"Taylor Swift ist keine Heilige", aber...

Taylor-Swift-Gottesdienste: Geht es hier noch um Gott?

Veröffentlicht am 23.05.2025 um 00:01 Uhr – Von Carina Adams – Lesedauer: 

Bonn ‐ Die milliardenschwere Popsängerin füllt nicht nur Konzerthallen, sondern seit einiger Zeit auch Gotteshäuser und Theologieseminare. Geht es da noch um den Glauben – oder eher um die Verehrung einer Pop-"Ikone"?

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Die Heidelberger Heiliggeistkirche hat ein neues Konzept, um ihre Kirchenbänke sonntags zu füllen. Für Taylor-Swift-Gottesdienste kommen nicht nur Gläubige aller Altersgruppen in Scharen in die Kirche, sie reservieren sich sogar vorab Sitzplätze! Die Musik der Amerikanerin beeinflusse sowohl die liturgische als auch die inhaltliche Ausrichtung der Gottesdienste "maßgeblich", erklärt der zuständige Pfarrer Vincenzo Petracca.

Aber hat Taylor Swifts Musik tatsächlich theologisches Potential? Was kann Kirche von dem Erfolg der Sängerin lernen? Und birgt ein Taylor-Swift-Gottesdienst die Gefahr, dass Gott nicht mehr im Vordergrund steht? All diese Fragen haben sich die Teilnehmenden des Workshops "Take us to Church, Taylor!" an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien gestellt.

Sängerin Tine Wiechmann interpretiert Songs der Musikerin Taylor Swift bei einem Gottesdienst in der Heiliggeistkirche in Heidelberg.
Bild: ©KNA/Volker Hasenauer

Sängerin Tine Wiechmann interpretiert Songs von Taylor Swift beim Gottesdienst in der Heiliggeistkirche in Heidelberg.

Auslöser für den Workshop war für Mitorganisatorin Eva Puschautz die Anschlagsdrohung auf das Taylor-Swift-Konzert im vergangenen Sommer in Wien. Sie selbst war vorher kein "Swiftie", doch die Erfahrung mit der Fangemeinde, "die es schafft, aus einem furchtbaren Erlebnis trotzdem etwas Buntes und Fröhliches und Unterstützendes zu bauen", habe sie fasziniert.

Genau wie Pfarrer Petracca, der schon mehrere Gottesdienste zu "Pop-Ikonen" gestaltet hat, untersuchen die Teilnehmenden des Workshops die Texte der Sängerin auf religiöse Motive. Ethikerin und ebenfalls Mitorganisatorin Linda Kreuzer erklärt, dass Taylor Swift "sehr wohl religiöse Sprache verwendet, diese aber nicht konkret definiert. Sie lässt vieles offen. Es gibt einen Deutungshorizont, den sie anbietet, aber es sind immer Leerstellen in ihren Texten."

Bis zum "Lover"-Album 2019: "In dem Lied "Soon you'll get better" beschreibt Swift, dass sie zu Jesus betet, und man kann das als eine Art Bekehrung oder Neufinden von Glauben verstehen", erklärt Neven Du Mont, die für den Workshop einen Vortrag hielt.

Straßenschild "Swiftkirchen"
Bild: ©picture alliance/dpa | Rolf Vennenbernd

Im Rahmen von Taylor Swifts "Eras Tour" fuhr 2024 die Stadt Gelsenkirchen groß auf: sogar Straßenschilder mit der Bezeichnung "Swiftkirchen" wurden aufgestellt.

Puschautz sieht das nicht unkritisch. In dem Songtext über die Krankheit ihrer Mutter zeige Swift ein "sehr funktionalistisches Verständnis von Glauben". Andererseits sei eine solche Erfahrung für viele Menschen ein Zugang zum Glauben, den man ernst nehmen müsse.

Dasselbe Lied spricht auch Pfarrer Petracca an: aus der Situation des Krankenhauses setze sich Taylor Swift hier in Beziehung zu Jesus. Er kritisiert: "Als Kirche machen wir es ja in der Regel andersrum. Wir haben unsere Bibel oder unsere theologischen Aussagen und versuchen irgendwie zu den Menschen rüberzukommen."

Die Texte der Sängerin bieten also in vielem eine gewisse Deutungsoffenheit, die sie variabel einsetzbar machen. Gleichzeitig finden sich aber auch christliche Elemente. Und berühren diese vielleicht besonders, weil sie theologisch nicht "sauber", aber nachvollziehbar sind?

„Taylor Swift ist keine Heilige.“

—  Zitat: Eva Puschautz

Kreuzer betont, das als eines der Erfolgsmerkmale Swifts. Trotz Privatjet und über 200 Millionen verkauften Tonträgern vermittele die Sängerin in ihrem Auftreten, "dass sie im Nebenzimmer sitzen und ich kurz auf einen Kaffee mit ihr gehen könnte." Diese Fähigkeit, nahbar zu wirken, sei ein Schlüssel zum Erfolg Taylor Swifts.

Außerdem sei die Sängerin eine "Emotionslehrerin": "Sie gibt die Möglichkeit, mit den eigenen Emotionen in die Schule zu gehen und über eigene Emotionen zu lernen", so Kreuzer. Auch Neven Du Mont erfährt das so: "Ihre Texte sind sehr gut darin, menschliche Situationen zu reflektieren und einzufangen. Und dadurch haben sie etwas Heilsames. Die Frage für uns als christliche Kirche, die eine sehr heilende Botschaft hat, ist: Wie können wir es schaffen, dass diese Botschaft die Menschen auch bewegt?"

Die Deutungsoffenheit von Swifts Texten macht sie also vielseitig einsetzbar, christliche Elemente berühren und setzen das persönliche Erlebnis vor theologische Korrektheit. Die Sängerin suggeriert Nahbarkeit und erfüllt ein Bedürfnis nach Auseinandersetzung mit den eigenen Emotionen. Ist dieses Erfolgsrezept einfach auf Kirche übertragbar?

Sängerin Taylor Swift bei den Grammys
Bild: ©picture alliance / Jordan Strauss/Invision/AP | Jordan Strauss

Eignet sich eine Multimilliardärin als "Alltagsheilige"?

Neutestamentlerin Puschautz warnt: "Das ist knallharter Kapitalismus." Auch Ethikerin Kreuzer betont die Nahbarkeit Swifts als Marketingstrategie. Die Amerikanerin werde zwar von manchen Fans "als Alltagsheilige verehrt, die spirituelle Bedürfnisse erfüllt", aber es sei "völlig überzogen zu sagen, dass die Fans jetzt in irgendeiner Form einen Gottesbezug über Taylor Swift herstellen."

Alle drei Theologinnen sind sich einig: "Taylor Swift ist keine Heilige." Und so rückt wieder die Frage in den Vordergrund, ob ein extra im Namen der Sängerin stehender Gottesdienst berechtigt ist.

Auch Pfarrer Petracca betont: "Für uns Evangelische gibt es keine Heiligen, jeder Mensch hat Schattenseiten." Deshalb habe man vor dem Taylor-Swift-Gottesdienst sehr genau die Musik und das Auftreten der Sängerin untersucht.

„Für mich sind Popstars wie Taylor Swift die große Chance, Themen aufzunehmen, die junge Menschen beschäftigen.“

—  Zitat: Vincenzo Petracca

Denn die Musik beeinflusst nicht nur maßgeblich die liturgische Gestaltung des Gottesdienstes. Sie prägt auch und vor allem die inhaltliche Ausrichtung, erklärt Pfarrer Petracca. "Taylor Swift kommt aus der konkreten Erfahrung der Menschen oder ihrer eigenen Erfahrung und setzt diese in Zusammenhang mit spirituellen Themen."

Dieses Erfolgsrezept versucht der Pfarrer zu übernehmen. Die Musik der Sängerin wird für ihn zu einem konkreten Zugang zur Lebensrealität junger Menschen: "Für mich sind Popstars wie Taylor Swift die große Chance, Themen aufzunehmen, die junge Menschen beschäftigen." Dabei bleibe er aber "unbedingt kritisch".

Und auch wenn Taylor Swift für einen Gottesdienst "viel Potenzial" habe, ist er schon an der Planung für einen neuen Themengottesdienst zu einem anderen Popstar.  Diesem Vorgehen würde Workshoporganisatorin Neven Du Mont wohl zustimmen: "Taylor Swift-Gottesdienste sind vor allem positiv, weil sie Abwechslung bringen. Ich glaube, dass Gottesdienste sehr abwechslungsreich sein müssen, weil Menschen unterschiedlich sind."

Bild: ©picture alliance / Associated Press | Toru Hanai

Funktioniert Taylor Swift als "Brücke zu Gott"?

Ein Taylor-Swift-Gottesdienst kann also nur gelingen, solange die Sängerin – vielleicht doch wieder ähnlich einer katholischen Heiligen – als Brücke zu Gott fungiert. Selbstverständlich erfüllt die amerikanische Multimilliardärin, die ihren Erfolg gerade auch der Deutungsoffenheit ihrer Text verdankt, nicht ansatzweise die Anforderungen einer Heiligen.

Aber sie wirkt zwischen Pfarrer Petracca und ihren Fans als Vermittlerin. Dem einen eröffnet sie den Zugang zur Lebenswelt junger Menschen, den anderen dient sie als Emotionslehrerin und erfüllt spirituelle Bedürfnisse. Etwas lernen kann Kirche also von ihr. Dennoch ist Vorsicht geboten. Ethikerin Kreuzer warnt: "Bei Kirche habe ich es konkret mit Menschen zu tun. Bei Taylor Swift habe ich es nur mit Illusion zu tun."

Von Carina Adams