Die Trägheit der Kirche in Sachen Sterbehilfe sollte uns aufrütteln
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Über aktive Sterbehilfe wird momentan wieder heftig gestritten. Nicht nur in Deutschland. Das Thema ist komplex. Es berührt ethische, theologische und juristische Fragen. Der französische Schriftsteller Michel Houellebecq hat sich soeben in die Debatte eingemischt: "Sterbehilfe ist Mord." Sein Zwischenruf nimmt das Tötungsverbot im Dekalog ernster als mancher Kirchenvertreter, der den modernen Autonomiebegriff anführt und Kant zitiert. Dabei hat dieser die "Selbstentleibung" als "Verbrechen" abgelehnt. Die Suizidmaxime sei nicht als allgemeines Naturgesetz denkbar.
Aktive Sterbehilfe wird heute im Namen der Selbstbestimmung und mit Verweis auf schwere Krankheit gefordert. Dazu Houellebecq: "Die Vorstellung, dass die Würde vom Gesundheitszustand abhängen könnte, finde ich ungeheuerlich." Dieser Einspruch könnte bei wachsendem Pflegenotstand noch gewichtiger werden. Den Wunsch, jemandem aus Liebe das Sterben zu erleichtern, lässt Houellebecq nicht gelten: "Ein Ausdruck von Liebe ist es, zu überprüfen ob der geliebte Mensch genügend Medikamente hat." Sein Votum für Palliativmedizin meint nicht lebensverlängernde Maßnahmen um jeden Preis, die das Sterben dehumanisieren können. Niemand wisse, was im Gehirn eines Menschen geschieht, der extrem leidet. Die vorzeitige Selbstauslöschung aus Gründen der Leidvermeidung ist ihm suspekt. Das laufe leicht auf eine Abflachung des Lebens hinaus.
Houellebecq ist ein Fremdprophet, der unerschrocken für die Unverfügbarkeit des Lebens eintritt. Das Leiden in der finalen Phase, so seine Ahnung, könnte eine kritische Aufarbeitung des Lebens und damit eine wichtige Vorbereitung auf den Tod sein. Der skandalumwitterte Autor stemmt sich gegen den französischen "Bürgerkonvent über das Lebensende", der die Einführung der aktiven Sterbehilfe befürwortet hat. Auf Allianzen mit der katholischen Kirche rechnet Houellebecq in seinem Kampf nicht, sie ist ihm "zu träge". Das müsste Katholikinnen und Katholiken aufrütteln. Nicht nur in Frankreich!
Der Autor
Jan-Heiner Tück ist Professor für Systematische Theologie an der Universität Wien. Außerdem ist er Schriftleiter der Zeitschrift Communio und Initiator der Wiener Poetikdozentur Literatur und Religion.
Hinweis
Der Standpunkt spiegelt ausschließlich die Meinung der jeweiligen Autorin bzw. des Autors wider.
