Seelsorge nach Abtreibungen: Wird Gott mir verzeihen?
Im Internetforum nachabtreibung.de ist als Selbsthilfeportal für Frauen nach einer Abtreibung konzipiert. Nachdem einer mehrjährigen Pause soll es nun wiederbelebt werden. Mit dabei ist auch der Pallottiner Klaus Schäfer. Über den Bereich "Seelsorge" können Frauen mit ihm in Kontakt kommen. Im Interview erklärt er, wie er zu diesem Engagement kam und wie er es mit der katholischen Lehre vereinbaren kann.
Frage: Pater Schäfer, wie sind Sie dazu gekommen, im Internetforum "nachabtreibung.de" ehrenamtlich Seelsorge anzubieten?
Pater Klaus Schäfer: Ich bin Klinikseelsorger und habe vor etwa 20 Jahren für ein Buch online Umfragen dazu gemacht, wie sich Frauen nach Tot- und Fehlgeburten fühlen. Über diesen Umweg sind die Betreiberinnen des Forums auf mich aufmerksam geworden und haben gefragt, ob ich dort als Seelsorger mitmachen würde. Ich habe spontan ja gesagt.
Frage: Wie ist das Portal konzipiert?
Schäfer: Das Portal ist ein reines Selbsthilfeportal und grenzt sich bewusst von einer professionellen Beratung ab. Es geht nur darum, dass sich Frauen nach einem Schwangerschaftsabbruch in einer vertrauensvollen Atmosphäre austauschen können. Im Chat gibt es einen Reiter "Seelsorge" mit dem Kontakt zu mir. Meistens geht es da um einen kurzen Austausch, nur wenige Frauen habe ich wirklich über Monate begleitet. Die meisten sind sehr froh über Impulse, die sie bekommen. In dem Forum findet keinerlei moralische Verurteilung statt. Nachdem es 2014 an seine technischen Grenzen kam, lag es für einige Jahre brach und wurde jetzt auf den neuesten Stand gebracht. Wir wollen es wieder zu neuem Leben erwecken. Den Bedarf, sich über das Tabuthema Abtreibung auszutauschen, gibt es immer noch.
Frage: Mit welchen Fragestellungen kommen die Frauen zu Ihnen?
Schäfer: Es waren bisher ganz unterschiedliche Fragen, auch Spirituelles: gibt es ein Leben nach dem Tod? Wie gehe ich mit meinen Schuldgefühlen um? Wird Gott mir verzeihen? Eine Frau hatte sich gegen Abtreibungen engagiert, auch auf öffentlichen Veranstaltungen. Plötzlich war sie selbst ungewollt schwanger. Sie entschied sich für einen Abbruch und tat genau das, was sie zuvor massiv verurteilt hatte. Das hat mir verdeutlicht, wie leicht es ist, etwas von anderen zu fordern, wenn man es selbst gar nicht erbringen muss. Eine andere Frau schrieb mir im Chat, dass sie das Gefühl hatte, vor zwei falschen Alternativen zu stehen. Noch eine andere meinte, wenn sie gekonnt hätte, hätte sie nicht das Kind abgetrieben, sondern die Umstände. Aus der Klinikseelsorge kenne ich aber auch andere Beispiele: Einer Frau, bereits mehrfache Mutter, wurde wegen der starken Behinderung ihres ungeborenen Kindes zu einem Abbruch geraten. Es hieß, dass das Kind die Geburt wahrscheinlich ohnehin nicht überleben würde. Aber die Frau entschied sich bewusst anders. Sie erlebte diese Schwangerschaft ganz bewusst. Tatsächlich konnte sie nach der Geburt noch einige Wochen mit dem Kind verbringen. Ich bin gespannt, mit welchen Fragen sich Frauen jetzt nach dem Neustart des Forums an mich wenden.
Pater Klaus Schäfer SAC arbeitet seit 2017 an der Uni-Klinik in Regensburg als Klinikseelsorger.
Frage: Wenn Frauen nach einem Schwangerschaftsabbruch mit Schuldgefühlen zu Ihnen kommen, kommen diese Gefühle dann aus ihnen selbst oder eher von außen, aus Gesellschaft, Familie, Kirche?
Schäfer: Die Schuldgefühle kommen schon auch von außen. Aber auch hier gibt es ein Beispiel, wie es positiv laufen kann. Eine alte Frau erzählte mir einmal, dass sich vor Jahrzehnten eine alleinlebende Schwangere verzweifelt an sie gewendet hatte. Sie wusste nicht, wohin sie für eine Abtreibung gehen sollte. Die Angesprochene hatte aber selbst kleine Kinder und bot an, sich tagsüber um das Kind zu kümmern. So könnte die Mutter arbeiten gehen und weiter den Lebensunterhalt verdienen. Das Kind wurde geboren und ist längst ein erwachsener Mensch. Auch heute noch braucht es für Betroffene mehr konkrete Hilfen, nicht nur von Staat oder Kirche, sondern auch aus dem sozialen Umfeld. Statt zu verurteilen, gilt es zu sagen: Ich stehe Dir bei, welche Hilfe brauchst Du?
Frage: Das schreiben Sie auch im Forum: "Ich verurteile nicht, ich begleite". Wie schaffen Sie diesen Spagat zwischen der Seelsorge und der Lehre der Katholischen Kirche, die Abtreibungen als Sünde ablehnt?
Schäfer: Ich war einst Soldat bei der Bundeswehr. Während dieser Zeit haben wir in Nordfrankreich einen riesigen Soldatenfriedhof besucht, ein Meer aus Gräbern deutscher Soldaten, mehr als 25.000, eine Kleinstadt sozusagen. Das war für mich ein einschneidendes Erlebnis. Die Kirche verurteilt den Krieg. Aber die Kriegstoten beerdigt sie, ihre Familien begleitet sie. Das ist die Parallele, die ich gezogen habe und die mein Engagement antreibt. Ich werde als Seelsorger erst dann aktiv, wenn der Abbruch schon geschehen ist. Dann bringt es nichts mehr, zu verurteilen. Dann gilt es, zu begleiten.
Frage: Welche theologische Fundierung gibt es für eine Seelsorge nach einem Schwangerschaftsabbruch?
Schäfer: Unser Ordensgründer Vinzenz Pallotti hat ein Buch verfasst mit dem Titel "Gott, die unendliche Liebe": Gott findet nicht alles gut, was wir tun, aber er liebt uns, das können wir gar nicht verhindern. Mit diesem Gottesbild begegne ich den Frauen. Im Alten Testament sagt der Prophet Jesaja: "Kann denn eine Frau ihr Kindlein vergessen, eine Mutter ihren leiblichen Sohn? Und selbst wenn sie ihn vergessen würde: ich vergesse dich nicht" (Jesaja 49,15). Das heißt für mich: Gottes Liebe ist größer als alles, was wir uns in menschlicher Liebe vorstellen können, sogar größer als die Liebe zwischen Mutter und Kind.
Frage: Haben Frauen eine Hemmschwelle, sich ausgerechnet bei Ihnen als katholischem Seelsorger zu melden?
Schäfer: Den Eindruck hatte ich bisher nicht. Die Frauen nahmen das Forum als Schutzraum wahr und vertrauten darauf, dass sich dort nur Menschen engagieren, die eben nicht verurteilen. Darauf achten auch die Betreiberinnen, die selbst Abtreibungserfahrung haben. Verurteilende Beiträge werden sofort gelöscht.
„Ich hoffe, dass es eines Tages in Deutschland wieder kirchliche Schwangerenkonfliktberatungsstellen gibt, die den Frauen das ganze Spektrum an Hilfen aufzeigen, das die Kirche ihnen geben kann.“
Frage: Was macht eine Abtreibung mit gläubigen Frauen? Was mit den Partnern?
Schäfer: Ich weiß meistens gar nichts über den religiösen Hintergrund der Frauen, mit denen ich chatte. Ich antworte auf die Fragen, die von den Frauen kommen, aber ich frage dann nicht weiter nach ihrem Glauben oder ob sie in die Kirche gehen. Eine Frau schrieb mir mit Sorgen um das Jenseits. Den Gedanken, wegen ihrer Abtreibung in die Hölle zu kommen, konnte sie ertragen – nicht aber, dann auf Ewigkeit von ihrem Kind getrennt zu sein, das im Himmel sei. Das mag sich etwas wunderlich anhören, aber das war die Zerrissenheit dieser Frau. Über die Partner und das Verhältnis zu ihnen äußerten sich die Frauen bisher kaum.
Frage: Was müsste die Kirche aus Ihrer Sicht an ihrer Haltung gegenüber Frauen ändern, die eine Schwangerschaft abbrechen?
Schäfer: Ich leider sehr darunter, dass die Bistümer ab dem Jahr 1998 aus der Schwangerenkonfliktberatung aussteigen mussten. Das sollte revidiert werden. Vor der Entscheidung von Papst Johannes Paul II. sind damals deutsche Bischöfe nach Rom gereist. Sie haben ihm ein Fotoalbum mit Kindern gezeigt, die leben, nachdem Frauen in kirchlichen Beratungsstellen waren. Lebensschützer nennen die Beratungsscheine gern eine "Lizenz zum Töten". Wer die Beratung nur unter diesem Gesichtspunkt sieht, blendet einen großen Teil der Realität aus. Ich hoffe, dass es eines Tages in Deutschland wieder kirchliche Schwangerenkonfliktberatungsstellen gibt, die den Frauen das ganze Spektrum an Hilfen aufzeigen, das die Kirche ihnen geben kann. Bis dahin halte ich es mit Konfuzius, der sagte: Man kann lange über die Dunkelheit schimpfen oder sie verfluchen. Besser ist es, ein Licht anzuzünden.
Frage: Ein Wiedereinstieg in die Schwangerenkonfliktberatung müsste wohl in Rom beschlossen werden – gibt es jetzt schon konkrete, niedrigschwelligere Möglichkeiten der Pastoral?
Schäfer: Das kommt dann auf den einzelnen Geistlichen an. Es gibt solche, die eine ähnliche Haltung haben wie ich und die Frauen im Beichtstuhl oder Beichtgespräch gut begleiten. Aber es gibt auch diejenigen, die die harten Regeln der katholischen Kirche buchstabengetreu umsetzen und Frauen nach einem Schwangerschaftsabbruch verurteilen. Wenn etwa von Ebene der Bischöfe das Thema Schwangerschaftskonfliktberatung neu aufgerollt würde, dann könnte ein Umdenken einsetzen. Außerdem gibt es auch besonders schwierige Grenzsituationen….
Frage: Was meinen Sie damit?
Schäfer: In der Klinikseelsorge begegnete mir einmal eine Frau, die eine Krebsdiagnose bekam, als sie im frühen Stadium schwanger war. Die Ärzte sagten, die Wahrscheinlichkeit, dass das Kind überleben würde, sei sehr gering – selbst wenn die Frau auf die eigene Krebstherapie verzichtete. Sie rieten zum Schwangerschaftsabbruch. Die katholische Klinik durfte aber auch in diesem Fall die Abtreibung nicht durchführen. Deswegen musste die Frau erst zu anderen Ärzten und kam dann zur weiteren Behandlung wieder zurück. Ich denke, die Kirche sollte gut überlegen, ob sie nicht mindestens in solch ethisch-moralischen Grenzfällen ihre Position ändert.
Zur Person
Pater Klaus Schäfer SAC arbeitet seit 2017 an der Uni-Klinik in Regensburg als Klinikseelsorger. Zuvor war der Pallottiner fünfzehn Jahre Krankenhausseelsorger in den St. Vincentius-Kliniken in Karlsruhe und mehrere Jahre Rektor der Hausgemeinschaft des Paulusheims in Bruchsal. Schäfer hat zahlreiche Schriften veröffentlicht und hält auf Anfrage Vorträge und Schulungen. Dabei reichen seine Themen von Hirntod und Organtransplantation bis zu Krankheit, Stillgeburt, Sterben, Tod und Trost.
