Standpunkt

Im Heiligen Land wird man ganz neu mit Sehnsucht konfrontiert

Veröffentlicht am 27.09.2023 um 00:01 Uhr – Von Abt Nikodemus Schnabel – Lesedauer: 

Bonn ‐ Wenn Dormitio-Abt Nikodemus Schnabel im deutschsprachigen Raum unterwegs ist, hört er oft sorgenvolle Fragen zum Heiligen Land. Dabei sieht er dort vor allem ein "Sicherheitsrisiko": die Wiederentdeckung und Konfrontation mit den eigenen Sehnsüchten.

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In den vergangenen Tagen durfte ich wieder mal im deutschen Sprachraum unterwegs sein, zuerst auf der Generalversammlung der Görres-Gesellschaft in Tübingen, dann auf der Jahrestagung des Hilfswerks "Initiative Christlicher Orient (ICO)" in Salzburg.

Beide Tagungen haben mir wohltuend gezeigt, wie lebendig, interdisziplinär und grenzüberschreitend im deutschsprachigen katholischen Raum nachgedacht, geforscht und diskutiert wird und dass das mantraartig vorgetragene Gerede vom "Abbruch" zumindest auf diese beiden Veranstaltungen nicht zutrifft: Hier wie dort war die jüngere Generation gut und prominent vertreten.

Am Rande solcher Großveranstaltungen gibt es natürlich auch immer wieder viele persönliche Begegnungen, bei denen sehr schnell das Gespräch auf meine Wahlheimat, das Heilige Land, kommt. Hierbei kommt es zu einem sehr deutschsprachigen Phänomen. Eine der ersten Fragen, die mir gestellt wird, ist die: "Ist es denn sicher?" – wobei ich hier etwas zu sehr verallgemeinere. Deutschsprachige Juden und Muslime sagen mir eher "Wann fliegst Du wieder zurück? Wenn ich könnte, würde ich so gerne mit Dir reisen!" Diese geschilderte Sehnsucht kenne ich ebenfalls von vielen nicht-deutschsprachigen Christen und von den deutschsprachigen Christen, die schon einmal im Heiligen Land gewesen sind.

Mich macht diese Angst immer ziemlich ratlos. Ja, in Israel und in den Palästinensischen Autonomiegebieten herrscht ein anderer Lebensstil als im deutschen Sprachraum, vielleicht könnte man ihn als "intensiv" bezeichnen. Das mag sowohl irritieren als auch faszinieren, auf jeden Fall wird man ganz neu mit dem Phänomen "Sehnsucht" konfrontiert: Sehnsucht nach Freiheit, Sehnsucht nach Frieden, Sehnsucht nach Gottesnähe.

Ich erahne, dass es vielen kirchlichen Institutionen im deutschen Sprachgebiet, seien es Pfarrgemeinden, Diözesen, Schulen, Sozialeinrichtungen, Verbände oder Bildungseinrichtungen gut täte, wenn sie sich gemeinsam auf Pilgerreise ins Heilige Land begeben würden. Und ja, dabei gibt es tatsächlich ein sehr großes Sicherheitsrisiko: die Wiederentdeckung und die Konfrontation mit den eigenen Sehnsüchten!

Von Abt Nikodemus Schnabel

Der Autor

Nikodemus Schnabel OSB ist Abt der Dormitio-Abtei in Jerusalem und Direktor des Jerusalemer Instituts der Görres-Gesellschaft (JIGG).

Hinweis

Der Standpunkt spiegelt ausschließlich die Meinung der Autorin bzw. des Autors wider.