Eine freiheitliche Rechtsordnung ist nicht neutral!
HTML-Elemente (z.B. Videos) sind ausgeblendet. Zum Einblenden der Elemente aktivieren Sie hier die entsprechenden Cookies.
Man bekommt Muskelkater vom Kopfschütteln: Das Symbolgebäude der Grundrechte untersagt eine Symbolflagge, die dafür steht, das gleiche Rechte keine Sonderechte sind. Unsere Heimat muss Flagge zeigen für Akzeptanz queerer Identitäten (Toleranz ist zu wenig!) und gegen deren Diskriminierung (Ablehnung von Intoleranz ist keine Diskriminierung!). Queer zu sein, ist keine willkürliche Wahl und nimmt keinem Familienidyll (was einem jeden gewünscht ist) etwas. Schief ist das Argument, es müsse wegen der tödlichen Gefährdung von Christ*innen (die es in der Tat leider gibt), dann auch die Vatikanflagge (was ist mit Nichtkatholik*innen?) gehisst werden. Bei uns gibt es keine Christ*innenverfolgungen, wohl aber zunehmend rechtsmotivierte Hatz gegen queere Mitbürger*innen.
Die studierte Theologin und zweithöchste Repräsentantin der deutschen Demokratie möge sich erinnern, dass der Gottesgedanke gegen jegliche Diskriminierung opponiert. Allein diesem theologischen und universal humanistischen Prinzip entspricht das "C", dessen Interpretationshoheit nicht beliebige Verfügungs- oder Kapermasse ist. Die Abschlussarbeit der ehemaligen deutschen Weinkönigin über "Struktur und Entwicklung der europäischen Weinmarktpolitik" lässt mich gern ein Gläschen genießen, aber nicht zum Schierlingsbecher dessen greifen, was für sie "Neutralität" sei: Es verbietet sich, menschenrechtliche Integrität wegen populistischer Störfeuer auf dem Altar einer gefährlichen Opportunität zu opfern – von dem "Zirkuszelt"-Vergleich des Richtlinienkompetenzmannes ganz zu schweigen.
Es ist zu beklagen, dass es im Raum der Kirche(n) nach wie vor opportun ist, unter Berufung auf hermeneutikfreie "Bibeltreue" oder eine biologistische Verengung menschlicher Sexualität als Reproduktionsgeschehen katechismusabgesicherte rosa Winkel zu verteilen, äußere sich hier doch eine "anarchische Freiheit". Es ist empörend, uninformierte Vorurteile und unaufgeklärte Aversionen als "Kultur" zu bezeichnen oder gar wie die Bischofkonferenz in Ghana zu fordern, queere Identitäten mit bis zu zehn Jahren Haft zu bestrafen.
Ein regenbogenfarbiges Stück Stoff muss die Gemüter erregen – aber gegen (!) zunehmend gewalttätige Diskriminierung auch bei uns. Hier verbietet sich Neutralität.
Der Autor
Oliver Wintzek ist Professor für Dogmatik und Fundamentaltheologie an der Katholischen Hochschule in Mainz. Zugleich ist er als Kooperator an der Jesuitenkirche in Mannheim tätig.
Hinweis
Der Standpunkt spiegelt ausschließlich die Meinung der jeweiligen Autorin bzw. des Autors wider.
