Abbau von Denkmal ergebe "erinnerungskulturell wenig Sinn"

Kirchenhistoriker für breite Debatte über Hengsbach-Gedenken

Veröffentlicht am 27.09.2023 um 12:46 Uhr – Lesedauer: 

Köln ‐ Nach schweren Missbrauchsvorwürfen ließ am Montag das Essener Domkapitel die Statue von Kardinal Franz Hengsbach am Essener Dom abmontieren. Für Kirchenhistoriker Florian Bock erinnerungskulturell der falsche Weg.

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Der Bochumer Kirchenhistoriker Florian Bock plädiert für eine breite Diskussion darüber, wie die Erinnerung an den unter Missbrauchsverdacht geratenen früheren Essener Kardinal Franz Hengsbach aussehen kann. Angesichts der Wucht der Nachrichten in der vergangenen Woche sei sein erster spontaner Impuls gewesen, dass es im Sinne der Betroffenen richtig gewesen sei, die Statue des Bischofs am Essener Dom abzubauen, sagte der Wissenschaftler am Mittwoch dem Kölner Onlineportal "domradio.de". Nach längerem Nachdenken komme er aber zum Ergebnis, dass dies "erinnerungskulturell wenig Sinn" habe.

Bock stimmte der Bildhauerin Silke Rehberg zu, die den Abbau der von ihr geschaffenen Hengsbach-Figur zu Wochenbeginn als voreilig kritisiert hatte. Die Künstlerin, so der Wissenschaftler, habe vorgeschlagen, die Statue von den Füßen auf den Kopf zu stellen. So wolle sie zeigen, dass der einstmals verehrte Ruhrbischof jetzt in einem anderen Licht, nämlich als mutmaßlicher Täter, zu sehen sei. "Diesen Ansatz halte ich für den historisch, auch erinnerungskulturell mehr Sinn machenden – ebenso wie die Protestaktion in der letzten Woche von Missbrauchsbetroffenen, die der Statue die Augen verbunden haben", so Bock.

Nach den Worten des Kirchenhistorikers muss jetzt in einem transparenten Kommunikationsprozess überlegt werden, wie man diesem Menschen in seinen Brechungen und Ambivalenzen, wahrscheinlich auch seiner Täterschaft, gedenken könne. An der Debatte seien zuallererst Betroffene, Wissenschaftler, Vertreter der Gläubigen im Bistum Essen und zum Schluss auch das Domkapitel zu beteiligen.

Doppelmechanismus von "Machtbeanspruchung" und "Machtzuschreibung"

Bock verwies darauf, nach den Gräueltaten des Nationalsozialismus seien Bischöfe in der Nachkriegszeit als Männer Gottes anerkannt worden. Alte Fernsehaufnahmen zeigten, wie Hengsbach von sich selber sage, er stehe für das Wahre, Heilige, Schöne und Gute. Eine solche Überhöhung sei ihm auch durch Gläubige, Kleriker und die Öffentlichkeit zugeschrieben worden. Dieser Doppelmechanismus von "Machtbeanspruchung" und "Machtzuschreibung", der zulasten von Minderjährigen oder jungen Erwachsenen gegangen sei, gelte es aufzuklären.

Hengsbach (1910-1991) wird bislang Missbrauch in zwei Fällen in den 1950er- und 1960er-Jahren vorgeworfen. Das Bistum Essen und das Erzbistum Paderborn, aus dem Hengsbach stammt, veröffentlichten vorige Woche die Anschuldigungen, die aus den Jahren 2022 und 2011 stammen. Am Montag ließ das Essener Domkapitel die 2011 aufgestellte Statue von Hengsbach am Essener Dom wieder abmontieren.

In Essen ist laut Oberbürgermeister Thomas Kufen (CDU) die Umbenennung des Kardinal-Hengsbach-Platzes unausweichlich. In der Diskussion stehen auch ein nach dem Bischof benannter Platz in Gladbeck sowie jeweils eine Kardinal-Hengsbach-Straße in Bottrop und Herne, wie das "Neue Ruhrwort" berichtete. (KNA)