US-Jesuit und LGBTQ-Seelsorger im Gespräch mit katholisch.de

"Ein großartiger Zuhörer" – Jesuit James Martin über Papst Leo XIV.

Veröffentlicht am 06.09.2025 um 12:00 Uhr – Von Mario Trifunovic – Lesedauer: 

Bonn/Rom ‐ Es war nicht seine erste Audienz mit einem Papst – und doch etwas Besonderes: Kürzlich hatte Leo XIV. den bekannten US-Jesuiten und LGBTQ-Seelsorger James Martin im Vatikan empfangen. Über das Treffen und seinen Landsmann als Pontifex sprach Martin mit katholisch.de.

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Er habe gefühlt mehr Zeit mit dem Papst gehabt, als früher – so beschreibt der bekannte US-Jesuit und LGBTQ-Seelsorger James Martin sein erstes offizielles Treffen mit Papst Leo XIV. im Vatikan. "Da wir beide Englisch sprechen, hatte ich das Gefühl, dreimal so viel Zeit mit ihm zu haben, wie mit Papst Franziskus", erzählt der Jesuit im Gespräch mit katholisch.de. "Als ich Franziskus traf, war immer ein Übersetzer nötig, da sein Englisch schlecht und mein Spanisch noch schlechter war."

Martin hält sich derzeit im Rahmen einer Pilgerfahrt von LGBTQ-Katholiken zum Heiligen Jahr in Rom auf. Der italienische Verband "La Tenda di Gionata" organisiert die Wallfahrt gemeinsam mit weiteren Vereinigungen. Dazu gehören der Gang durch die Heilige Pforte des Petersdoms sowie ein Gottesdienst in der römischen Jesuitenkirche Il Gesù, dem der stellvertretende Vorsitzende der Italienischen Bischofskonferenz, Francesco Savino, vorsteht.

Nicht die erste Begegnung

Am vergangenen Montag wurde Martin vom ersten US-amerikanischen Papst in Privataudienz empfangen. Die beiden begegneten sich dabei zum ersten Mal in diesem Rahmen, waren vorher aber bereits mehrfach aufeinandergetroffen. Zuletzt bei der Weltsynode im vergangenen Oktober: "Ich war während der Synode an seinem Tisch, und so sprachen wir gelegentlich miteinander”, erzählt Martin. "Ich kannte ihn also schon ein wenig. Als ich ihn nun im Apostolischen Palast traf, waren keine Vorstellungen nötig."

Eine Audienz beim Papst sei für jeden etwas Besonderes– außer vielleicht für Kardinäle, Bischöfe oder andere Mitarbeitende vatikanischer Dikasterien, so Martin. Schon im Herbst 2019 hatte Leos Vorgänger, Papst Franziskus (2013-2025), den US-Jesuiten empfangen. Dieses Treffen sei eher spontan zustande gekommen, erinnert dieser sich: Gemeinsame Bekannte hätten Franziskus informiert, dass er in Rom sei. Bei einer Audienz des vatikanischen Kommunikationsdikasteriums, dessen Berater Martin ist, habe Franziskus ihn dann empfangen wollen. Damals ging es im Gespräch darum, wie man LGBTQ-Menschen in der Seelsorge erreichen könne. Über konkrete Inhalte des Gesprächs mit Leo äußert sich Martin zurückhaltender – bis auf einen Gesamteindruck: "Er ist ein großartiger Zuhörer."

Papst Leo XIV.
Bild: ©KNA/CNS photo/Lola Gomez

"Ich war während der Synode an seinem Tisch, und so sprachen wir gelegentlich miteinander”, erzählt Martin. "Ich kannte ihn also schon ein wenig. Als ich ihn nun im Apostolischen Palast traf, waren keine Vorstellungen nötig."

Für ihn sei es auch diesmal aufregend gewesen, von der Schweizergarde am Eingang des Vatikans, an der Porta Sant’Anna vorbei, durch ein Labyrinth von Gebäuden und schließlich durch eine Reihe von Sälen des Apostolischen Palastes geführt zu werden. Am Ende habe er in einem stillen Raum Platz genommen, bis ein Erzbischof ihn in die Bibliothek geführt habe, die zugleiche als Büro und Besprechungsraum diene. Dort schließlich wartete der Papst.

"Eine ruhige, bodenständige Person…"

Ist auch ein bekannter Ordensmann aufgeregt, bevor er den Papst trifft? Ja, sagt Martin. Aber mit Leo sei es doch etwas anders: "Ich habe oft gelesen, dass Päpste als 'gelassen' beschrieben wurden und jetzt verstehe ich, was das bedeutet." Auf die Rückfrage, was er damit meine, erinnert er an einen guten Freund, einen Jesuiten, der ihm kurz nach der Papstwahl sagte, es scheine, als ob Leo wie für diese Aufgabe geboren sei. "Er wirkt in seiner neuen Rolle sehr im Einklang. Es muss wirklich die Amtsgnade sein, wie wir sagen, und seine innere Freiheit", fügt Martin hinzu. Mehrfach betont er die Gelassenheit des Pontifex: "Papst Leo ist eine ruhige und bodenständige Person mit großem Sinn für Humor. Also sehr entspannt."

Und inhaltlich? Die Frage, ob Leo fortführe, was Franziskus begonnen habe, bejaht Martin: "Die Botschaft, die ich erhalten habe, ist, dass er zumindest in Bezug auf Synodalität und Offenheit das Erbe von Franziskus fortsetzt." Mit einem Unterschied: Er werde dies in einem bedächtigeren, überlegteren Stil tun – vielleicht auch wegen seines Alters: "Papst Franziskus wirkte wie ein Mann in Eile. Leo ist jünger und fühlt sich daher vermutlich weniger gedrängt." Näheres wollte Martin nicht mitteilen, da solche Gespräche vertraulich seien und beide auf diese Weise vollkommen frei sprechen könnten.

Jesuit James Martin in Rom. Im Hintergrund: der Petersdom.
Bild: ©KNA/Francesco Pistilli

Ist auch ein bekannter Ordensmann aufgeregt, bevor er den Papst trifft? Ja, sagt Martin.

Auch wenn Martin nicht über die genauen Inhalte seines Treffens sprechen wollte, auf seinem Portal "Outreach" äußerte der Jesuit einige Vorschläge, die er dem Kirchenoberhaupt in der persönlichen Unterredung mitgegeben hat. Konkret ein Fünf-Punkte-Plan, was Bistümer tun sollten, um LGBTQ-Katholiken willkommen zu heißen: Zunächst gehe es darum, ihre Existenz in der Kirche überhaupt anzuerkennen, ihnen aufmerksam zuzuhören und sie willkommen zu heißen – etwa durch pastorale Angebote. Danach folge das aktive Einbeziehen in Gemeinden. Schließlich könne die Kirche auch Fürsprecherin sein, wenn LGBTQ-Personen Diskriminierung, Gewalt oder Mobbing erfahren.

Dabei betont Martin, dass nicht alle Diözesen den gleichen Stand haben – manche befinden sich noch in den ersten Schritten, während andere bereits direkt in die Rolle der Fürsprache eintreten können, ohne kirchliche Lehren in Frage zu stellen. Was Papst Leo mit diesen Vorschlägen macht, muss die Zukunft zeigen. Martin selbst habe er jedenfalls ermutigt, mit seinem Dienst fortzusetzen.

Kontroversen wegen Buch

In den vergangenen Jahren ist James Martin vor allem durch seine Seelsorge für LGBTQ-Katholiken bekannt geworden – ein Engagement, das ihm viel Zuspruch, aber auch Kritik eingebracht hat. Neben seiner pastoralen Arbeit schreibt er regelmäßig für die Jesuitenzeitschrift America, dessen Chefredakteur er ist, und die Online-Plattform Outreach, die sich speziell an queere Katholiken richtet und die er gegründet hat. Auch als Autor ist er erfolgreich: Mehrere seiner Bücher wurden in den USA zu Bestsellern. Besonders viel Aufmerksamkeit erhielt 2017 "Building a Bridge", in dem er die Kirche zu einem respektvolleren Umgang mit homosexuellen Menschen aufrief. Das Buch löste lebhafte innerkirchliche Debatten aus, wurde aber zugleich von zahlreichen Kirchenvertretern ausdrücklich gelobt – unter ihnen Kardinal Joseph Tobin, Erzbischof von Newark.

Auch Papst Franziskus zeigte wiederholt seine Wertschätzung für Martins Arbeit. Bereits 2017 holte er ihn als Berater in das vatikanische Kommunikationsdikasterium. Zwei Jahre später gewährte er dem Jesuiten eine erste Privataudienz. 2021 folgte ein persönlicher Brief des Papstes, 2023 schließlich die Berufung zum Mitglied der Weltsynode. Ein besonderes Zeichen der Nähe setzte Franziskus zudem, als er das Vorwort zur italienischen Ausgabe seines Buches "Komm heraus: Die Auferweckung des Lazarus und die Verheißung des größten Wunders Jesu" verfasste.

Von Mario Trifunovic