Vier der Oberhirten bis heute im Amt

Schweiz: Missbrauch durch Priester – Vorwürfe gegen sechs Bischöfe

Veröffentlicht am 10.09.2023 um 09:47 Uhr – Lesedauer: 

Zürich ‐ Ein ehemaliger hochrangiger Geistlicher der katholischen Kirche in der Schweiz erhebt schwere Vorwürfe gegen sechs Bischöfe: Sie sollen in verschiedenen Fällen wissentlich sexuellen Missbrauch vertuscht haben. Vier von ihnen seien noch im Amt.

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Schwere Vorwürfe gegen sechs katholische Bischöfe der Schweiz: Ein ehemaliger hochrangiger Geistlicher wirft ihnen laut einem Pressebericht (Sonntag) Vertuschung und in einem Fall einen persönlichen sexuellen Übergriff gegen einen Jugendlichen vor. Vier der Bischöfe seien bis heute im Amt, zwei bereits im Ruhestand, berichtet die Boulevardzeitung "SonntagsBlick". Im Auftrag des Vatikans habe der Churer Bischof Joseph Bonnemain Ermittlungen gegen seine Mitbrüder aufgenommen.

Die Schweizer Bischfskonferenz bestätigte unterdessen, dass der Vatikan Ermittlungen gegen mehrere amtierende und emeritierte Bischöfe sowie weitere Kleriker wegen des Umgangs mit sexuellem Missbrauch eingeleitet hat. Den Bischöfen werde in der Hauptsache Vertuschung von Missbrauchsfällen vorgeworfen; gegen einzelne Beschuldigte stehe der Vorwurf im Raum, selber sexuelle Übergriffe begangen zu haben, hieß es am Sonntag in einer Mitteilung der Bischofskonferenz.

Einen Brief mit den entsprechenden Vorwürfen von Ende Mai an den Apostolischen Nuntius in der Schweiz, Erzbischof Martin Krebs, habe dieser an die zuständige Vatikanbehörde, das Dikasterium für die Bischöfe, weitergeleitet. Am 23. Juni 2023 habe das Dikasterium dann eine kirchenrechtliche Voruntersuchung angeordnet und Bischof Joseph Bonnemain von Chur als Untersuchungsleiter eingesetzt. Er habe bereits mit Ermittlungen begonnen, die bis Ende des Jahres abgeschlossen sein sollen, so die Erklärung. Die zuständigen Staatsanwaltschaften wurden demnach gemäß den Richtlinien der Schweizer Bischofskonferenz über die in dem Brief erwähnten Fälle informiert. "Da es sich um ein laufendes Verfahren handelt, können wir keine weiteren Angaben machen", hieß es.

Brief von früherem Generalvikar

Laut der Boulevardzeitung "SonntagsBlick" stammt der ihr vorliegende Brief an den Nuntius vom früheren Generalvikar des Bistums Lausanne, Genf und Freiburg, dem Berner Pfarrer Nicolas Betticher.

Bischof Bonnemain bestätigte laut Zeitung, dass auch Staatsanwaltschaften von Kantonen in die Vorgänge involviert seien. Weiter wolle sich der Churer Bischof mit Blick auf laufende Verfahren nicht äußern. Unklar sei, ob und welche Taten bereits verjährt sind. Für alle Beteiligten gelte die Unschuldsvermutung. Dem Bericht zufolge wird drei Priestern im Bistum Lausanne, Genf und Freiburg sexuelle Belästigung von Jugendlichen vorgeworfen. Das Bistum schweige zu den Anschuldigungen. Zusätzliche Vertuschungsvorwürfe beträfen nicht die Staatsanwaltschaft, sondern das Kirchenrecht.

Bischof Joseph Maria Bonnemain
Bild: ©picture alliance/KEYSTONE | ANTHONY ANEX

Joseph Maria Bonnemain, Bischof von Chur, habe im Auftrag des Vatikans Ermittlungen gegen seine Mitbrüder aufgenommen.

Beschuldigt ist laut "SonntagsBlick" unter anderen der Bischof von Sitten, Jean-Marie Lovey (73). Er soll von einem Opfer über sexuelle Belästigung erfahren, aber nichts unternommen haben. Loveys Sprecher widerspricht; der Bischof habe die vorgeschriebenen Schritte unternommen.

Bischof Charles Morerod (61) von Lausanne, Genf und Freiburg, soll von Betticher selbst 2011 von einem Missbrauchsfall erfahren haben. Trotzdem habe Morerod den Priester später befördert und ihn erst 2020 nach Presseenthüllungen suspendiert, so die Zeitung.

Der Schweizer Jugendbischof, Weihbischof Alain de Raemy (64), soll nach Aussage Bettichers Mitwisser eines Missbrauchsfalls gewesen sein. De Raemy widersprach dem schon 2020. Er habe lediglich erfahren, dass der Täter eine homosexuelle Beziehung mit einem Erwachsenen gehabt habe.

Sexuelle Belästigung wissentlich nicht verfolgt

Ein früherer Weihbischof im Bistum Lausanne, Genf und Freiburg soll laut Bericht etliche Fälle sexueller Belästigung in einem Sommerlager im Kanton Waadt wissentlich nicht verfolgt haben. Der daraufhin verständigte Ortsbischof Bernard Genoud habe in Rom interveniert; daraufhin sei der Weihbischof abgezogen und zum Bischof in Skandinavien ernannt worden. Laut "SonntagsBlick" weist der Würdenträger alle Vorwürfe zurück und kündigte eine Strafanzeige wegen Verleumdung an. Er habe aus Respekt gegenüber Missbrauchsopfern eine Null-Toleranz-Politik vertreten.

Der Schweizer Erzbischof und frühere Vatikan-Diplomat Jean-Claude Perisset (84), von 2007 bis 2013 Papstbotschafter in Deutschland, sieht sich ebenfalls mit Vorwürfen konfrontiert. Perisset soll laut Bericht Ende der 80er Jahre als damaliger Offizial seiner Heimatdiözese Lausanne-Genf-Freiburg von sexuellem Missbrauch durch einen Ordensmann der Kapuziner erfahren haben. Dieser sei kurz darauf in ein anderes Kloster in Frankreich versetzt worden und habe weitere Jugendliche missbraucht, schreibe Betticher in seiner Anzeige. Perisset erklärte dem "SonntagsBlick" laut Bericht, er habe nicht vertuscht. Der für den Kapuziner verantwortliche Ordensobere habe die Verantwortung übernommen und sei bei der entscheidenden Sitzung anwesend gewesen. Das Kirchenrecht sei damals anders gewesen.

Am Dienstag wollen Forschende der Universität Zürich Ergebnisse einer Pilotstudie zum Thema Missbrauch und katholische Kirche in der Schweiz vorstellen. (mpl/KNA)

10.9., 12:25 Uhr: Ergänzt um Statement der Schweizer Bischofskonferenz.