Studium mit Job-Garantie: Die Lage in der Kirchenmusik-Ausbildung

"Die Orgel ist meine Lebensbasis", sagt Kantor Benjamin Leins. "Es gibt so großartige Literatur. Egal, was im Leben passiert: Wenn ich das nicht hätte, dann wäre ich für die Anfechtungen wesentlich anfälliger." Für die Kirchenmusik habe er sich entschieden, weil sie vielfältige Möglichkeiten biete. "Man hat Zugang zu zahlreichen Instrumenten und unterschiedlichen Stilepochen – von Renaissance bis Pop." Leins hat an der Evangelischen Hochschule für Kirchenmusik in Halle an der Saale studiert. Heute ist er Kantor in Bernburg und Nienburg in Sachsen-Anhalt. Er spielt Orgel und leitet mehrere Instrumentalkreise und einen Chor.
Kirchenmusik ist eine tragende Säule der Musikkultur in Deutschland. Trotz zunehmender Säkularisierung erfreuen sich Kantoreien in größeren Städten regen Zulaufs. In ländlichen Regionen bietet Kirchenmusik Kindern und Jugendlichen oftmals die einzige Möglichkeit, mit "Hochkultur" in Berührung zu kommen. So ist der Beruf des Kirchenmusikers oder der Kirchenmusikerin durchaus attraktiv. Studieren kann man das Fach an staatlichen wie an kirchlichen Musikhochschulen.
In kirchlicher Trägerschaft gibt es bundesweit acht solcher Hochschulen, sechs davon evangelisch, zwei katholisch. Die größte evangelische mit rund 60 Studierenden liegt in Halle an der Saale, die größte katholische mit rund 100 Studierenden befindet sich in Regensburg. Sie ist zugleich das größte Kirchenmusik-Institut der Welt. Entsprechend international war die Studierendenschaft in den vergangenen Jahrzehnten, mit Studierenden aus Ländern wie Polen, Korea, Kuba und Brasilien.
"Hier ist eine besondere Sensibilität gefragt"
Die Orgel ist zentral für die Kirchenmusik – sowohl für Kompositionen von Johann Sebastian Bach oder Felix Mendelssohn Bartholdy als auch für das liturgische Orgelspiel, das gesungene Akklamationen oder liturgische Handlungen begleitet. Improvisation ist hier entscheidend, etwa um den Einzug eines Pfarrers musikalisch flexibel zu untermalen.
"Hier ist eine besondere Sensibilität gefragt", sagt Christoph Bornheimer, Orgelprofessor an der Evangelischen Hochschule für Kirchenmusik in Heidelberg. "Es ist in meinem Unterricht mir immer wichtig, dass ich nicht in erster Linie Organisten ausbilde, sondern Menschen, die sich mit Musik beschäftigen."
An allen deutschen Kirchenmusik-Hochschulen ist es Pflicht, dass die Studierenden auch im Hochschulchor mitsingen.
Die Ausbildung an kirchlichen Hochschulen zeichnet sich durch familiären Charakter und ein geistliches Leben aus. Am Heidelberger Institut pflegt man eine Kooperation mit der Theologischen Fakultät der Universität. Gemeinsam werden regelmäßig sogenannte Seminargottesdienste veranstaltet. "Es ist ein sehr fruchtbares Zusammenarbeiten zwischen angehenden Pfarrerinnen und Pfarrern und Kirchenmusikerinnen und Kirchenmusikern", betont Bornheimer.
An allen deutschen Kirchenmusik-Instituten ist es Pflicht, im jeweiligen Hochschulchor mitzusingen, der in der Regel ein hohes Niveau hat. Die Chöre seien meist im Kulturleben der jeweiligen Stadt präsent, sagt der Rektor des Instituts in Halle, Peter Kopp. "Ein Ausdruck dessen ist etwa, dass der Chor unserer Hochschule regelmäßig beim Abschlusskonzert der Händelfestspiele mitwirkt." Die Nähe zur Martin-Luther-Universität, die ebenfalls über eine große Musiktradition verfüge, bereichere das studentische Leben durch kulturelle Impulse.
"Wer das Examen schafft, bekommt auch eine Stelle"
Das hinterlässt auch Spuren in den Lehrplänen. So gibt es in Halle, Heidelberg und Regensburg den kombinierten Studiengang Kirchenmusik und Lehramt an Gymnasien. "Also eigentlich das alte Lehrer-Kantor-Prinzip. Das kann vielleicht sogar in gewissen nicht großstädtischen Strukturen sehr interessant sein", so Kopp. In Heidelberg geht die Kooperation mit der Universität noch weiter: Eine "Summer School", eine Art Symposium, beschäftigt sich mit Themen an der Schnittstelle von Theologie und Kirchenmusik. Das Studium findet also keinesfalls im kirchlichen Elfenbeinturm statt.
Und wie steht es um die Berufsaussichten? "Die Absolventen der Hochschulen für Kirchenmusik in Deutschland sehen rosigen Zeiten entgegen", sagt der Rektor des Regensburger Instituts, Franz Josef Stoiber. "Wer das Examen schafft, bekommt auch eine Stelle". Das bestätigt auch Professor Bornheimer aus Heidelberg. Trotz schwindender Mitgliederzahlen in beiden großen Kirchen sei der Fachkräftemangel im Bereich der Kirchenmusik enorm groß, zu viele Babyboomer würden in den nächsten Jahren in den Ruhestand treten. "Alle, die das Examen schaffen, können sich im Prinzip aussuchen, wo sie hingehen, haben oft die Auswahl zwischen mehreren Stellenangeboten", sagt Bornheimer. Zugleich sorgt er sich um geeigneten Nachwuchs.
Auch Kantor Benjamin Leins bereitet das Kopfzerbrechen. Er spricht sich jedoch selbst Mut zu: "Auch wenn die Kirche als Institution nicht immer gleichbleiben wird – das Bedürfnis nach Kirchenmusik geht, glaube ich, weit über die Kirchengrenzen hinaus". Bei einer Aufführung von Bachs Weihnachtsoratorium sei er von einer Freundin gefragt worden, ob das nun ein Gottesdienst oder ein Konzert gewesen sei. "Ich konnte keine gute Antwort darauf geben."