Neuer Präfekt mit klarer päpstlicher Mission

Baustelle Glaubensdikasterium – Franziskus sichert sein Erbe

Veröffentlicht am 04.07.2023 um 00:01 Uhr – Von Felix Neumann – Lesedauer: 
Analyse

Vatikanstadt ‐ Im elften Jahr seines Pontifikats gestaltet Papst Franziskus das Glaubensdikasterium völlig nach seinen Vorstellungen: Nach der Strukturreform besetzt er den Chefposten erstmals nach ganz eigenen Kriterien – und mit ganz eigenem Auftrag.

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Gleich zu Beginn seines Pontifikats soll Papst Franziskus Spitzen gegen die Glaubenskongregation abgesetzt haben. Nach einer Audienz südamerikanischer Ordensleute zitierte ihn einer der Teilnehmer: "Vielleicht wird sogar ein Brief der Glaubenskongregation bei euch eintreffen, in dem es heißt, dass ihr dies oder jenes gesagt hättet." Die Ordensleute sollten sich aber keine Sorgen machen, meinte demnach der Papst: "Erklärt, wo ihr meint, erklären zu müssen, aber macht weiter. Macht die Türen auf." Der damalige Präfekt, Kardinal Gerhard Ludwig Müller, dementierte das schnell, der Papst habe das nicht gesagt. Franziskus selbst ließ es nicht dementieren.

Müllers Auftrag als Präfekt wurde 2017 nach Ende seiner fünfjährigen Amtszeit, für die ihn Papst Benedikt XVI. aus Regensburg geholt hatte, nicht verlängert – wohl aufgrund fundamentaler Differenzen mit Franziskus. Zum völligen Neuanfang kam es aber nicht: Neuer Präfekt wurde der Kurienerzbischof und spätere Kardinal Luis Ladaria, der schon zuvor als Sekretär zweiter Mann in der Kongregation war und insofern für Kontinuität sorgte. Für Beständigkeit stehen auch die Entscheidungen und Verlautbarungen, die unter Ladarias Leitung des heutigen Dikasteriums für die Glaubenslehre prägend waren. Das Nein zur Segnung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften, die Verteidigung der Beschränkung der Priesterweihe auf Männer und zuletzt die in das Verbot eines Synodalen Rats für die Kirche in Deutschland mündende Kritik am Synodalen Weg: Alle diese Positionen stehen für eine klassische Ausrichtung der Behörde als Glaubenswächter. Einen Dissens zwischen Papst Franziskus und seinem Glaubenspräfekten schien es aber nicht zu geben. Eher eine Rollenteilung: Hier der pastorale Ansatz des Papstes, dort der doktrinelle des Präfekten.

Glaubenspräfekt Luis Ladaria
Bild: ©KNA (Archivbild)

Erzbischof Luis Francisco Ladaria Ferrer, der noch amtierende Präfekt des Glaubensdikasteriums. Er wurde von Franziskus ernannt, war aber schon zuvor an der Glaubenskongregation tätig.

Parallel zu der persönlichen Dynamik zwischen Ladaria und Franziskus kamen aber schon im Zuge der Kurienreform erste institutionelle Änderungen. Gut einen Monat vor der Veröffentlichung der Apostolischen Konstitution "Praedicate Evangelium", mit der die Kurie insgesamt eine neue Organisation erhielt, strukturierte der Papst die Glaubenskongregation mit dem Motu proprio "Fidem servare" um. Strukturell wurde die Behörde vor allem etwas schlanker: Statt aus vier besteht das Dikasterium seither aus nur noch zwei Sektionen, eine Sektion für die Glaubenslehre, eine für die Disziplinarordnung. Die bisherige dritte Sektion für Ehefragen wurde in die Sektion für Glaubenslehre integriert, die Aufgaben der Sektion für die Regulierung der vorkonziliaren Liturgie waren schon zuvor an das Ordens- und das Liturgiedikasterium gewechselt. Beide Sektionen werden von einem Sekretär im Rang eines Erzbischofs geleitet; andere Dikasterien haben nur einen Sekretär. Die Verdoppelung des Amts ermöglicht eine große Unabhängigkeit in der jeweiligen Sektion.

Neuer Akzent für das Dikasterium

Was die inhaltliche Zuständigkeit angeht, setzte die Reform eher auf Akzentverschiebungen als auf substanzielle Veränderungen: Auch weiterhin gehört die Prüfung potentiell problematischer theologischer Werke zu den Aufgaben der Kongregation, sie soll nun aber "den Dialog mit deren Verfassern" fördern – zuvor sollte sie diesen nur die Gelegenheit zur Stellungnahme geben. Überhaupt wird die Aufgabe, "die Wahrheit des Glaubens und die Unversehrtheit der Sitten zu schützen", im Vergleich zu früherkompakter gefasst. Die neue Ordnung des Dikasteriums übernimmt viele Formulierungen aus der zuvor geltenden, von Papst Johannes Paul II. erlassenen Kurienkonstitution "Pastor bonus". Der Artikel, der sich mit dem Schutz der "Wahrheit des Glaubens und der Unversehrtheit der Sitten" befasst, wurde aber deutlich zugunsten eines Dialogs hin entschärft.

Formal sind alle Dikasterien der Kurie gleichberechtigt. Strukturell kommt lediglich dem Staatssekretariat durch seine koordinierenden Funktionen ein gewisser Vorrang zu. Dennoch ist es auffällig, dass Papst Franziskus die hergekommene Reihenfolge der Behörden in "Praedicate Evangelium" verändert hat – durchaus programmatisch: Als erstes in der Liste der Dikasterien steht nicht mehr das für die Glaubenslehre, sondern das für die Evangelisierung. Auch personell wird diese andere Bewertung des Glaubensdikasteriums deutlich: Bis 1965 war der Papst selbst Präfekt der Behörde, die damals noch Heiliges Offizium hieß. Diese Tradition, ein Dikasterium durch den persönlichen Vorsitz des Papstes herauszuheben, hat Franziskus wieder aufgegriffen – aber nicht für die Glaubenslehre: "Das Dikasterium für die Evangelisierung steht unter dem direkten Vorsitz des Papstes", heißt es in der Kurienkonstitution.

Víctor Manuel Fernández läuft mit einer Aktentasche durch den Vatikan
Bild: ©KNA/Andrea Krogmann (Archivbild)

Víctor Manuel Fernández wurde von Papst Franziskus am 1. Juli 2023 zum Präfekten des Glaubensdikasteriums ernannt. Bei der Familiensynode war er einer der Teilnehmer mit besonderer Verantwortung.

Bei der Reform der Glaubenskongregation musste man diese Akzentverschiebungen noch aus dem Rechtstext herauslesen. Die Einleitung des Reform-Motu-proprios "Fidem servare" blieb sehr allgemein. “‘Den Glauben zu bewahren' (vgl. 2 Tim 4,7) ist die Hauptaufgabe und das letzte Kriterium, das im Leben der Kirche zu beachten ist", heißt es dort. Mit dem Wechsel von Ladaria zum neuen Präfekten, dem Argentinier Víctor Manuel Férnandez, machte Papst Franziskus aber in einem ungewöhnlichen Schritt deutlich, was für ihn die Mission des obersten Glaubenshüters ist. Üblicherweise werden selbst hochrangige Personalentscheidungen im täglichen "Bollettino" des Pressesaals des Heiligen Stuhls nur sehr nüchtern und knapp abgehandelt. Die Ernennung von Fernández dagegen wurde nicht nur mit einer ausführlichen Biographie und einer noch ausführlicheren Bibliographie versehen: Ein Brief des Papstes an den neuen Präfekten gibt ihm eine klare Aufgabe mit.

Neues Amt mit klarer Mission

"Ihre zentrale Aufgabe ist es, über die Lehre, die aus dem Glauben hervorgeht, zu wachen, um 'Gründe für unsere Hoffnung zu geben, aber nicht als Feind, der kritisiert und verurteilt'", beginnt das Schreiben mit einem Zitat aus "Evangelii gaudium", der Apostolischen Exhortation, mit der Franziskus im Jahr seines Amtsantritts 2013 sein eigenes Programm dargelegt hatte. Férnandez gilt als einer der Ghostwriter von "Evangelii gaudium". In seltener Klarheit geht der Papst in seinem Brief an Fernández darauf ein, dass das heutige Glaubensdikasterium, die einstige Heilige Inquisition, nicht den besten Ruf hat: "Das Dikasterium, dem Sie vorstehen werden, hat sich in anderen Zeiten unmoralischer Methoden bedient. Das waren Zeiten, in denen man nicht die theologische Erkenntnis förderte, sondern mögliche Irrtümer in der Lehre verfolgte."

Blick in den Umweltenzyklika von Papst Franziskus
Bild: ©KNA (Archivbild)

Die Umweltenzyklika des Papstes trägt den Titel "Laudato si" – der neue Glaubenspräfekt soll auch für dieses Schreiben von Papst Franziskus entscheidende Impulse gegeben haben.

Von Fernández erwartet Franziskus dagegen etwas ganz anderes. Der Papst verweist auf die Erfahrung des Erzbischofs als Rektor der Päpstlichen Katholischen Universität von Argentinien, wo er eine "gesunde Integration des Wissens" verfolgt habe, und auf seine Zeit in der Pfarrseelsorge, wo er es verstanden habe, "theologisches Wissen mit dem Leben des heiligen Gottesvolkes in Dialog zu bringen". Was Franziskus freilich nicht erwähnt, ist die lange Hängepartie von zwei, bis Férnandez nach Bedenken aus der Bildungskongregation sein Amt als Rektor antreten konnte – die Bedenken kamen wohl aus der Glaubenskongregation. Ernannt wurde der Theologe vom damaligen Erzbischof von Buenos Aires: Jorge Mario Bergoglio. Als Papst ernannte dieser ihn dann noch während seines Rektorats zum Titularerzbischof.

Gegen eine "Schreibtisch-Theologie"

Das Glaubensdikasterium wird von Franziskus in den Dienst der Evangelisierung genommen – ein Gedanke, der schon die Kurienreform insgesamt prägte. Nicht das Bewahren der hergebrachten Lehre soll in erster Linie im Blick sein, sondern ein wachsendes Verständnis der Wahrheit, "ohne sich auf eine einzige Ausdrucksform festzulegen". Vielfalt wird als Chance für die Kirche aufgefasst: "Die verschiedenen Richtungen des philosophischen, theologischen und pastoralen Denkens können, wenn sie sich vom Geist in der gegenseitigen Achtung und Liebe in Einklang bringen lassen, zur Entfaltung der Kirche beitragen, weil sie helfen, den äußerst reichen Schatz des Wortes besser deutlich zu machen", zitiert Franziskus sich selbst wiederum aus "Evangelii gaudium". Entsprechend soll der oberste Glaubenswächter weniger Wächter sein als Förderer des Charismas der Theologen.

Das Glaubensdikasterium soll dafür einstehen, das theologische Verständnis von Franziskus voranzubringen: Erneut wendet sich der Papst gegen eine "Schreibtisch-Theologie" der "kalten und harten, alles zu beherrschen suchenden Logik". Die Wirklichkeit sei wichtiger als die Idee, betont der Papst noch einmal. Theologie, die die Allmacht und Barmherzigkeit Gottes in Frage stelle, sei unzureichend: "Wir brauchen eine Denkweise, die überzeugend einen Gott darstellt, der liebt, der vergibt, der rettet, der befreit, der Menschen fördert und sie zum brüderlichen Dienst ruft." Die christliche Botschaft müsse sich daher auf das Wesentliche konzentrieren. "Sie wissen sehr gut, dass die Wahrheiten unserer Botschaft harmonisch geordnet sind und dass die größte Gefahr darin besteht, dass die Nebenthemen die zentralen Themen überschatten", schreibt Franziskus Fernández ins Stammbuch. Was für ihn die wichtigsten Themen sind, hat Franziskus dargelegt. Was die Nebensachen sind, bleibt offen. Angesichts der oft sehr kleinteiligen Ausführungen der Glaubenskongregation – von der Materie der Eucharistie bis zur Grammatik der Taufworte –, die nicht immer glaubensfördernd wirken, ist dabei einiges denkbar.

Eine Ordensschwester stanzt mit einer Maschine Hostien
Bild: ©KNA/Elisabeth Schomaker (Symbolbild)

Im Glaubensdikasterium werden oft sehr kleinteilige Entscheidungen getroffen – etwa genaue Bestimmungen dazu, was alles in eine Hostie darf und was nicht.

Auffallend ist der große Bogen, den Franziskus in seinem Brief in den Fußnoten zum Beginn seines Pontifikats schlägt: Fünf der elf Nachweise beziehen sich auf "Evangelii gaudium", einer auf die Umweltenzyklika "Laudato si" (2015). Auf die Zeit vor seinem Amtsantritt verweist nur eine Fußnote: auf ein Dokument der Internationalen Theologenkommission aus dem Jahr 2007 zur Hoffnung auf Erlösung für ungetauft verstorbene Kinder. Am Ende des Briefs scheint auch eine gewisse Unzufriedenheit durch: Zu den Aufgaben des Glaubensdikasteriums gehört die Prüfung von Dokumenten anderer Kurieneinrichtungen, die Themen der Glaubens- und Sittenlehre berühren. Bei dieser Prüfung ebenso wie bei der Abfassung eigener Dokumente soll Fernández nicht nur "den reichen Nährboden der immerwährenden Lehre" als Maßstab heranziehen, sondern "gleichzeitig das jüngste Lehramt berücksichtigen" – also das von Franziskus. Auch hier bleibt offen, bei welchen Veröffentlichungen er dahingehend Defizite gesehen hat.

Theologie ist Chefsache, Missbrauchsbekämpfung wird delegiert

Víctor Manuel Fernández prägte das Pontifikat von Franziskus bisher vor allem hinter den Kulissen als wichtiger Ideengeber und, so heißt es, wesentlicher Mitautor zentraler Programmschriften. Im Glaubensdikasterium haben diese Programmschriften bisher bis auf Lippenbekenntnisse eher wenig Auswirkungen gezeigt. Mit dem neuen Präfekten zieht der Architekt von "Evangelii gaudium" in den Palast des Heiligen Offiziums ein. Fernández kann nun an zentraler Stelle wirken und gestalten und nicht mehr nur inspirieren und beraten. Der für Kurienverhältnisse relativ junge Erzbischof – in wenigen Tagen wird er 61 – kann so ein wichtiger Eckpfeiler in der Sicherung des theologischen Erbes von Franziskus werden.

Doch Fernández könnte auch noch ein anderes Erbe von Franziskus zementieren: Einen fragwürdigen Umgang mit Missbrauch. Als Erzbischof soll er massive Fehler im Umgang mit einem beschuldigten Priester begangen haben; wie bei Franziskus im Fall des chilenischen Bischofs Juan Barros schien sein erster Impuls der Schutz von Priestern zu sein. Es lässt auch nichts Gutes hoffen, wenn der neue Präfekt schon vor seinem Amtsantritt ankündigt, an der Hälfte seines Dikasteriums gar kein wirkliches Interesse zu haben und das Amt nur annahm, weil Franziskus ihm versichert habe, dass er sich nicht schwerpunktmäßig mit dem Thema Missbrauch werde befassen müssen. Im Brief des Papstes taucht der Kampf gegen Missbrauch neben all den befreienden Worten zur Theologie nur in einem dürren Satz auf: "In Anbetracht der Tatsache, dass für Disziplinarangelegenheiten – insbesondere im Zusammenhang mit dem Missbrauch von Minderjährigen – vor kurzem eine spezielle Abteilung mit sehr kompetenten Fachleuten geschaffen wurde, bitte ich Sie als Präfekt, Ihr persönliches Engagement stärker auf das Hauptziel des Dikasteriums, nämlich die 'Bewahrung des Glaubens', auszurichten." Auch das ist Franziskus.

Von Felix Neumann