Bibelwerk-Direktorin über die Arbeiten an der Einheitsübersetzung

Die Kunst des Übersetzens

Veröffentlicht am 02.08.2015 um 00:01 Uhr – Von Sophia Michalzik – Lesedauer: 
Die Kunst des Übersetzens
Bild: © KNA
Bibel

Bonn ‐ "Der Übersetzer ist ein Verräter!" So lautet zumindest ein italienisches Sprichwort. Bibelwerk-Leiterin Katrin Brockmöller erklärt im Interview, was damit gemeint ist und warum es ab und zu eine sprachliche Überprüfung der Heiligen Schrift braucht.

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Frage: Frau Brockmöller, die Revision der Lutherbibel steht kurz vor dem Abschluss. Auch die Einheitsübersetzung wird derzeit überarbeitet. Wie ist hier der Stand der Dinge?

Katrin Brockmöller: Die Überarbeitung des Alten und Neuen Testaments sind nach meinen Informationen fertig abgeschlossen, die Deutsche Bischofskonferenz sowie weitere zuständige Gremien haben der Revision zugestimmt. Nun liegen die Texte im Vatikan und warten auf die endgültige Zustimmung und Freigabe. Neben den deutschen Bistümern sind auch weitere deutschsprachige Diözesen, zum Beispiel aus Österreich und der Schweiz mit einbezogen.

Frage: Warum sind Revisionen notwendig?

Brockmöller: Die Einheitsübersetzung ist aus den 1970er Jahren. Mittlerweile gibt es neue wissenschaftliche Erkenntnisse. In der Einheitsübersetzung gibt es zum Beispiel im Römerbrief eine Stelle, in der Paulus Andronikus und Junias grüßt. Durch textkritische Analysen hat man aber herausgefunden, dass Junias eine Frau ist: Junia. Paulus grüßt also ein Apostelehepaar. In der neuen Einheitsübersetzung wird das korrigiert. Außerdem hat sich in den vergangenen 40 Jahren nicht nur die Sprache, sondern auch die Theologie verändert. So ist man heute viel bemühter, Antijudaismen zu vermeiden. Natürlich steht das Frühe Christentum mit Teilen des Judentums in einer Auseinandersetzung. Teilweise versteht es sich aber auch als neue Bewegung innerhalb des Judentums. Da ist man sehr viel vorsichtiger und sensibler geworden. Im Römerbrief heißt es über Juden beispielsweise: "Vom Evangelium her gesehen sind sie Feinde Gottes." Im Griechischen heißt es nur: "Sie sind eure Feinde." Es ist aber ein Unterschied, ob die Juden Gegner im Diskurs sind oder Gegner Gottes.

Dr. Katrin Brockmöller ist Direktorin des Katholischen Bibelwerks.
Bild: ©privat

Katrin Brockmöller ist Direktorin des Katholischen Bibelwerks. Katholisch.de hat sie erklärt, warum Revisionen von Bibelübersetzungen von Zeit zu Zeit nötig sind.

Frage: Gibt es noch weitere Beispiele für Veränderungen in der Einheitsübersetzung?

Brockmöller: In den griechischen Texten ist oft von "adelphoi" – "Brüdern" – die Rede. Die griechische Sprache denkt an dieser Stelle aber inklusiv, also an Männer und Frauen. Im Deutschen denken wir beim Begriff "Brüder" aber nur an Männer. An einigen Stellen der Einheitsübersetzung wird also in Zukunft "Schwestern und Brüder" stehen, zum Beispiel im ersten Thessalonicher-Brief. Außerdem werden bei der Revision auch logische Fehler behoben: Im Johannesevangelium gibt es den Vers "Unterwegs sah Jesus einen Mann, der seit seiner Geburt blind war". Später heißt es, er konnte "wieder sehen". Das geht aber nicht, wenn er von Geburt an blind war, weil er dann noch nie sehen konnte. Solche Fehler passieren bei so umfangreichen Texten, werden aber jetzt korrigiert.

Frage: Es gibt unterschiedliche Arten, Texte zu übersetzen. Läuft man durch eine kommunikative, also eine freiere Übersetzung, wie beispielsweise bei der "Gute Nachricht Bibel" nicht Gefahr, den Sinn zu verfälschen?

Brockmöller: Im Italienischen gibt es das Sprichwort "Der Übersetzer ist ein Verräter". Damit ist gemeint, dass man bei einer Übersetzung nie alles mitübersetzen kann, was in einer Sprache mitschwingt. "Die Gute Nachricht Bibel" gehört genau wie die Einheitsübersetzung zu den kommunikativen Übersetzungen. Sie versuchen die Wirkung bei den Lesern zu erreichen, den der Ursprungstext anzielte.  Damit verfälscht man nicht den Text. Man verfälscht ihn eher, wenn man wortwörtlich übersetzt, weil man so nicht alle Assoziationen transportiert. Ein eindrückliches Beispiel ist der  Johannesprolog. Da heißt es: "Und das Wort ist Fleisch geworden." Das griechische Wort "sarx" im Original bedeutet auch Fleisch. Im Kontext der johanneischen Theologie ist Fleisch ein Gegenbegriff zu allem Geistigen. Die "Bibel in gerechter Sprache" hat "sarx" mit "Materie" übersetzt, um den Kontrast noch klarer zu machen. Hier wurde sehr kommunikativ übersetzt, damit der Satz die richtige Wirkung beim Leser erhält. Man soll aufhorchen. Bei "Fleisch" horchen Katholiken nicht mehr auf. Die Einheitsübersetzung ist aber nicht nur eine kommunikative Übersetzung, sondern auch eine liturgische.

„In der Einheitsübersetzung merkt man beim Neuen Testament nicht, dass die jeweiligen Schriftsteller alle ihre eigene Sprache hatten.“

—  Zitat: Kathrin Brockmöller

Frage: Was bedeutet das?

Brockmöller: Sie muss auch für die Liturgie passend sein, also eine Sprache haben, die man gut hören kann und die nicht gegen die Tradition geht oder festen Gebeten, wie im oben genannten Fall dem "Angelus", widerspricht. Dort heißt es ebenfalls "Und das Wort ist Fleisch geworden". Deshalb bleibt das auch in der neuen Fassung so bestehen.

Frage: Wie sehr unterscheidet sich die Lutherbibel von der Einheitsübersetzung?

Brockmöller: Der Grundunterschied ist die Sprache. Die Lutherübersetzung stammt aus dem 16. Jahrhundert. Nun arbeitet man daran, dass dieser Text von damals in der Moderne verständlich bleibt. Man will aber den Klang und diese wahnsinnige Sprachgewalt behalten. Die Einheitsübersetzung entstand in der 1970er Jahren, es wurde ganz gezielt in gehobenes Deutsch übersetzt. Ein weiterer Unterschied ist die Kanonstruktur: Die Spätschriften, also zum Beispiel Jesus Sirach oder die Makkabäerbücher, sind in der Lutherbibel gesondert aufgeführt. Auch das Neue Testament hat eine andere Reihenfolge. Luther mochte beispielsweise den Jakobusbrief nicht und hat ihn ganz ans Ende gestellt. Die Einheitsübersetzung endet hingegen mit der Offenbarung des Johannes.

Frage: Warum gibt es überhaupt so viele Übersetzungen?

Brockmöller: Die meisten Menschen können kein Griechisch oder Hebräisch lesen. Es war also eine Grundsatzentscheidung der Kirchen, die Texte in ihre Landessprache zu übersetzen. Außerdem gibt es Übersetzungen für bestimmte Zielgruppen. Die "Gute Nachricht Bibel" oder die "Neues Leben Bibel" sind beispielsweise noch viel mehr an moderne Sprachgewohnheiten angepasst. Interessant ist auch die Bibelübersetzung der beiden jüdischen Philosophen Martin Buber und Franz Rosenzweig. Hier wird besonders die jüdische Sichtweise vermittelt. Dann gibt es auch noch eher wissenschaftliche Versionen wie  das "Müncher Neue Testament". Darin wird sehr nah am griechischen Text Wort für Wort übersetzt.

Frage: Warum gibt es solche wissenschaftlichen Übersetzungen?

Brockmöller: In der Einheitsübersetzung merkt man beim Neuen Testament beispielsweise nicht, dass die jeweiligen Schriftsteller alle ihre eigene Sprache hatten. So sind das Johannesevangelium oder auch der Römerbrief von der Sprache eigentlich viel gehobener und von der Satzstruktur komplizierter als beispielsweise das Markusevangelium. Wenn man sich also mit der Theologie der einzelnen Autoren beschäftigen will, braucht man andere Übersetzungen als die Einheitsübersetzung.

Zur Person

Katrin Brockmöller wurde 1973 in Passau geboren. Sie studierte Katholische Theologie in Passau, Jerusalem und Würzburg. Nach Abschluss der Promotion 2003 war sie zwei Jahre als Bildungsreferentin an der Katholischen Landvolkshochschule St. Gunther in Niederalteich tätig. Von 2006-2014 wirkte sie als Dozentin am Theologisch-Pastoralen Institut für Fort-und Weiterbildung der Diözesen Limburg, Mainz und Trier. Seit 1. Dezember 2014 ist sie Direktorin des Katholischen Bibelwerks e.V.
Von Sophia Michalzik