Queerfeministische Theologie trotz Sorge ums "Nihil obstat"

Lia Alessandro ist neue Sprecherin der "Jungen Agenda". Seit Jahren ist sie Teil des Netzwerks, das aus der Mutterorganisation "Agenda" hervorging. Die wurde 1998 gegründet, um die wissenschaftliche Arbeit von Theologinnen sichtbarer zu machen. Die Junge Agenda steckt ihre Ziele selbst. Hier sind nicht nur Frauen willkommen – und auch nicht nur die aus dem wissenschaftlichen Bereich. Im Interview mit katholisch.de spricht Alessandro darüber, wofür die Junge Agenda steht und auch über die Sorgen der Mitglieder ums "Nihil obstat".
Frage: Die Junge Agenda wurde 2019 aus Agenda heraus gegründet. Warum braucht es eine eigene Organisation?
Alessandro: Die Gründungsintention war es, sich außerhalb von beruflichen Hierarchien miteinander zu vernetzen und FINTA*-Personen sichtbarer zu machen. Wir als Junge Agenda sprechen explizit Leute an, die in der Qualifikations- und Berufseinstiegsphase sind und in keiner Führungsposition. Das heißt aber nicht, dass die Menschen in der Jungen Agenda nicht auch zusätzlich Agenda-Mitglieder sein können.
Erklärung Begriff FINTA*
Der Begriff FINTA* ist ein Akronym für Frauen, intergeschlechtliche, nicht-binäre, Trans- und Agender-Personen, das durch das Sternchen weitere nicht genannte Kategorien und Selbstbilder einschließt. Bekannter ist das Akronym FLINTA* unter Einbeziehung der Abkürzung für Lesben. Katholisch.de verwendet hier die von der "Jungen Agenda" gewählte Bezeichnung ohne Wertung ihrer Richtigkeit.
Frage: Das heißt, wer es zur Professur geschafft hat, ist raus aus der Jungen Agenda?
Alessandro: Genau. Es ist auch so, dass wir uns nicht nur über wissenschaftliche Theologie definieren, sondern wirklich alle FINTA*-Personen, die in Theologie, Gesellschaft und Kirche tätig sind, ansprechen wollen. Sobald da aber eine Person in Führungspositionen kommt oder Mitarbeitende hat oder eben auch eine Professur, dann fällt sie aus der Jungen Agenda raus.
Frage: Sie sind zur neuen Sprecherin der Jungen Agenda gewählt worden. Welche Aufgaben kommen jetzt auf Sie zu?
Alessandro: Ich bin mit drei weiteren Menschen im Koordinationsteam und wir teilen uns die Aufgaben auf. Die Rolle, die mir als Sprecherin insbesondere zukommt, ist, dass ich mit dem Vorstand von Agenda den Kontakt halte und dort die Interessen der Jungen Agenda vertrete.
Frage: Die Junge Agenda versteht sich selbst nicht als Frauen-, sondern als FINTA*-Netzwerk. Ist diese Begriffsbreite denn im theologischen Bereich überhaupt relevant? Spiegelt sie sich wider im Netzwerk?
Alessandro: Wir spüren in unserem Netzwerk immer mehr auch das Bedürfnis nach solchen queerfeministischen Ansätzen. Natürlich fragen wir nicht jede Person: „Hey, wie identifizierst du dich jetzt?“ Stattdessen versuchen wir, ein Angebot zu schaffen. Wir wollen verdeutlichen, dass alle diese Menschen willkommen sind.
Auch im "Mutternetzwerk"-Agenda können sich die Jungen Agenda-Mitglieder engagieren. Alessandro selbst war 2023 hier als Beisitzerin im Vorstand von Agenda.
Frage: Feministische Theologie gibt es zwar schon seit ein paar Jahrzehnten, aber die katholische Theologie ist ja seit Jahrhunderten eher eine Männerdomäne. Was bedeutet das für ihr Netzwerk?
Alessandro: Wir sprechen immer von feministischen Theologien, denn es gibt auch hier keine Einheitlichkeit, sondern eine Bandbreite von Ansätzen. Bei der Gründung von Agenda vor 25 Jahren ging es vor allem um das "Nihil obstat" und Frauen in der Wissenschaft. Wir haben heutzutage auch statistisch betrachtet mehr weiblich gelesene Personen in der Wissenschaft. Dennoch gibt es weiterhin Abwertungsprozesse und Unterdrückungsmechanismen, die greifen. Manche Themen sind also kontinuierlich, anderes ist im Wandel. Dazu kommt jetzt etwa, dass eben die (queer-)feministischen Theologien vermehrt sichtbar werden.
Frage: Und was können Sie mit der Jungen Agenda konkret ausrichten?
Alessandro: Wir können Problemfelder wie Hierarchisierungen offenlegen und eine Stimme für Veränderungen sein. Wir haben in der Jungen Agenda auch genug Menschen, die sich mit queerfeministischen Themen, sowohl wissenschaftlich als auch persönlich, auseinandersetzen oder auch aktivistisch unterwegs sind. Die Junge Agenda bietet ein Netzwerk, in dem all diese Stimmen zusammenkommen und sich solidarisieren können.
Frage: Wie ist es mit der Aufnahme von Menschen, die sich diesem liberaleren Spektrum nicht zugehörig fühlen?
Alessandro: Natürlich sind wir ein liberales Netzwerk. Wir schreiben aber keine Polarisierungen vor. Es sind alle Menschen willkommen, die sich als Theolog:innen definieren und Unterstützungsmöglichkeiten brauchen und sich austauschen wollen. Wir wollen auch Diskursfähigkeit generieren. Gleichzeitig ist für uns die Grenze da, wo menschenverachtende oder menschenrechtsverletzende Aussagen getätigt werden.
„Ich glaube, es braucht auch diesen Raum, in dem wir erstmal sein können. In dem auch Unsicherheiten, Verletzungen und Betroffenheiten benannt werden können.“
Frage: Sie haben es vorhin selbst angesprochen: Das "Nihil obstat". Ist das denn für die Mitglieder der Jungen Agenda, gerade wenn vielleicht die eigene Promotion am Laufen ist, auch heute ein Thema?
Alessandro: Ja, gerade für diejenigen, die bei uns in der Wissenschaft tätig und davon massiv betroffen sind. Das bedeutet, dass die Junge Agenda selbstverständlich da auch Mitwirkungs- und Mitsprachemöglichkeiten braucht. Wir sind mit dem Agenda-Vorstand im konstanten Austausch und versuchen miteinander Veränderung zu bewirken.
Frage: Und wie konkret sieht das denn aus, wenn man als Junge Agenda Veränderungen bewirken will?
Alessandro: : Wir sind im Koordinationsteam im ständigen Austausch über Ideen und Projekte, die möglich sind. Das geschieht immer in Rückkopplung mit den 120 Mitgliedern der Jungen Agenda. Wir treffen uns regelmäßig zu digitalen Stammtischen, da tauschen wir uns aus über Ideen, Projekte und vor allem auch die Dinge, die uns beschäftigen. Im April hatten wir das Barcamp in Hohenheim. Da haben sich einige von uns getroffen, da wurde auch das neue Koordinationsteam gewählt und da sind wir auch im engen Austausch mit den Mitgliedern.
Dann machen wir viel über die sozialen Medien und versuchen Sichtbarkeit zu generieren. Mit unserem offenen Brief an die KDFB-Vorsitzenden unter anderem bezüglich des "Zustrombegrenzungsgesetzes" haben sich einige unserer Mitglieder auch offen positioniert.
Beim "Barcamp" sprechen die Mitglieder der Jungen Agenda über Projektideen und Ziele des Netzwerks. Aber auch für persönliche Sorgen und theologischen Austausch ist hier Platz.
Frage: Also ist ihr Netzwerk viel von medialer Arbeit geprägt, aber was machen Sie für die Mitglieder direkt? Gibt es da Hilfe bei Studienprojekten oder ähnliches?
Alessandro: Für die Mitglieder konkret versuchen wir, Projektmöglichkeiten zu eröffnen. Es gab jetzt zum Beispiel in Wien eine Tagung zum Thema Körperlichkeit, Antigenderismus und Antifeminismus, bei der auch einige von unseren Mitgliedern vortragen konnten. Das heißt, wir bieten Plattformen, um eigene Projekte vorzustellen.
Aber wir bieten auch über die Wissenschaft hinaus Unterstützungsmöglichkeiten. Wir haben einige Mitglieder, die gar nicht in der Wissenschaft tätig sind. Letztes Jahr hat es zum Beispiel auch ein Coaching gegeben zum Thema Frauen in Führungspositionen. Wir wollen in dieser Koordinationsperiode explizit daran arbeiten, Leute aus der Praxis anzusprechen.
Frage: Das heißt, Sie und das neue Koordinationsteam werden der Jungen Agenda auch ihren eigenen Touch geben und eigene Projekte ins Leben rufen?
Alessandro: Ich war ja selbst Teil des vorigen Koordinationsteams. Wir sehen es also nicht als klaren Schnitt. Aber wir wollen auch neue Projekte angehen und die internationale Vernetzung und den überfachlichen Austausch noch mehr fördern. Bei dem Treffen im April haben wir außerdem gemerkt, dass Unterstützungsangebote und Austauschplattformen gerade sehr stark gefragt sind.
Frage: Wenn Sie das Amt als Sprecherin wieder abgeben, was möchten Sie dann erreicht haben?
Alessandro: Ich erhoffe mir, dass ich die genannten Themen wie die Internationalisierung fördern kann. Aber ohne, dass zu viel Druck besteht. Wir wollen ja stets irgendwie immer weiter im Leben, aber ich glaube, es braucht auch diesen Raum, in dem wir erstmal sein können. In dem auch Unsicherheiten, Verletzungen und Betroffenheiten benannt werden können. Gleichzeitig braucht es Räume, in denen inhaltlicher Austausch und Projekte entstehen können. Und ich würde gerne dazu beitragen, diese Räume noch weiter geöffnet zu haben.