Sina Arnold engagiert sich gegen sexualisierte Gewalt beim DJK-Sportverband

Präventionsexpertin: Müssen Kinder im Sport vor Missbrauch schützen

Veröffentlicht am 19.08.2023 um 12:00 Uhr – Von Madeleine Spendier – Lesedauer: 

Bonn ‐ Sina Arnold ist Präventionsbeauftragte beim DJK-Sportverband. Die 30-jährige Lehrerin aus Rheinland-Pfalz erklärt im Interview mit katholisch.de, wie Kinder vor sexualisierten Übergriffen im Sportverein geschützt werden können. Dabei sollen Kinder auch lernen, selbst Grenzen zu setzen.

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"Bei uns passiert so etwas nicht". Diesen Satz kennt die Präventionsbeauftragte beim DJK-Sportverband auch aus Sportvereinen. Seit 2019 setzt sich Sina Arnold ehrenamtlich dafür ein, dass sexualisierte Gewalt im Sportverein kein Tabu mehr ist. Im Interview mit katholisch.de spricht sie über konkrete Handlungsschritte, wie Kinder und Jugendliche gschützt werden sollen und wie der Verband gegen mutmaßliche Täterinnen und Täter vorgeht.    

Frage: Frau Arnold, Sie sind Präventionsbeauftragte für sexualisierte Gewalt beim DJK-Sportverband. Seit wann gibt es diese Stelle?

Arnold: Die Stelle der Präventionsbeauftragten gibt es offiziell seit Herbst 2019. Elisabeth Keilmann ist hauptamtlich tätig und geistliche Beirätin im Verband. Ich unterstütze sie ehrenamtlich neben meinem Beruf als Grundschullehrerin. In unserer Arbeitsgruppe sind noch weitere Personen unterschiedlichen Geschlechts vertreten. Als Sportverband setzen wir uns aber schon viel länger mit diesem Thema auseinander. Es erschreckt mich immer, wenn es Kindern im Sportverein nicht gut geht. Der Sportverein sollte den jungen Sportler*innen einen Schutzraum bieten und alles dafür tun, dass sexualisierte Gewalt dort keine Chance hat.

Frage: Sind Sie selbst Sportlerin oder in einem Sportverein?

Arnold: In meiner Kindheit und Jugendzeit war ich Rhönradturnerin bei der DJK Wissen-Selbach. Später wurde ich dort auch Trainerin. Heute bin ich Übungsleiterin für Eltern-Kind-Turnkurse und Ausschussmitglied in einem lokalen Sportverein. Ich weiß, wie wichtig unbeschwerte und geschützte Räume für die positive Entwicklung von Kindern und Jugendlichen sind. Ich hatte selbst immer eine glückliche und sichere Zeit im Sport und habe selbst keine Grenzverletzungen erlebt.

Frage: Womit beschäftigen Sie sich als Präventionsbeauftragte beim DJK-Sportverband hauptsächlich?

Arnold: Wir setzen uns aktiv dafür ein, dass das Thema Prävention in allen Vereinen präsent ist. Wir sensibilisieren vor allem Haupt- und Ehrenamtliche für das Thema. So soll vermieden werden, dass potentielle Täter*innen Zugang zu unseren Vereinen erlangen. Es soll damit auch erreicht werden, dass sich Opfer bei uns melden. Elisabeth Keilmann und ich sind auch erste Ansprechpartnerinnen, falls es in einem der Vereine zu Grenzverletzungen kommt. Neben der persönlichen Kontaktaufnahme können sich Betroffene auch anonym bei uns über eine E-Mail-Adresse melden. Alle Meldungen werden bei uns vertraulich bearbeitet. Zum Glück sind die Fallzahlen der Grenzverletzungen in den 1.100 DJK-Sportvereinen momentan nicht so hoch.

Bild: ©DJK

Sina Arnold ist ehrenamtliche Präventionsbeauftragte beim DJK-Sportverband. Die 30-jährige Lehrerin ist katholisch und war auch Ministrantin.

Frage: Gehen Sie von einer Dunkelziffer aus?

Arnold: Ja, daher ermutigen wir aktiv Sportler*innen und Trainer*innen, sich bei uns zu melden. Nichts soll unter den Tisch gekehrt werden. Im Sport hängt Missbrauch, wie auch in anderen Bereichen, stark mit Machtgefügen zusammen. Wir würden uns wünschen, dass das Thema noch präsenter wird. Teilweise heißt es in manchen Vereinen noch: "Bei uns passiert so etwas nicht". Daher bemühen wir uns, auch diese für das Thema zu sensibilisieren. Denn ein Sportverein, der eine klare und öffentliche Haltung beim Thema Prävention einnimmt, ist weniger angreifbar als ein Verein, der zu diesem Thema schweigt.

Frage: Sind Frauen und Männer im Sport gleichermaßen von sexualisierter Gewalt betroffen und welche Sportarten sind besonders anfällig dafür?

Arnold: Laut der aktuellen Studie zu sexualisierter Gewalt und sexuellem Kindesmissbrauch im Kontext des Sports, die die Unabhängige Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs im September 2022 herausgegeben hat, sind rund drei Viertel der Betroffenen weiblich und knapp ein Viertel männlich. Die dabei meistgenannten Sportarten sind Turnen und Fußball. Wobei das auch die beiden Sportarten sind, die in Deutschland die meisten Mitglieder haben und am häufigsten von Kindern und Jugendlichen ausgeübt werden. Das heißt aber nicht, dass dies unsichere Sportarten sind und Eltern sich besonders sorgen sollten. Wir müssen einfach in allen gesellschaftlichen Bereichen, so auch im Sport, eine hohe Sensibilität für das Thema schaffe.

Frage: Wie gehen Sie dann konkret vor, wenn es zu Beschuldigungen oder Anklagen kommt? Wie weit geht Ihre Hilfe? Wo sind die Grenzen?

Arnold: Wir haben jetzt einen umfangreichen Interventionsleitfaden erarbeitet, der Hilfestellungen gibt, wenn es in einem Verband zu einem Vorfall sexualisierter Gewalt kommt. Grundsätzlich gilt es zunächst Ruhe zu bewahren und den Betroffenen im Falle eines Verdachtsfalls zu schützen sowie Gesprächsbereitschaft zu signalisieren. Wenn sich Betroffene bei uns melden, dokumentieren wir alles genau und kümmern uns schnellstmöglich um professionelle Hilfe für die Betroffenen. Wir nutzen externe Berater, die sich auch im Notfall um die Strafverfolgung kümmern. Besteht die Gefahr von weiteren Übergriffen, müssen Opfer und Täter*in getrennt werden. Der Vorwurf muss genauestens überprüft werden. Wir prüfen auch, ob es sich eventuell um einen Fall der Verleumdung handelt. Alle Schritte unterliegen immer einer strengen Vertraulichkeit. Bei jedem Verdacht muss zunächst die strafrechtliche Unschuldsvermutung des oder der Beschuldigten Anwendung finden. Diese Unschuldsvermutung gilt bis zu einer rechtskräftigen strafrechtlichen Verurteilung. Wir als freier kirchlicher Träger können aber keine strafrechtlichen Folgen einleiten. Weitere Konsequenzen können eine Suspendierung sein oder Sofortmaßnahmen, wie ein Lizenzentzug, welche aktuell einer rechtlichen Prüfung unterliegen. Wir begleiten betroffene Vereine bei diesem Prozess sehr eng.

„Wir müssen Kinder und Jugendliche vor Missbrauch schützen. Grenzverletzungen jeglicher Art haben in unseren DJK-Vereinen nichts zu suchen.“

—  Zitat: Sina Arnold, Präventionsbeauftragte beim DJK-Sportverband

Frage: Oft vergleichen sich kirchliche Institutionen mit den Sportvereinen beim Thema Missbrauch. Was fehlt bei der DJK noch im Vergleich zu den Unabhängigen Missbrauchskommissionen der Kirche?

Arnold: Anstatt zu vergleichen, geht es uns mehr darum, voneinander zu lernen und sich gegenseitig zu unterstützen. Die katholische Kirche punktet mit ihrem umfassenden Schulungskonzept. Wir arbeiten hier aktuell noch daran, dass sowohl der Sport als auch die Kirche von den jeweiligen Angeboten profitieren können. Wesentliche Grundlage für die Arbeit aller Ehrenamtlichen und Hauptamtlichen im DJK-Sportverband ist der Verhaltenskodex, auch Ethikkodex genannt. Er beinhaltet Pflichten und Ziele zur Prävention jeglicher Gewalt im DJK-Sportverband. Dabei gilt es, eine Haltung einzunehmen, die gekennzeichnet ist vom wachsamen Hinschauen, offenen Ansprechen sowie dem transparenten und einfühlsamen Handeln im Umgang mit Kindern, Jugendlichen, schutz- und hilfebedürftigen Erwachsenen und untereinander. Wir verlangen auch von unseren Ehrenamtlichen und Hauptamtlichen ein erweitertes polizeiliches Führungszeugnis. Aktuell wird mit dem Zentrum für "Safe Sport" eine ganzheitliche und unabhängige Organisation geschaffen, die über die bisherigen Hilfsangebote hinausgeht und sich gezielt mit der Prävention, Intervention und Aufarbeitung von Gewalt im Sport befasst.

Frage: Bieten Sie als DJK-Verband auch Kurse für Kinder und Jugendliche zum Thema Prävention an?

Arnold: Ja, wir bieten Kurse für Kinder und Jugendliche an, in denen sie lernen, Grenzen zu setzen. Sie sollen aussprechen lernen, wenn ihnen etwas nicht passt und sich nicht unter Druck setzen lassen, auch zum Beispiel was die Trainingskleidung anbelangt. Zu meiner Zeit war noch ein enger Turn-Body Vorschrift im Sport. Heute ist das nicht mehr so. Das finde ich gut. Es ist einfach wichtig, wenn Kinder im organisierten Sport unterwegs sind, dass sie sich dort wohlfühlen. Daher versuchen wir mit unseren Schutzkonzepten auch die kleinen Vereine zu erreichen. Denen lassen wir Handlungsempfehlungen, Aushänge und Plakate zukommen, die sie dann veröffentlichen. Wir müssen Kinder und Jugendliche vor Missbrauch schützen, Präventivstrukturen schaffen, die Transparenz und Offenheit signalisieren sowie klare Verhaltensregeln aufstellen, die allen bekannt sind und ohne Vorbehalte Umsetzung finden. Umso öffentlicher dieses Thema wird, desto schwieriger wird es für Täter*innen. Es geht darum, dass sich Betroffen ermutig fühlt, sich zu melden. Für manche ist dies oft ein riesiger Schritt, weil sie sich über ihren Trainer*in hinwegsetzen müssen. Aber, das zu enttabuisieren, dabei wollen wir helfen. Grenzverletzungen jeglicher Art haben in unseren DJK-Vereinen nichts zu suchen.

Von Madeleine Spendier