Himmelklar – Der katholische Podcast

Theologin: Bibel hat oft weniger Frauen-Vorbehalte als die Leseordnung

Veröffentlicht am 01.10.2025 um 00:30 Uhr – Von Verena Tröster – Lesedauer: 

Köln ‐ Die Leseordnung in Gottesdiensten müsse geändert werden, sagt Annette Jantzen. Denn biblische Frauen kämen in den gelesenen Texten kaum vor – obwohl ihre Geschichten wichtig sind. Im Podcast spricht sie über Beispiele "herausgeschnittener" Frauen.

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Sie seien gekürzt, gestrichen und manipuliert worden: Geschichten von Frauen in der Bibel. In Gottesdiensten kommen sie kaum vor – die 60 Jahre alte Leseordnung sei deshalb dringend revisionsbedürftig, sagt die Theologin und Autorin Annette Jantzen, die vor allem für ihren Blog "Gotteswort, weiblich" bekannt ist. Den Frauen in der Bibel widmet sie nun ein Buch. Im Podcast erklärt sie unter anderem, wieso ihre Recherche sie manchmal richtig sauer macht.

Frage: In Ihrem neuen Buchprojekt geht es um Frauen in der Bibel und es geht um Kritik an der Leseordnung, in der diese Frauen kaum vorkommen. Die Leseordnung gibt es seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil. Vor 60 Jahren ist also beschlossen worden, welche Texte aus der Bibel in den Gottesdiensten gelesen werden.

Jantzen: Ja, genau, davor war die Auswahl der Texte, die in Gottesdiensten gelesen wurden, sehr klein. Der Auftrag von Papst Paul VI. an die entsprechende Kommission war dann, sie sollten die wesentlichen Texte der Bibel zusammentragen und in eine Leseordnung bringen. Die geht am Sonntag immer in einen dreijährigen Wechsel, Lesejahre A, B und C. Und an den Werktagen, Montag bis Samstag, gibt es zwei Lesejahre, zwischen denen immer abgewechselt wird: Jahr I, Jahr II, Jahr I, Jahr II.

Die Sonntage folgen den Evangelien und gehen die Briefe im Neuen Testament auch noch relativ kontinuierlich durch. Sie suchen dann jeweils aus dem ersten Testament einen dazu passenden Text, der dazu in Resonanz gehen kann, aus. An den Werktagen wird auch aus ersttestamentlichen Büchern in größeren Bögen gelesen. Da gibt es mehrere Bögen, wo die Genesis über mehrere Wochen gelesen wird oder aus den Büchern der Könige oder aus prophetischen Büchern, aus den Briefen und so.

Eine Leseordnung zu erstellen ist sehr viel Arbeit, das ist keine Frage. Und das verdient Respekt, aber sie wäre dringend revisionsbedürftig, weil man mittlerweile doch sehr gut sehen kann, wo der Blick der Ersteller einfach verengt war. Das betrifft an den Sonntagen insbesondere den Umgang mit dem ersten Testament, dem der Text oft nicht gerecht wird, sondern ihn nur als so eine Art Vorwort oder Vorstufe oder Trittbrett fürs zweite Testament nimmt. Das betrifft aber auch sehr oft die Frauentexte.

Frage: Sie sagen, Frauen sind herausgeschnitten worden, kommen teilweise überhaupt nicht vor. Ich kenne tatsächlich nur wenige Frauen aus der Bibel. Maria natürlich, Elisabeth, ich kenne Maria Magdalena, Eva und Sara, die Frau von Abraham. Von denen höre ich im Gottesdienst. Von anderen nicht.

Jantzen: Wir denken heute oft, wir können ja alle alles lesen. Wir sind nicht mehr so wie vor Jahrhunderten, als die Gläubigen auf die Bilder in den Kirchen angewiesen waren, uns liegt ja alles offen, aber so ist es eben nicht. Es geht ganz vielen Menschen so wie Ihnen. Die wesentliche Kontaktfläche mit biblischen Texten ist der Gottesdienst.

Ich habe zuerst gedacht, ich schreibe ja dann nur über die Frauen, die in der Leseordnung diskriminiert werden. Und jetzt, wo ich mit dem Manuskript fast fertig bin, muss ich sagen: Ich schreibe über nahezu alle Frauen der Bibel, die eine Geschichte haben. Die, wo nur eine Namensnotiz irgendwo steht, da ist halt nicht mehr zu holen. Ich erfinde ja nichts dazu.

Bild: ©R. Sentis/Bonner Münster (Symbolbild)

Die Leseordnung müsse gerade mit Blick auf die Texte über Frauen dringend revidiert werden, fordert Annette Jantzen.

Frage: Von was für einem Umfang sprechen wir da?

Jantzen: Im ersten Testament gibt es etwas über 60 Frauen mit nennenswerter Geschichte, wo ein bisschen was erzählt wird: Was sie sagt, was sie tut, wie sie lebt und wie sie glaubt, natürlich auch. Von denen kommen an den Sonntagen ganze fünf vor. Das ist Eva. Das ist die gute Frau aus dem Buch der Sprichwörter, das ist aber nur eine allegorische Person. Am Festtag der Maria vom Magdala ist es die Frau aus dem Hohelied. Dann kommen wir allmählich auch schon ans Ende. Und das ist doch sehr wenig. Die Witwe von Sarepta kommt noch vor. Das ist eine Frau, an der der Prophet Elija Wunder tut, die die Größe Gottes ins Bild bringen. Die hat aber eine Doppelgängerin, an der dann der Prophetenjünger Elischa die gleichen Wunder wirkt. Diese Geschichte wurde also mehrfach erzählt. Die Doppelgängerin ist aber ein bisschen selbstständiger. Sie sagt mehr, sie geht mehr in Kontakt, sie handelt mehr, und von ihr wird dann nicht gelesen.

Das heißt, wenn man nur von Eva, der Witwe von Sarepta, und Sara, wobei deren Lesung so zurechtgeschnitten wird am Sonntag, dass sie nur noch indirekt vorkommt, weil Abraham sagt, Sara backt Brot. Dass Sara nachher mit Gott selber spricht, wird am Sonntag nicht vorgetragen. Das ist einmal Teil einer Werktagslesung. Da merken Sie schon, wie unglaublich viel da fehlt.

Frage: Wieso hat man die Geschichten über Frauen so beschnitten?

Jantzen: Man hat geguckt, was denn wichtig ist. Das haben Männer geguckt. Und Männer finden Männer wichtig. In der frühen Königszeit bei König David tauchen zum Beispiel eine ganze Menge spannender Frauen auf. Und die Texte über die Frauen sind in der Regel die, in denen auch Machtfragen verhandelt werden, weil auch heute noch Macht oft über Frauenfragen verhandelt wird.

Das sind vor allem königskritische Texte, die auch zeigen, dass David im Umgang mit Macht nicht immer der ideale König ist, wie wir den heute gerne sehen. Aber indem dann die Frauentexte weggelassen werden, also der Umgang mit seiner Frau Michal, Tochter Sauls, oder der Umgang mit seiner Tochter, die von ihrem Bruder vergewaltigt wird und der David überhaupt keine Gerechtigkeit widerfahren lässt, das sind Texte, die David in ein kritischeres Licht rücken würden. Und die werden dann nicht gelesen, weil man David gerne als den makellosen König haben will.

Oder man liest Texte über Sara nicht, weil man Abraham viel wichtiger findet. In der Genesis zum Beispiel, im ersten Buch der Bibel, da wird die Geschichte als eine Familiengeschichte erzählt. Jede nächste Generation, die das liest, kann sich da irgendwie hereinlesen. Diese Familiengeschichten erhalten ihre Dynamik durch das Handeln der Frauen. Und trotzdem bleiben in der Leseordnung oft nur die Männer, die aber, was die Geschichten angeht, hinter den Frauen oft ein bisschen blass sind.

Frage: Haben Sie ein Beispiel dafür? Wo die Geschichte einer Frau eine wichtige Dynamik reinbringt?

Jantzen: Sara zum Beispiel zweifelt überhaupt nicht an Gottes Wort. Als Abraham einen Sohn verheißen bekommt, da fällt er erst mal auf sein Gesicht vor Lachen und lacht sich kaputt über diese absurde Verheißung. Sara glaubt direkt. Aber das hört man nicht. Und bei Abrahams Lachen bin ich mir gerade nicht sicher, ob es Teil der Leseordnung ist oder nicht. Auf jeden Fall wirkt Abraham in der Leseordnung makelloser und eindeutiger als der Glaubende schlechthin als im biblischen Text.

Im Neuen Testament ist das ein bisschen anders. Denn, wenn man von Jesus erzählen will, dann kommt man zum Glück an den Frauen nicht vorbei. Da wird nicht so viel an den Frauen gekürzt. Da sind die Texte aber auch nicht dazu da, um von Frauen zu erzählen. Sie sind im Evangelium dazu da, um von Jesus zu erzählen. Das ist die eigentliche Intention. Jesus ist in Kontakt mit Männern und Frauen und macht da wenig Unterschiede. Das wird in der Regel mitgelesen, aber die Auswahl ist doch öfter bedenklich. Vor allem, wenn Evangelien sehr lang sind. Dann darf gekürzt werden und dann fällt oft genug die Frauengeschichte weg.

Bild: ©Harald Oppitz/KNA (Symbolbild)

"Wenn Sie mal in eine normale Werktagsmesse irgendwo hereingehen, dann werden Sie deutlich mehr Frauen als Männer finden. Und diese Frauen könnten aus biblischen Texten eine Sprache finden, die Frauenwirklichkeit benennt", sagt Annette Jantzen.

Frage: Das nimmt Frauen in der Kirche doch ihre Orientierung, oder?

Jantzen: Ja, ich finde das hoch unfair, vor allem bei den Werktagsgottesdiensten. Werktags kommen ungefähr 20 dieser 60 Frauen aus dem ersten Testament tatsächlich vor – ein Drittel, immer noch deutlich gekürzt. Und die meisten Menschen, die Werktagsgottesdienste besuchen, sind Frauen, vor allem Ordensfrauen.

Aber auch ansonsten, wenn Sie mal in eine normale Werktagsmesse irgendwo hereingehen, dann werden Sie deutlich mehr Frauen als Männer finden. Und diese Frauen könnten aus biblischen Texten eine Sprache finden, die Frauenwirklichkeit benennt; die Frauen zitiert, die beten; die Frauen in ihren Handlungen verfolgt; die Frauen eine Stimme gibt, die Opfer von Gewalt werden; die die Geschichten dieser Frauen zu Ende erzählt, sodass Erinnerung stark machen kann, dass ihre Namen genannt werden.

Das macht einfach einen Unterschied, ob man in biblischen Texten ausschließlich männliche Akteure hört, die miteinander reden, miteinander handeln, mit Gott reden, mit Gott handeln, oder ob da auch Frauen dabei sind und auch als handelnde Akteurinnen vorkommen. Dafür, dass die Bibel so ein alter Text ist, hat dieser sehr alte Text doch oft weniger Vorbehalte gegenüber Frauen, die in der Geschichte Gottes mit den Menschen vorkommen, als die heutige Leseordnung.

Frage: Was hat den Anstoß gegeben, sich eingehender mit dieser Thematik zu beschäftigen?

Jantzen: Das war, als ich am Anfang dieses Jahres zum ersten Mal bemerkt habe, wie mit Hagar in der Leseordnung umgegangen wird. Das hat mich so sauer gemacht, dass ich danach gesagt habe: Jetzt gehe ich dieses Buch an. Hagar ist neben Sara eine Frau Abrahams. Sara hat sie Abraham zur Frau gegeben, um der Sohnesverheißung auf die Sprünge zu helfen. Hagar wird dann tatsächlich die Mutter des ersten Sohnes von Abraham, von Ismael. Aber dadurch, dass Hagar schwanger wird, geraten die Verhältnisse in diesem nomadischen Haushalt durcheinander. Und das Resultat ist, dass Hagar in die Wüste verstoßen wird. Dort macht sie eine Gottesbegegnung.

Die ist ambivalent, denn für Mose führt die Gottesbegehung in der Wüste in die Freiheit. Für Hagar führt sie zurück in die Sklaverei. Aber sie macht dort eine Erfahrung, die ihr niemand mehr nehmen kann. Und das ist einer der Spitzensätze der hebräischen Bibel. Das ist das einzige Mal im gesamten biblischen Text, dass von einem Menschen gesagt wird, dieser Mensch nennt Gott bei Gottes Namen. Mose fragt nach dem Namen, Hagar nennt Gott bei Gottes Namen. Und sie ist auch die erste theologische Person in der Bibel, die erste Person, die ins Wort bringt, wer Gott für diesen Menschen ist. Und sie sagt: Du bist die Gottheit, die mich sieht. Deswegen nennt man den Brunnen, wo das Ganze passiert ist: Brunnen des Lebendigen, der nach mir schaut.

Und diese zwei Sätze werden herausgestrichen in der katholischen Leseordnung. Das ist in der 12. Woche im Jahreskreis, da sagt der Engel nur: Geh zurück. Und dann kommt: Hagar ging zurück und gebar für Abraham einen Sohn. Und ihre Gottesbegegnung wird ihr genommen. So darf man einfach mit einem biblischen Text nicht umgehen. Das war mir völlig unverständlich, warum das so herausgeschnitten wird. Das hört man ja nicht. Wenn man in der Kirche ist und diesen Text hört, dann merkt man ja nicht, dass da etwas fehlt. Und an dieser Stelle finde ich, das grenzt an Manipulation. Das muss man mal ins Wort bringen.

Himmelklar: Haben Sie denn das Gefühl, Sie werden gehört?

Jantzen: Ja, ich denke schon. Ich bin eine Stimme unter vielen, aber ich habe die Möglichkeit, meine Texte über meinen Blog in die Welt zu bringen. Ich habe Verlage gefunden, die meine Manuskripte gerne nehmen. Ich bin eine Stimme unter vielen und werde als eine Stimme unter vielen auch gehört.

Von Verena Tröster