Clemens Hermann Wagner und Elisabeth Fock über die Zukunftsfähigkeit des Fachs

Nachwuchstheologen: Können Umbruchszeit in Theologie und Kirche prägen

Veröffentlicht am 07.06.2024 um 00:01 Uhr – Von Matthias Altmann – Lesedauer: 

Bonn/Freiburg ‐ Die Kirche hierzulande befindet sich in einer Umbruchszeit. Was bedeutet das für eine universitäre Theologie, die immer wieder angefragt wird? Ein Nachwuchstheologe und eine Nachwuchstheologin sprechen im katholisch.de-Interview über Herausforderungen für das Fach – und diejenigen, die es betreiben.

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Es ist ein willkommener Zufall: Wenige Tage, nachdem die deutschen Bischöfe sich klar für die Theologie an der Universität ausgesprochen haben, findet an der Theologischen Fakultät in Freiburg eine Veranstaltung statt, die sich mit der Zukunft der Theologie auseinandersetzt. Denn die Theologie erlebt eine große Umbruchszeit, die Studentenzahlen werden immer geringer – und das Fach immer stärker kritisch hinterfragt. Was sind also Inhalte, Aufgaben und Herausforderungen, derer sich junge Theologinnen und Theologen in dieser Situation annehmen sollen? Welchen Beitrag kann eine Theologie im Ringen um die Fragen der Zeit leisten? Und welche Rolle soll eine Theologie im universitären Kontext spielen? Vier Freiburger Theologiedoktorandinnen und -doktoranden haben den diesjährigen Dies Academicus der Fakultät unter dem Titel "What's behind? Fenster zur Theologie" organisiert und wollen mit dem Programm aktuelle Forschungsdiskurse in der Theologie aufgreifen. Zwei von ihnen, Clemens Hermann Wagner (Lehrstuhl für Dogmatik) und Elisabeth Fock (Arbeitsbereich für Religionspädagogik und Katechetik) sprechen im Interview darüber, wie sie sich die universitäre Theologie der Zukunft wünschen.

Frage: Herr Wagner, Frau Fock, Sie gestalten am Montag den Dies Academicus an der Theologischen Fakultät in Freiburg und stellen dabei Fragen nach der Zukunftsfähigkeit der universitären Theologie. Inwiefern kann dieser Rahmen Impulse für die Debatte dazu geben?

Wagner: Uns geht es in erster Linie um inhaltliche Fragen, nicht um strukturelle. Daher haben wir uns entschieden, die theologischen Disziplinen, die wir an der Freiburger Fakultät haben, die biblisch-historische, die systematische und praktische Theologie sowie die Religionswissenschaft, als Blaupause zu nehmen, um dann mit jungen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern von anderen Fakultäten über sehr konkrete und gegenwärtige Themen zu sprechen, zu denen Theologie und Religionswissenschaft etwas zu sagen haben.

Fock: Wir möchten damit eine junge Theologie und die Vielfalt theologischer Forschung sichtbar machen. Wir glauben, dass wir als theologischer Nachwuchs eine eigene kritische Stimme einbringen können, die dabei hilft, eine zukunftsfähige Theologie zu gestalten.

Frage: Inwiefern blickt der theologische Nachwuchs anders auf Themen?

Fock: Als junge Theologinnen und Theologen nehmen wir mit einem sehr kritisch-wachsamen Geist relevante und aktuelle Fragestellungen in den Blick. Das ist vielleicht auch ein Privileg unserer Generation, das es auch zu nutzen gilt. Wir nehmen sehr deutlich wahr, dass Kirche und Theologie im Umbruch und die Linien, die früher als unumstößlich galten und die es nicht zu übertreten galt, heute brüchig geworden sind. Damit gilt neu zu verhandeln, was sagbar ist. Es ist eine spannende Zeit, die wir prägen können.

Frage: Was meinen Sie denn mit unumstößlichen Linien und neu verhandeln, was sagbar ist?

Fock: Mit Blick auf intransparente Nihil-obstat-Verfahren wurden und werden leider immer noch diese Linien lehramtlich festgelegt. Lange Zeit waren beispielsweise gendersensible Fragestellungen in der theologischen Forschung unterpräsentiert. Ich erinnere mich daran, dass in diesem Kontext eine etablierte Theologieprofessorin erzählte, dass sie solche Forschungsthemen erst bearbeitete, als sie eine Professur innehatte. Hier nehme ich eine neue Dynamik wahr, dass sich nun auch junge Theologen und Theologinnen zu diesen Themen kritisch zu Wort melden.

Die Theologiedoktoranden Elisabeth Fock und Clemens Hermann Wagner
Bild: ©Samuel Kramer / Privat / Montag: katholisch.de

Theologie und Kirche hätten rein strukturell betrachtet noch immer ein enges Verhältnis, sagt Elisabeth Fock. "Dagegen nehme ich in Bezug auf die Inhalte eine große Spannung wahr, die ganz persönlich gesprochen mitunter unaushaltbar ist." Clemens Hermann Wagner ist überzeugt, dass eine wache Theologie einer "bisweilen langsamen Kirche viele Impulse geben" könne. Beide organisieren den Dies Academicus an der Universität Freiburg.

Frage: Sie haben von einer Umbruchszeit gesprochen: Die Theologie wird sich künftig gerade im Kontext der Universität stärker behaupten müssen. Wie nehmen Sie den Stellenwert der Theologie an der Universität wahr?

Wagner: Ich finde es immer wieder überraschend, welches hohe Interesse andere Fakultäten mit deren Studierenden und Lehrenden daran haben, was wir in der Theologie bearbeiten. Aber es gilt eben zu zeigen, dass wir als Theologinnen und Theologen wissenschaftliche Diskurse wachsam verfolgen und hier anschlussfähig sind. Lange hat sich die Theologie einfach so darauf verlassen können, dass sie etablierte Strukturen habt, die etwa durch Konkordate abgesichert sind. Das ist noch immer ein großes Privileg. Aber zugleich kommt es in dieser Umbruchszeit noch mehr darauf an, innherhalb des universitären Kontextes zeigen zu können, welche Vielfalt und Kreativität die Theologie einzuspeisen hat. 

Fock: An der Frage, die Sie stellen, lässt sich ablesen, welche Aufgaben Theologie für sich klären muss. Es steht aus meiner Sicht dringend an, die Theologie in ihren Verhältnisbestimmungen neu festzulegen. Wie versteht sich Theologie als Wissenschaft selbst, wie verortet sie sich in der Gesellschaft? Wie versteht sich Theologie im Verhältnis zu anderen Wissenschaften? Und was ist mit Inter- oder Transdisziplinarität? Wie versteht sich Theologie im Verhältnis zur Kirche und lehramtlichen Aussagen – gerade in ihrer Forschung? Ich denke, diese Fragen sind weniger funktional zu beantworten, sondern zuallererst inhaltlich.

Frage: Wie sehen Sie das Verhältnis von Theologie und Kirche?

Fock: Ich habe ja bereits die Nihil-obstat-Verfahren angesprochen. Und ich meine auch mit Blick auf institutionelle Privilegien, die die Fakultäten aktuell immer noch haben, dass dieses Verhältnis rein strukturell gesehen immer noch ein sehr enges ist. Dagegen nehme ich in Bezug auf die Inhalte eine große Spannung wahr, die ganz persönlich gesprochen mitunter unaushaltbar ist. Ich glaube, im ersten Fall täte es Theologie gut, sich von manchen Privilegien zu verabschieden und sich von machtvollen Abhängigkeiten zu lösen. Was den zweiten Aspekt angeht, meine ich, dass es dringend geboten ist, dass Kirche theologische Forschung ernst nimmt und in Bezug auf lehramtliche Entscheidungen auch rezipiert.

Wagner: Wenn die Theologie in ihrem Verhältnis zum Lehramt ein Korrektiv sein kann, ist viel gewonnen. In meiner Wahrnehmung sind viele der kirchlichen Debatten im Vergleich zu den gesellschaftlichen, politischen und kulturellen Entwicklungen anachronistisch. Für eine freiheitlich demokratische Gesellschaft hat eine Kirche, die als Institution mittelalterlich-ständisch organisiert ist, wenig Überzeugendes und Glaubwürdiges einzuspeisen. Dabei bleibt doch die biblische Botschaft ungemein aktuell; die Herausforderung für die Kirche scheint mir vor allem zu sein, diese glaubwürdig und konsequent zu vertreten. Hier kann eine wache Theologie einer bisweilen langsamen Kirche viele Impulse geben.

Frage: Die universitäre Theologie wird auch in der Kirche selbst infrage gestellt. Manche sehen das Heil in kirchlichen Hochschulen. Persönlich gefragt: Haben Sie Angst um Ihre akademische Laufbahn?

Wagner: Nein, das habe ich nicht. Ich sehe von Seiten der Kirche ein hohes Interesse, die Fakultät zu erhalten und zu stärken. Dass sich die Deutsche Bischofskonferenz in dieser Woche für die Theologie an staatlichen Universitäten ausgesprochen hat, sehe ich angesichts der kirchlichen Umbruchszeiten als wichtiges Zeichen. An staatlichen Universitäten, im Austausch mit anderen Fächern und Disziplinen ist es Theologischen Fakultäten dann möglich, wachsame und kritische Theologinnen und Theologen ausbilden zu können, die etwas zu den gegenwärtigen Debatten beitragen können.

Das Theologiestudium – Eine Universität im Kleinen

Theologiestudieren ist nur was für fromme Duckmäuse? Keineswegs! Im Laufe der Jahrhunderte hat die Auseinandersetzung mit dem Glauben eine Vielzahl an Fachgebieten und wissenschaftlichen Methoden entwickelt. Von der Exegese bis zur Religionsphilosophie ist da für jeden etwas dabei – ein Überblick.

Frage: Manche begrüßen eine Theologie an kirchlichen Hochschulen ja deshalb, weil sie sich damit eine Rückkehr auf ihre Kernkompetenz erhoffen, sprich Glaubensinhalte stärker zu reflektieren und zu vertiefen. Dadurch versprechen sie sich eine stärkere Profilierung der Theologie im Diskurs.

Wagner: Theologische Fakultäten haben den Anspruch, die Gottesfrage vor dem Forum der Vernunft zu bearbeiten. Das ist doch die Kernaufgabe schlechthin, die sie inmitten einer staatlichen Universität sehr gut erfüllen kann.

Fock: Theologie an kirchliche Hochschulen "auszulagern", leistet aus meiner Sicht auch einem Ideologieverdacht Vorschub. Ein konkretes Beispiel: Theologie an kirchlichen Hochschulen darf am Ende nicht dazu dienen, genehmes Personal zu rekrutieren.

Frage: Was macht denn Theologie im universitären Fächerkanon aus Ihrer Sicht unverzichtbar?

Wagner: Ich nehme die Theologie als ein großartiges und einzigartiges "Studium Generale" wahr. Da ist etwa die Auseinandersetzung mit biblischen Texten und ihre Exegese, da ist die Tiefe des systematischen und philosophischen Denkens, der Dialog mit den Künsten und der Kultur und schließlich die Bearbeitung aktueller gesellschaftspolitischer Fragen, wie sie vor allem in der Praktischen Theologie betrieben werden. Will man all diese Inhaltsbereiche der "Universitas" verbinden, ist man in der Theologie gut aufgehoben.

Fock: Was noch ein Proprium der Theologie sein kann: dieses Potenzial, sich zu transzendieren, also nicht im Vorfindlichen zu bleiben, sondern darüber hinaus zu fragen – und damit noch andere Denkoptionen zuzulassen. Das macht Theologie zu einem Ort, an dem die Kontingenz des Menschseins noch deutlich spürbarer wird.

Frage: Und welche Wissenschaften und deren Erkenntnis entfalten eine Relevanz für theologische Felder?

Wagner: Ein noch intensiverer Austausch mit den Sozial- Bildungs- und Geisteswissenschaften wird ein Zukunftsfeld für die Theologie sein. Sie ist auch gut beraten, bewusst an die "Andersorte" der Kunst oder der Literatur zu gehen. Gerade da ist Theologie, weil vom Menschsein in einem sehr existenziellen Sinn die Rede ist.

„Theologie an kirchliche Hochschulen "auszulagern", leistet aus meiner Sicht auch einem Ideologieverdacht Vorschub.“

—  Zitat: Elisabeth Fock

Frage: Was ist dann die Aufgabe der Theologie im wissenschaftlichen und daraus resultierend im gesellschaftlichen Kontext?

Fock: Theologie muss nach wie vor eine starke, kritisch-widerständige Stimme sein. Aus ihrem eigenen Selbstverständnis heraus hat sie etwas anzubieten – das ist nahezu biblisch gesprochen: sich für die Ausgegrenzten, Marginalisierten einzusetzen. Und gleichzeitig als Wissenschaft in einer interdisziplinären Arbeitsweise im Ringen um die Fragen der Zeit eine profilierte Antwort zu geben: zur Gestaltung der Zukunft, zur persönlichen Lebensgestaltung, kurzum: zu Fragen des Menschseins.

Wagner: Wenn die Theologie es damit schafft, eine glaubwürdige Anthropologie zu sein, die die Möglichkeit des Glaubens und die Suche nach Gott einschließt, wäre viel gewonnen. Dieser Zugang findet auch ein hohes Interesse unter Studierenden anderer Fakultäten. Wir können somit aufzeigen, was die Theologie alles kann, und dass sie mit ihren Fragen aktuell ist.

Frage: Machen wir mal den Praxistest: Als große Fragen der Zeit gelten Klima, Migration, Gleichstellung, globale Ungerechtigkeiten. Welchen Beitrag kann eine Theologie im Ringen um diese Themen leisten?

Wagner: Sie wird hier natürlich keine eindeutigen und konkreten Problemlösungen liefern können. Aber sie kann für diese Fragen sensibilisieren und sie kann zeigen, was aus der biblischen Botschaft oder aus den Erkenntnissen der systematischen und praktischen Theologie Ansätze sein können, wie man diesen Fragen begegnen kann. Schließlich kann sie dann ihr sozialkritisches Potenzial ausschöpfen: schauen, wer leidet und wer am Rand steht, und Handlungsoptionen aufzeigen.

Frage: Die Theologie sozusagen als ehrlicher Makler in gesellschaftlichen Debatten?

Fock: Genau. Die Theologie kann und muss sich immer wieder da kritisch einbringen, wo Mensch und Schöpfung unter die Räder gerät. Damit wird sie der Rede von Gott gerecht.

Von Matthias Altmann

Hinweis

Unter dem Titel "What's behind? Fenster zur Theologie" findet am Montag, 10. Juni, der Dies Academicus der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Freiburg statt. Er präsentiert durch Vorträge und Workshops aktuell Forschungsdiskurse aus den Disziplinen der historisch-biblischen, systematischen, praktischen Theologie und Religionswissenschaft. Einen literarischen und performativen Beitrag leistet das Künslter*innenkollektiv "Ministerium für Mitgefühl".