Verfassungsgericht entscheidet am Dienstag über umstrittene Familienhilfe

Kippt Karlsruhe das Betreuungsgeld?

Veröffentlicht am 20.07.2015 um 00:01 Uhr – Von Diana Niedernhöfer (dpa) – Lesedauer: 
Justiz

Karlsruhe ‐ Von Beginn an war es umstritten, jetzt könnte Karlsruhe es kippen: Das Betreuungsgeld für Eltern, die ihre Kleinkinder nicht in einer Kita betreuen lassen. Am Dienstag entscheiden die obersten deutschen Richter über die Geldleistung.

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Das SPD-geführte Hamburg hatte gegen die Leistung geklagt, die 2013 nach hartem politischen Ringen auf Betreiben der CSU eingeführt wurde. Monatlich 150 Euro erhalten diejenigen Eltern, die ihr Kleinkind zu Hause lassen. Kritiker sehen darin ein Instrument, das Frauen von ihrem Arbeitsplatz fernhält.

Doch in der Verhandlung ging es erst einmal weniger um die inhaltlichen Kritikpunkte an der Prämie als um die Frage, ob der Bund dafür überhaupt zuständig ist. Denn nach dem Grundgesetz darf er in Bereichen wie diesem nur dann Gesetze erlassen, wenn es zur "Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse im Bundesgebiet" notwendig ist - also regionale Unterschiede ausgeglichen werden müssen.

Zweifel am Sinn der Geldleistung

Die Richter äußerten starke Zweifel daran, dass die Leistung diesen Sinn hat: So sei das Betreuungsgeld doch gar nicht ausgelegt, meinte ein Richter etwa. Die Juristen schienen den Argumenten der Bundesregierung eher nicht folgen zu wollen, wonach die Prämie Teil eines Gesamtkonzeptes bestehend aus Kita-Förderung und Betreuungsgeld darstellt - und somit der Bund zuständig sei.

Bild: ©picture alliance/dpa

Als Landesministerin in Mecklenburg-Vorpommern war Manuela Schwesig eine der größten Kritikerinnen des Betreuungsgeld. Als Bundesministerin muss sie die Leistung nun jedoch vor Gericht verteidigen.

Der Senat schien dann außerdem eine Art Dammbruch zulasten der Länderkompetenzen bei der Gesetzgebung zu befürchten: Mit einem angeblichen Gesamtkonzept dürfe der Bund dann ja alles regeln, auch die Schulpolitik, merkte Richter Johannes Masing an.

Abgesehen davon war die Verhandlung reich an politisch pikanten Details: Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig (SPD) musste eine Leistung verteidigen, die sie früher vehement abgelehnt hatte. Und ihr Staatsminister Ralf Kleindiek, der das für sie in Karlsruhe übernahm, hatte in seiner Zeit als Staatsrat in Hamburg die Klage des Landes für das Verfassungsgericht mit ausgearbeitet.

Richterin: Sind Sie sich sicher, dass Sie das wollen?

Bayern schickte zudem seine Familienministerin Emilia Müller (CSU). Sie verteidigte vor Gericht vehement eine Leistung, die den Ländern auf Dauer Kompetenzen bei der Gesetzgebung nehmen könnte, sollten die Karlsruher Richter die Prämie doch durchwinken. Dass ausgerechnet das auf seine Länderzuständigkeit sonst so bedachte Bayern diese Rolle einnahm, wunderte: "Sind Sie sich sicher, dass Sie das wollen?", fragte etwa Richterin Gabriele Britz.

Später ging es auch um inhaltliche Fragen: Ob etwa die Leistung den Gleichbehandlungsgrundsatz verletzt, weil dem Statistischen Bundesamtes zufolge knapp 95 Prozent der Bezieher weiblich sind.

Linktipp: Herdprämie oder Wahlfreiheit?

Jetzt soll es also endgültig kommen: Am Freitag passierte das Betreuungsgeld den Bundesrat. Damit erhalten ab August 2013 die Eltern eine staatliche Unterstützung, die ihr unter dreijähriges Kind zur Betreuung nicht in eine öffentlich geförderte Einrichtung geben. Ob dies zugleich das Ende der mehrjährigen Debatte über eines der umstrittensten Vorhaben der Regierung bedeutet, ist mehr als ungewiss. Die SPD erklärte bereits, das Gesetz bei einem Regierungswechsel sofort wieder abschaffen zu wollen.

Bayern sieht das nicht so: Das Betreuungsgeld sei nicht nur Anerkennung für häusliche Betreuung der Kinder, sagte Ministerin Müller in Karlsruhe. "Es gibt Eltern mehr Wahlfreiheit bei der Gestaltung ihres Familienlebens".

Falsche Anreize durch das Betreuungsgeld?

Die Richter fragten auch, ob das Gesetz falsche Anreize liefere: Besonders Kinder bildungsferner Familien und solche mit Migrationshintergrund seien auf den Besuch einer Kita angewiesen, argumentierte nämlich Hamburgs Familiensenator Detlef Scheele (SPD). Das warf die Frage auf, ob diese finanziell oft schwachen Eltern dann wegen der Prämie eventuell auf eine Kita verzichteten.

Sollte Karlsruhe das Gesetz kippen, wäre das Betreuungsgeld nicht zwangsläufig ganz vom Tisch. Die Länder könnten zugreifen und die Prämie selbst einführen. Ob und in welcher Form es aber ein - von der SPD vehement abgelehntes - "Landesbetreuungsgeld" gibt, hängt auch davon ab, ob, und wenn ja wie die Richter sich inhaltlich zu der umstrittenen Leistung äußern.

Von Diana Niedernhöfer (dpa)