Heilige Allianzen: Putin, Patriarche und die Geheimdienste
Er soll ein "aufrichtiger Gläubiger und kirchlicher Mensch" sein – das jedenfalls sagt Patriarch Kyrill, das Oberhaupt der Russisch-Orthodoxen Kirche (ROK) über den russischen Präsidenten Wladimir Putin. Zudem betont das Kirchenoberhaupt, dass der historische Wandel im Leben des Landes seit der Kirchenverfolgung in der Sowjetzeit nicht nur im Bau tausender Kirchen, sondern auch im Glauben des Staatsoberhauptes zum Ausdruck kommt. "Putin ist kein Gemeindemitglied, das nur zu Besuch ist, oder jemand, der die Religion der Mehrheit nachahmt", sagte der Patriarch zuletzt in einer Predigt. Kyrill fügte hinzu, das Staatsoberhaupt schäme sich nicht, in die Kirche zu gehen oder die Heiligen Mysterien Christi zu empfangen. "Dies ist für die ganze Nation als gutes Beispiel eines guten Christen wichtig."
Mit Blick auf den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine scheinen die Worte des Moskauer Kirchenoberhaupts wie aus einer anderen Welt zu sein – besonders mit Blick auf die aktuelle Situation in dem Konflikt. Doch seit Beginn der russischen Invasion in der Ukraine regt sich auch innerhalb der ROK Widerstand gegen den Krieg – mit dramatischen Folgen für die Betroffenen. Im Februar 2022 unterzeichneten fast 300 Geistliche einen Offenen Brief für Frieden. Ein beispielloser Akt in Putins Russland. Viele von ihnen sehen sich heute Strafverfahren, Repressionen oder kirchlichen Strafen ausgesetzt.
Ein Bericht des Orthodox Christian Studies Center der Fordham University für die UN dokumentiert diese Verfolgung und spricht von einer "tiefgreifenden Verzerrung der orthodoxen Tradition". So etwa wurde der Moskauer Priester Johannes Kowal umgehend seines Amtes enthoben und floh 2023 aus Russland, weil er in einem Gottesdienst für Frieden statt – wie vorgeschrieben – für den "Sieg" betete. Ein Messdiener hatte dies umgehend nach dem Gottesdienst dem Moskauer Patriarchat gemeldet. Ein anderes Beispiel sind zwei junge orthodoxe Seminaristen, Denis Popowitsch und Nikita Iwankowitsch. Seit Februar 2025 sitzen sie nach privaten Kriegskritik-Gesprächen per Messenger in einem Geheimdienstgefängnis und fürchten um Anklagen. Insgesamt wurden laut dem UN-Bericht mehr als 100 Geistliche und Gläubige aller Konfessionen wegen Kriegsgegnerschaft verfolgt, Dutzende verurteilt, suspendiert oder ihres Amtes enthoben.
Das derzeitige Kirchenoberhaupt, Patriarch Kyrill, steht dabei wie kein anderer für die Verflechtung von Staat und Kirche.
Dass ein als Ministrant getarnter Spitzel den Moskauer Priester sofort beim Patriarchat gemeldet hatte, zeigt, wie verflochten die Kirche und Staat sind. Dieser Fall deutet außerdem darauf hin, wie eng Geheimdienste auch heute noch mit der ROK zusammenzuarbeiten. Bekannt ist aber auch, dass die ROK weit mehr ist als nur eine religiöse Institution für Millionen Gläubige – sie dient dem Kreml auch als geopolitisches Werkzeug. Diese Verbundenheit ist nichts Neues, denn bereits zu Sowjetzeiten waren Kirchenvertreter eng mit dem Staat und den Geheimdiensten, wie etwa dem KGB verflochten. Wie die beiden obigen Beispiele zeigen, sind heute noch immer viele der orthodoxen Geistlichen nicht nur dem obersten Kirchenchef, sondern auch dem Staatschef loyal. Doch das war nicht immer so: Auch wenn nicht gerade wenige Kleriker aktiv für den sowjetischen Geheimdienst arbeiteten, widersetzten sich wiederrum einige dem System – damals wie heute.
Mikhailov und Drowsdow
Das derzeitige Kirchenoberhaupt, Patriarch Kyrill, steht dabei wie kein anderer für die Verflechtung von Staat und Kirche. Mit bürgerlichem Namen heißt er Wladimir Gundjajew und soll laut Schweizer Akten als Vertreter Moskaus beim Ökumenischen Rat der Kirchen (ÖRK) in Genf unter dem Decknamen "Mikhailov" für den KGB gearbeitet haben. Im Berner Bundesarchiv etwa liegt ein Dossier über "Monsignor Kyrill" vor, berichteten etliche Medien wie die FAZ, der Spiegel. Dabei lassen sich 37 Einträge zwischen Juli 1969 und Februar 1989 in seiner Akte finden. Ziel des KGB soll in den 1970er und 80er gewesen sein, Einfluss auf den Schweizer Bundesrat und das Kirchenumfeld zu nehmen, um auf Kritik an der Einschätzung der Religionsfreiheit in der UdSSR zu reagieren. Stattdessen sollten die USA und dessen Verbündete kritisiert werden. Zu den Vorwürfen schweigt das Moskauer Patriarchat, ebenso wie der ÖRK – nicht aber Kyrills Neffe, der Genfer Erzpriester Mikhail Gundjajew. Dieser etwa bestreitet die Vorwürfe und nimmt seinen Onkel in Schutz: Kyrill sei kein Agent des KGB gewesen, er habe jedoch unter “strenger Aufsicht” des Geheimdienstes gestanden.
Auch sein Vorgänger, Patriarch Alexij II., lange Zeit Oberhaupt der ROK, soll mit dem Geheimdienst zusammengearbeitet haben. Bereits 1958 soll er unter dem Decknamen “Drowsdow” für den KGB aktiv gewesen sein. Die ROK wies zwar die jeweiligen Dokumente als Fälschungen zurück, Alexij selbst schwieg zu den Vorwürfen. Auf diese Weise wurden Zweifel an seiner Unabhängigkeit genährt. Zu den Vorwürfen kam es unmittelbar nach seinem Tod. Ein britisches Forschungsinstitut hat ihn als wahrscheinlichen Informanten bezeichnet – es gebe Beweise, dass der KGB ihn unter dem bereits genannten Decknamen führte. Wie die Leiterin des Oxforder Keston Institute für religiöse Angelegenheiten in kommunistischen Staaten, Xenia Dennen, sagte, soll es üblich gewesen sein, dass jeder Moskauer Bischof dem KGB Bericht erstatten musste. So auch Alexij. "Es gab nur eine sehr kleine Minderheit, die es vollkommen ablehnte zu kooperieren", führte Dennen aus.
Widerstand – zwecklos?
Alexander Wladimirowitsch Men, ein Theologe und Bibelwissenschaftler, lehnte beispielsweise jede Art von Kollaboration mit dem Geheimdienst ab. 1990 wurde er unter ungeklärten Umständen ermordet – im Auftrag des KGB, vermuten zahlreiche Medien. Er zählte zu den führenden russisch-orthodoxen Theologen des 20. Jahrhunderts. Seit den 1960er Jahren wurde er vom Geheimdienst überwacht, seine Wohnung wurde mehrfach durchsucht und er wurde zu Vernehmungen vorgeladen. Nach dem Zerfall der Sowjetunion gewann er an Popularität, wurde jedoch von Nationalisten und Antisemiten wegen seiner jüdischen Herkunft und ökumenischen Auffassungen angefeindet. Zwar setzte die Regierung eine Untersuchungskommission ein, doch Ergebnisse wurden nie vorgelegt. Der Vorsitzende der Kommission etwa wurde ebenfalls ermordet. Seit 1995 haben die katholische Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart und die Altrussische Bibliothek für Ausländische Literatur in Moskau jährlich den Alexander-Men-Preis an jene Persönlichkeiten verliehen, die sich für den Austausch zwischen Russland und Deutschland eingesetzt haben. Doch der Preis wurde 2013 aufgrund des immer stärkeren Versuchs der russischen Regierung, die Auswahl der Preisträger zu beeinflussen, eingestellt.
Er soll ein "aufrichtiger Gläubiger und kirchlicher Mensch" sein – das jedenfalls sagt Patriarch Kyrill, das Oberhaupt der Russisch-Orthodoxen Kirche (ROK) über den russischen Präsidenten Wladimir Putin.
Ein weiterer Priester der ROK widersetzte sich ebenfalls der sowjetischen Unterdrückung: Dmitri Dudko. Dieser hatte in den 1970er Jahren offen in Moskau die Verrohrung des sowjetischen Alltags angeprangert – bis zu seiner Verhaftung im Jahr 1980 durch den KGB. Man zwang ihn in einer inszenierten Fernsehbeichte zum Widerruf seiner Kritik. Später blieb er dieser neuen Linie treu, enttäuschte hingegen viele seiner Anhänger, vor allem nachdem er autoritäre Persönlichkeiten wie etwa Stalin und Putin lobte.
“Soft Power” statt Kriegswaffen
In der Gegenwart aber hält der Widerstand in verschiedenen Formen an. Wie der zu Beginn erwähnte Bericht für die UN zeigt, haben mindestens 27 orthodoxe Geistliche ihren aktiven Dienst freiwillig niedergelegt, weil sie nicht in einem “moralisch kompromittierten” Umfeld dienen wollten. Unterdessen hat das Ökumenische Patriarchat in Konstantinopel stillschweigend über 30 Priester und Diakone aufgenommen – darunter auch jene, die von Moskau wegen ihrer Standpunkte suspendiert oder aus dem Amt entfernt wurden. Diese Kleriker betreuen nun russische Emigrantengemeinden in ganz Europa.
Bis heute setzt Moskau auf die Kirche als außenpolitisches Instrument. Weitere Beispiele der Verflechtungen von Geheimdienst und Kirche belegen, wie verbunden diese beiden Seiten sind. Bulgarien etwa wies 2023 den russischen Archimandriten Vasian und zwei Mitarbeiter wegen Spionageverdachts aus. Schweden kappte 2024 die staatliche Finanzierung für Kirchen mit Verbindungen zum Moskauer Patriarchat. Zudem warnte man vor Sabotage- und Einflussoperationen. Auch der tschechische Geheimdienst ermittelte gegen die ROK und belegte Kyrill mit Sanktionen – wegen seiner Unterstützung des Ukraine-Kriegs. Dennoch arbeitet die ROK weiterhin für den Kreml – und nutzt dabei ihre "Soft Power": Sie verbreitet russische Werte und Narrative, besonders auf dem Balkan und im Nahen Osten. Statt mit Panzern, wird mit Kultur, Diplomatie und religiöser Bindung Einfluss genommen. Die enge Verflechtung von Glauben und Macht, die schon in der Sowjetzeit begann, prägt die Kirche bis heute – und lässt Zweifel an ihrer Glaubwürdigkeit als spirituelle Institution. Ob und wie sich die Kirche aus dieser Umklammerung lösen kann, wird eine der entscheidenden Fragen für ihre Zukunft bleiben.
