Was die gemeinsame christliche Grundlage noch heute relevant macht

Theologen diskutieren über Bedeutung des Konzils von Nizäa

Veröffentlicht am 18.10.2025 um 00:01 Uhr – Von Roland Juchem (KNA) – Lesedauer: 

Münster ‐ Vor 1.700 Jahren tagte das erste Ökumenische Konzil in Nizäa. Es legte fest, Jesus Christus sei "wesensgleich" mit Gott. Welche Konsequenzen das für die Christen weltweit hatte, beleuchtet eine Konferenz in Münster.

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Worin sind sich die Kirchen wirklich einig? Und wie lässt sich das Wesentliche des christlichen Glaubens in unterschiedlichen Kulturen und Lebenslagen angemessen formulieren? Am Ende einer dreitägigen Theologenkonferenz zum ersten christlichen Konzil vor 1.700 Jahren in Nizäa, die am Freitag endete, waren es diese beiden Fragen, die sich rückblickend durch die Debatte zogen.

Zwar bekennen heute noch alle Konfessionen, dass Jesus Christus der Sohn Gottes sei und "wesensgleich" mit dem Vater. Mit dieser Formulierung wollte das Treffen von Bischöfen und Theologen unter Leitung des römischen Kaisers Konstantin in dessen Residenzort Nizäa (heute Iznik in der Türkei) entstandene innerchristliche Streitigkeiten beilegen. Entscheidend sei aber, was diese Aussagen über einen dreifaltigen Gott für die Menschen und ihre Lebenslagen bedeuten, sagte etwa die Münsteraner Theologin Dorothea Sattler in ihrem Schlussvortrag.

Theologen gaben und geben Antworten, "aber was sind die Fragen?", so Sattler. Noch schwieriger werde es, wenn viele die Existenz eines Gottes ganz in Frage stellen. Und von was solle Christus erlösen, wenn man den zerstrittenen Christen selbst nicht ansehe, dass sie erlöst seien und so leben sollten, wie Jesus es forderte?

Keine unmittelbaren ökumenischen Fortschritte

Auch wenn das Nizäa-Gedenken im Jahr 2025 keine unmittelbaren ökumenischen Fortschritte zeige, blieben gemeinsames Gedenken und Dialog wichtig, sagten die Theologen Michael Seewald aus Münster und Philipp Renczes aus Rom der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) am Rande der Tagung. Seewald und Renczes hatten die internationale Doppelkonferenz, deren erster Teil im Februar in Rom stattfand, organisiert.

Im zweiten Teil ging es vor allem um das nizäische Glaubensbekenntnis im interreligiösen und interkulturellen Dialog. Mit der Aussage, Jesus Christus sei Gottes Sohn und daher dem Gottvater wesensgleich, markierte das Konzil eine wichtige Wegstation bei der Trennung von Judentum und Christentum, so Renczes in seinem Vortrag. Auch wenn diese Trennung kein explizites Anliegen von Nizäa war, hätten spätere extreme Interpretationen kirchlichen Antijudaismus befeuert.

Die einstige Hagia-Sophia-Kirche in Iznik wird heute als Moschee genutzt.
Bild: ©Andrea Krogmann/KNA

Die einstige Hagia-Sophia-Kirche in Iznik wird heute als Moschee genutzt.

Dennoch waren das 4. Jahrhundert und das Nizäa-Konzil aus jüdischer Sicht eine Zeit zunehmender Benachteiligung, wie der Basler Judaist Alfred Bodenheimer erläuterte. Mit der Annäherung an die kaiserliche Macht und die Aufnahme von Nicht-Juden habe das Christentum seinen jesuanischen Ursprung aufgegeben, zitierte Bodenheimer die jüdischen Historiker Heinrich Graetz (1817-1891) und Simon Dubnow (1860-1941).

Wie schwierig die Verkündigung eines menschgewordenen Gottes in Lateinamerika und Asien war, erläuterten die Theologin Eva Pamela Reyes aus Chile und der indische Jesuit John Pudota Rayappa. Während für die Menschen in Lateinamerika vor allem der leidende und einfühlsame Mensch Jesus Christus bedeutsam war, versuchten christliche Missionare in Indien, die Inkarnation des Gottessohnes mit dem Konzept der Avatare einer Gottheit zu erläutern.

Jesus Christus als Avatar Gottes oder Proto-Ahn

Leider habe die katholische Kirche in Asien Chancen der Verkündigung vertan, weil sie nicht genügend offen gewesen sei für alternative Vorstellungen, mit denen Menschen sich dem christlichen Gott näherten, so Rayappa. Vertane Chancen und die nach wie vor ungenügende Wahrnehmung anderer kultureller Ansätze kritisierte der aus dem Kongo stammende Pastoraltheologe Égide Muziazia. Als Beispiel nannte er die Vorstellung von Jesus Christus als einer "Proto-Ahn", der aus der Transzendenz den Lebenden den Weg weise. Dies sage Afrikanern mehr als die griechischen Begriffe "logos" (Wort) und "kyrios" (Herr).

Für die Reformatoren des 16. Jahrhunderts waren die ersten Konzilien Orientierungspunkte, wie die Kirche ihrer Zeit reformiert werden könne, erläuterte die Heidelberger Theologin Friederike Nüssel. Dabei ging es Martin Luther etwa vor allem um die Gegenwart Christi im Abendmahl und die Frage, wie der Gottessohn mit seinem Tod am Kreuz die Menschheit erlösen konnte. Später hingegen mussten die altkirchlichen Dogmen gegen aufkommende Deutungen Jesu als bloßen Propheten neu betont werden, so der Greifswalder Dogmatiker Thomas Kuhn.

Auch für die Reformation in England waren die Aussagen der ersten Konzilien wie Nizäa Orientierungspunkte einer eigenen Theologie. Denker wie John Jewel (1522-1571) und Richard Hooker (1554-1600), so der englische Theologe Ben Quash, hätten dabei Bibel, Tradition und Vernunft als Maßstäbe herausgearbeitet. Jede kirchliche Lehre müsse sich an diesen messen lassen.

Von Roland Juchem (KNA)