bzw. des Autors wider.