Ordensmann zu Klosterstreit: "Hauptsache, Jesus ärgert sich nicht"

Strümpfe und Kamm sind für ihn Luxusgegenstände, die er nicht braucht. Dafür lebt er ganz für Gott und die Menschen. Pater Stephan Senge ist Zisterzienser und lebt als Mönch in Himmerod. Und das aus voller Überzeugung, obwohl sein Kloster und seine Gemeinschaft bereits 2017 aufgelöst wurden. Pater Stephan ist aus Überzeugung in Himmerod geblieben. Im Interview mit katholisch.de spricht er darüber, wie er den Konflikt um die drei Augustiner Chorfrauen in Goldenstein wahrnimmt, deren Kloster ebenso aufgelöst wurde.
Frage: Pater Stephan, haben Sie von den drei Augustiner-Chorfrauen aus Goldenstein erfahren, die aus dem Altenheim raus und in ihr früheres Kloster zurück sind, obwohl es aufgelöst wurde?
Pater Stephan: Ja, davon habe ich in der Zeitung gelesen. Das finde ich ganz wunderbar, toll.
Frage: Für den Ordensoberen, der für die Schwestern verantwortlich ist, ist das aber nicht so toll. Der ärgert sich …
Pater Stephan: Hauptsache, Jesus ärgert sich nicht. Die Einzelheiten rund um das Kloster in Goldenstein kenne ich nicht so gut. Als Außenstehender kann ich nicht beurteilen, wie es zu dem Konflikt überhaupt kam und wie lange der schon andauert. Aber ich finde, die Schwestern sollen nach ihrem Gewissen handeln. Es geht uns Ordensleuten immer um die Perspektive der Ewigkeit. Jesus wird uns einmal fragen, ob wir für ihn genug gelebt haben. Mein Gewissen sagt mir doch, was ich zu tun habe. Und bei diesen Ordensschwestern ist es das Gleiche. Es ist wohl ihre Aufgabe, vor Ort in ihrem Kloster bei den Menschen zu sein. Eben dort, wo sie früher so lange gewirkt haben. In ihrem Altenheim war das anscheinend für sie nicht möglich. Sie wollten sich halt nicht zurückziehen, sondern mittendrin in der Nähe ihrer Schule leben. Ich denke, sie versuchen von Jesus her zu leben. So wie ich es hier in Himmerod mache. Ich wollte auch hierbleiben. Aber trotzdem: Streit ist nie gut, auch weil er jetzt so öffentlich ausgetragen wird. Es ist immer besser, miteinander zu reden.
Frage: Hatten Sie damals auch Streit, als Ihr Kloster geschlossen wurde und Sie mit den Mitbrüdern wegziehen sollten?
Pater Stephan: Unsinn, nein, Streit gab es nicht. Hier ist keiner im Streit voneinander weg gegangen. Wir wurden befragt und konnten uns dann dazu äußern. Unser Kloster wurde aufgelöst, die Gemeinschaft wurde aufgelöst und hat sich neu verteilt. Und ich bin halt geblieben.
Frage: Aber wenn sich jemand dazu entscheidet, ins Kloster einzutreten, dann verspricht er seinem Oberen den Gehorsam …
Pater Stephan: Ja, ich sage statt Gehorsam gerne "Gehörsam", denn da steckt das Hören auf das Wort Gottes drin. Gott allein bin ich zum Gehorsam verpflichtet. In den Klöstern wird gerne vom heiligen Gehorsam gesprochen. Also wenn der Abt oder die Äbtissin etwas sagt, dann ist das zu tun und zu leisten. Aber das darf man doch auch in Frage stellen, oder? Ich frage mich schon, auf wen ich letztendlich hören will. Wir Ordensleute sollten auf den Heiligen Geist Gottes hören und aus dem Geist Jesu leben. Das habe ich versprochen, als ich hier in Himmerod 1958 eingetreten bin. Und das haben die drei Ordensfrauen in Goldenstein ja auch einmal versprochen, als sie eingetreten sind. Vielleicht findet sich eine gute Lösung für sie, dass sie da in ihrem Kloster bleiben können - im Einvernehmen mit ihrem Oberen. Das würde ich ihnen wünschen.
Frage: Leben Sie eigentlich im Ungehorsam in Himmerod?
Pater Stephan: Nein, ich gehöre der Kongregation der Abtei Mehrerau in Österreich an. Der Abt dort ist mein Oberer. Diese Abtei ist Teil einer größeren Kongregation, zu der mehrere Zisterzienserklöster gehören. Ich habe nach der Auflösung meiner Gemeinschaft durchaus versucht, ein anderes Kloster zu finden, das mich aufnimmt. Zum Beispiel in Österreich, denn in Stams in Tirol war ich als Jugendlicher im Internat, zur Vorbereitung auf die Matura. Aber letztlich wollten sie mich nicht, weil es zu kompliziert gewesen wäre und diese Abtei im Ausland liegt. Ich habe mich also offiziell schon um Gehorsam bemüht und habe nachgefragt, was es für mich für Möglichkeiten gäbe. Aber natürlich wollte ich hier in Himmerod in der Eifel bleiben. Und ich bin froh, dass ich noch hier bin.
Die Zisterzienserabtei Himmerod und die Klostergemeinschaft der Mönche in der Eifel wurde 2017 aufgelöst. Doch Pater Stephan Senge ist geblieben. Heute wirkt der Ordensmann dort auf vielfältige Weise.
Frage: Aber Sie leben alleine in Himmerod, ohne eine feste Mönchsgemeinschaft ...
Pater Stephan: Ja, denn meine Gemeinschaft wurde 2017 aufgelöst. Damals wurden auch Gründe dafür genannt, die ich nur schwer nachvollziehen konnte. Zwei ehemalige Mitbrüder gingen in die Abtei Marienstatt bei Streithausen in Nordrhein-Westfalen. Ein ehemaliger Mitbruder ist dort sogar Abt geworden. Aber ich wollte nicht dorthin. Hier in Himmerod wäre dann niemand mehr für die Menschen da gewesen. Das wäre für mich unverantwortlich und nicht vereinbar mit dem Evangelium. Jesus sagt uns in der Bibel so oft, dass wir unseren Nächsten lieben sollen wie uns selbst. Und das mache ich hier. Ich halte jeden Tag Gottesdienste in der Abteikirche und in anderen Kirchen in der Umgebung und unterstütze den Rektor in der Seelsorge. Ich bin 91 Jahre alt. Ich bete vier Mal am Tag das Stundengebet in der Kapelle mit den Menschen, die kommen. Wir treffen uns auch abends in der Pfortenkapelle zum gemeinsamen Gebet. Ich mache das genauo gerne wie früher.
Frage: Haben Sie dazu eine offizielle Erlaubnis?
Pater Stephan: Ja, ich habe einen normalen Vertrag mit meinem Orden. Ich habe eine Exklaustrierung, das heißt, ein Mönch, der normalerweise in einer Gemeinschaft leben soll, hat dadurch die Erlaubnis für fünf Jahre außerhalb und woanders zu leben. Also ich lebe hier in Himmerod ganz offiziell. Ich bin nicht im Ungehorsam mit meinem Oberen. Ich bin auch kein Eremit. Ich wohne im Gästehaus des Klosters, habe im Haus meinen Arbeitsplatz und lebe von einer kleinen Rente. Um mich herum ist ein Team, das sich um die Gäste kümmert. Es gibt viele, die mich bei meinen Aufgaben unterstützen. Das ist ein Geschenk für mich. Und ich setze mich seit 1997 für die Menschen in Afrika ein und reise jedes Jahr dorthin. Meistens in den Südsudan. In Afrika sterben unzählige Menschen, weil sie hungern. Da muss man doch etwas dagegen tun. Ich halte Lesungen, schreibe Bücher und versuche die Menschen darauf aufmerksam zu machen und sammle Spenden, damit die Schüler in Afrika wenigstens einmal am Tag ein warmes Essen erhalten. Diese Aufgabe finde ich wichtiger für mich als in einem bestimmten Kloster zu sitzen, und mein Ende abzuwarten. Ich denke, die Menschen sind froh darüber, dass ich geblieben bin.
Frage: Wenn Ihr Vertrag mit dem Orden eines Tages nicht verlängert werden sollte, müssen Sie dann zurück in ein Kloster?
Pater Stephan: Das gäbe eine Revolution hier in der Eifel, wenn ich plötzlich verschwinden würde. Nein, ich gehe von hier nicht weg. Und überhaupt: Zeigen Sie mir bitte ein Kloster, das einen über 90-Jährigen gerne aufnehmen würde. Ich kann mich noch immer gut selbst versorgen, mache jeden Tag Sport und schwimme regelmäßig im kalten Fluss für meine Gesundheit. Ich brauche nicht viel zum Leben. Ich bete jeden Tag mein Stundengebet und mache das jetzt nur nicht mehr mit meinen Mitbrüdern zusammen, sondern mit den Gästen, die hierherkommen und mit den Mitarbeitern des Gästehauses. Ich bin dankbar für diese Menschen. Ich biete weiterhin Meditationen und Besinnungstage an und im November bin ich wieder im Sudan und besuche dort Flüchtlingslager und Schulen und feiere Gottesdienste dort. Ich bleibe in Himmerod.
Frage: Möchten Sie einmal in Himmerod beerdigt werden?
Pater Stephan: Das wird sich dann schon ergeben. Das spielt keine Rolle, wo ich dann nach meinem Tod liegen werde. Aber sterben möchte ich noch nicht.