Die Auswirkungen Künstlicher Intelligenz auf den Umgang mit dem Tod

Ewiges Leben und Wiedergeburt durch KI?

Veröffentlicht am 10.05.2024 um 00:01 Uhr – Von Meike Kohlhoff – Lesedauer: 

Tübingen ‐ Ein Gespräch mit dem verstorbenen Kind? Durch KIs ist das schon jetzt möglich. Aber was macht es mit einer Gesellschaft, wenn niemand mehr wirklich stirbt? Soziologe Matthias Meitzler spricht im katholisch.de-Interview über das digitale Leben nach dem Tod und dessen mannigfaltigen Implikationen.

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Ein Mensch ist verstorben, aber man kann trotzdem noch mit ihm sprechen? Mit genügend Daten ist es schon jetzt möglich, KIs so zu programmieren, dass ihre Antworten denen echter Menschen gleichen – mitsamt ihren Eigenarten und Ansichten. Das hat Auswirkungen auf die Art, wie wir mit Trauer umgehen. Mit einem Verstorbenen Menschen sprechen zu können, kann helfen, letzte Konflikte abzuschließen. Es kann aber auch süchtig machen und eine wirkliche Trauer verhindern. Matthias Meitzler arbeitet an der Universität Tübingen in einem Projekt rund um das Thema Tod und Künstliche Intelligenz (KI).

Frage: Herr Meitzler, ChatGPT revolutioniert immer mehr den Alltag. Sie sagen, dass so eine Revolution auch beim Thema Tod und Trauer bevorstehen könnte.

Meitzler: In der Trauerbegleitung und generell im psychotherapeutischen Kontext wird der Einsatz von KI-Systemen heute bereits debattiert. Eine KI als Therapeut ist kein Ersatz für einen Menschen, kann aber bei dem akuten Engpass an freien Therapieplätzen, den es in Deutschland momentan gibt, zumindest als erste Anlaufstelle dienen. Manche trauernden Personen sprechen auch lieber anonym mit einem Computer als mit einem echten Menschen. In dem Forschungsprojekt, in dem ich gerade tätig bin, geht es aber eher um die Frage: Inwiefern kann man einen verstorbenen Menschen anhand von Technologien der künstlichen Intelligenz repräsentieren beziehungsweise simulieren? Inwiefern kann man hier von einem digitalen Weiterleben sprechen? Im Unterschied zu früheren Anwendungen kann man die digitale Repräsentation des Verstorbenen nicht bloß adressieren, sondern sie antwortet auch in seinen Sinne, indem sie sein Kommunikationsverhalten nachahmt. Damit diese Simulation möglichst überzeugend wirkt, braucht es eine Vielzahl persönlicher, digitaler Daten, die der Verstorbene zu Lebzeiten hinterlassen hat.

Frage: Sie sind Soziologe und kein Theologe, aber vielleicht könnten Sie trotzdem mal aus Ihrer Sicht sagen: Spielt man Gott, wenn man einen Menschen digital (wieder-)erschafft?

Meitzler: Es geht zumindest um die Idee der Transzendenz: Denn genauso wie Religionen bedienen auch die KI-Simulationen von Verstorbenen die verheißungsvolle Vorstellung, dass der Tod nicht das Ende ist und es eine Daseinsform gibt, die über die leibliche Existenz hinausgeht. Fraglich ist, wessen Transzendenzangebot langfristig attraktiver sein wird. Es wäre vielleicht etwas plakativ, wenn man von "Gott spielen" sprechen würde. Aber man könnte die Angebote des digitalen Weiterlebens ja durchaus so lesen, dass es darum geht, die Grenzen des menschlichen Lebens zu überwinden, indem man so etwas wie eine digitale Fortexistenz ermöglicht. Auch die Kirche wird sich zu diesem Thema positionieren müssen.

Frage: Welche Auswirkungen kann es auf Menschen haben, plötzlich wieder mit verstorbenen Angehörigen sprechen zu können?

Meitzler: Das kommt darauf an, mit wem man es zu tun hat. Bei einem plötzlichen Todesfall, wo Vieles unausgesprochen geblieben ist, könnte das Sprechen mit der digitalen Version der Verstorbenen möglicherweise dabei helfen, letzte Dinge loszuwerden – mit dem Zusatz, dass man eine Rückmeldung darauf bekommen kann. In Südkorea hat man eine Mutter in einer virtuellen Umgebung mit der Nachbildung ihrer Tochter sprechen lassen. Für sie war es, wie sie sagt, eine einmalige Gelegenheit für einen versöhnlichen Abschluss. Nicht immer muss es beim digitalen Weiterleben darum gehen, den Verstorbenen dauerhaft präsent und ansprechbar zu halten. In manchen Fällen könnte es Trauernden auch schlichtweg den Abschied erleichtern.

Frage: Kann das Gespräch mit der Repräsentation des Verstorbenen nicht auch süchtig machen

Meitzler: Das ist zumindest ein weitverbreitetes Bild, das mir auch in meiner Forschung immer wieder begegnet ist. Menschen, die ich zu diesem Thema befragt habe, fürchten: Ich komme davon nicht mehr los, ich flüchte mich in eine Scheinwelt, was die Auseinandersetzung und den Trauerprozess behindert. Es kann durchaus sein, dass man eine starke Bindung zu seinem digitalen Gegenüber entwickelt, die mit einer gewissen Abhängigkeit und Einengung einhergeht – aber letztlich ist das sehr individuell.

Meitzler
Bild: ©privat

Matthias Meitzler forscht an der Universität Tübingen zum Thema Tod und KI.

Frage: Welchen Einfluss hat eine solche KI auf die Trauerkultur? Und auf Beerdigungen?

Meitzler: Auf Beerdigungen hätte es insofern keinen Einfluss, als diese seit jeher eine sehr analoge Angelegenheit sind. Ganz pragmatisch gesehen geht es ja zunächst darum, mit einem toten Körper umzugehen. Diese Notwendigkeit stellt sich für alle Kulturen, auch wenn sie damit zum Teil sehr unterschiedlich verfahren. Die Frage nach dem Wandel bezieht sich darum nicht so sehr auf den ohnehin unsichtbaren toten Körper, sondern mehr darauf, wie sich Menschen den früheren lebendigen Körper dieser Person in ihrer Erinnerung vergegenwärtigen. Da tut sich schon seit längerer Zeit etwas, gar nicht mal so sehr aufgrund von KI, sondern u.a. auch durch Mobilität. Menschen leben oft nicht mehr an dem Ort, wo die Familie bestattet wurde. Ich habe auch mit Hinterbliebenen gesprochen, die gesagt haben, dass sie kein Grab mehr zum Gedenken brauchen. Generell verlieren feste Orte und der immobile tote Körper ein stückweit an Bedeutung. Spätestens hier kommt die Digitalisierung ins Spiel: Denn anders als ein analoges kann man ein virtuelles Grab oder eine bestimmte Online-Gedenkseite je nach aktueller Befindlichkeit und von fast jedem beliebigen Ort aus flexibel verändern.

Frage: Wäre es bei einer Beerdigung denkbar, dass der Tote selbst als KI dabei ist?

Meitzler: Ja, das gibt es vereinzelt schon. In einem konkreten Fall wurde eine ältere Frau vor ihrem Tod sehr ausführlich zu ihrem Leben interviewt und dabei mit mehreren Kameras aus unterschiedlichen Perspektiven gefilmt. Während der Trauerfeier konnten die Gäste der Verstorbenen dann Fragen stellen, die von ihrer digitalen Repräsentation beantwortet wurden.

Frage: Wie wird sich das in Zukunft entwickeln? Kann man dann seine verstorbene Oma auch noch Jahre später als KI erstellen lassen?

Meitzler: Rein technisch gesehen braucht man eigentlich nur ausreichend Daten, die das Kommunikationsverhalten der Großmutter bzw. ihre optische Erscheinung hinreichend repräsentieren. Abgesehen davon, dass bereits Verstorbene kein Einverständnis mehr bezüglich der weiteren Verwertung ihrer Daten geben können, besteht das praktische Problem, dass die jetzt lebende Großelterngeneration relativ wenig digitale Daten hinterlassen hat. Bei späteren Generationen, den sogenannten Digital Natives, die mit dem Internet aufgewachsen sind und eine viel stärkere Online-Präsenz haben, ergibt sich wiederum eine völlig andere Datengrundlage. In einer zukünftigen Gesellschaft, die fast nur noch aus Digital Natives bestehen wird, dürfte auch der Umgang mit Sterben, Tod, Trauer und Erinnerung vermehrt digital orientiert sein. Auch die bis dahin weiter fortgeschrittenen Technologien der Künstlichen Intelligenz werden dann voraussichtlich eine noch größere Rolle spielen.

Frage: Wenn es immer mehr digitale Menschen auf der Welt gibt, die nie verschwinden, gibt es ja auch immer mehr Gedankengut und Kunst. Überfordert das die Menschheit nicht auch irgendwann?

Meitzler: Schon jetzt sammeln sich Datenberge an, nicht nur über Prominente, sondern auch über Alltagsmenschen. Da kann es schnell unübersichtlich werden und eine effektive Filterung von Informationen erscheint unumgänglich. Was man letztlich zu sehen bekommt, wird immer stärker durch Algorithmen bestimmt. Doch auch diese Algorithmen sind nicht neutral, sondern hängen von den eingegeben Daten und den Entscheidungen von Menschen mit bestimmten politischen und wirtschaftlichen Interessen und Zielen ab. Auf diese Weise können sich etwa Voreingenommenheiten oder Diskriminierungen digital reproduzieren. Umso wichtiger ist die frühzeitige Ausbildung einer Medienkompetenz, die auch die kritische Reflexion und die Fähigkeit umfasst, digitale Inhalte zu verstehen und entsprechend zu bewerten. Abgesehen davon stellt sich die ethische Frage, ob sämtliche Überzeugungen und Äußerungen, beispielsweise auch demokratiefeindliche politische Positionen, im Sinne des digitalen Weiterlebens überdauern sollen. Für das gesellschaftliche Zusammenleben besteht hier in jedem Fall noch ein größerer Klärungsbedarf.

Von Meike Kohlhoff