Der Staat muss auf die Bürger zugehen
HTML-Elemente (z.B. Videos) sind ausgeblendet. Zum Einblenden der Elemente aktivieren Sie hier die entsprechenden Cookies.
Es ist eine alltägliche Erfahrung: Im öffentlichen Bereich liegt in Deutschland vieles im Argen. Die Bahn fährt nicht pünktlich, Autobahnbrücken sind marode, die Digitalisierung kommt nur langsam voran. Bezahlbare Wohnungen werden kaum noch gebaut. Es herrscht Lehrermangel. Schulen stecken ebenso wie Krankenhäuser im Sanierungsstau. Es fehlen Pflegekräfte. Arzttermine sind knapp, Wartezeiten lang. Kurz: Verkehr, Wohnen, Bildung, Gesundheit, Soziales: Bei Aufgaben, für die der Bund, die Länder oder die Kommunen zuständig sind, rumpelt es ganz gewaltig. Man könnte die äußere Sicherheit mit der Unterausstattung der Bundeswehr sowie die Justiz mit oft überlangen Verfahren als Quellen für den Unmut in großen Teilen der Bevölkerung hinzufügen.
Weit mehr als 300.000 Menschen sind am vergangenen Wochenende gegen rechts auf die Straße gegangen. Sie haben gezeigt: Durch die von Rechten geschürte Wut gegen die Inkompetenz in der öffentlichen Daseinsfürsorge lassen sie sich nicht entmündigen. Ihre Demonstration für die freiheitliche und demokratische Rechtsordnung der Republik ist Verpflichtung für Politik, Verwaltung und Justiz, Missstände abzustellen und zu beheben. Politik, Verwaltung und Justiz – sie dürfen sich nicht weiter abschotten, nicht demonstrieren, dass ihnen der direkte Kontakt zu Bürgerinnen und Bürgern lästig ist. Sie müssen sich wieder kümmern.
Ich lebe nicht gern in einem Land, in dem ich ständig in Telefonschleifen lande, in dem mein Zug mich nicht zuverlässig von A nach B bringt, in dem ich stundenlang im überfüllten Wartezimmer sitze und nie weiß, ob mein Kind verlässlich in der Schule betreut wird und gut lernt. Ich will in meinem eigenen Land, ich will bei den Behörden, mit denen ich es zu tun habe, nicht auf mürrische Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen stoßen, ich will mit meinen Anliegen willkommen sein. Der Staat muss auf die Bürgerinnen und Bürger zugehen. Dass diese die freiheitlich-demokratische Rechtsordnung schützen wollen, haben sie am vergangenen Wochenende eindrucksvoll gezeigt.
Der Autor
Michael Böhnke ist Professor für systematische Theologie an der Bergischen Universität Wuppertal. Außerdem ist er Ethik-Beauftragter des Deutschen Leichtathletikverbands.Hinweis
Der Standpunkt spiegelt ausschließlich die Meinung der jeweiligen Autorin bzw. des Autors wider.
