Den anderen respektieren und ihm doch ins Angesicht widerstehen
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Mit dem kommenden Sonntag beginnt das neue Kirchenjahr. Blickt man auf das vergangene Jahr zurück, kommt man in Welt und Kirche kaum an den vielen Konflikten vorbei, die oft nicht bloß mit notwendiger rhetorischer Schärfe ausgetragen wurden. Oft reagiert man mit schneller Empörung, die dem Zuhören der anderen Seite kaum Raum lässt. Ein konstruktiver Diskurs kommt so nur selten zustande. Alle wissen auf die eine oder andere Weise immer schon Bescheid und haben die Wahrheit gepachtet. Wer aber die Wahrheit gepachtet hat, kann herrlich über andere urteilen – die müssen doch einfach irren!
Das Ideal auch des kirchlichen Miteinanders kann sicher nicht die Abwesenheit von Streit sein. Im Gegenteil: Zu den eindrücklichsten Szenen der frühchristlichen Kommunikation gehört die autobiographische Anmerkung des Paulus, er habe dem Petrus "ins Angesicht widerstanden". Der hatte die Absprachen der Jerusalemer Synode, die auch als Apostelkonzil bekannt ist, gebrochen (vgl. Gal 2,10). Das Apostelkonzil war nötig geworden, weil es eine neue Praxis, die der Heidentaufe gegeben hatte. Die Urgemeinde um die Zwölf hielt an den alten Traditionen fest, nur Juden zu taufen, in Antiochia hatte man einfach so eine neue Praxis der Taufe ohne vorherige Beschneidung begonnen. Beide Haltungen waren nicht kompatibel. So kam man zusammen, um die Sache zu klären – im gegenseitigen Hören, Ringen und Entscheiden. Die Entscheidung fiel schließlich einmütig: Petrus, Johannes und Jakobus zu den Juden, Paulus zu den Heiden. Als Zeichen der Einheit veranstalteten die heidenchristlichen Gemeinden eine Kollekte für die Jerusalemer Urgemeinde (vgl. Gal 2,9f). Diese Synode fällte eine epochale Entscheidung mit einer bis heute wirkenden Tragweite – und das nicht in Jahren, sondern eher Tagen als Wochen.
Der Streit war nicht zu Ende. Man rang weiter miteinander. Man ließ nicht voneinander. Das könnte Hoffnung für die Gegenwart machen. Vielleicht sollte das ein Vorsatz für das neue Kirchenjahr sein: Der anderen Seite, wenn es sein muss, ins Angesicht widerstehen – und dabei den nötigen Respekt walten lassen. Wenn wir das in der Kirche schaffen, könnte das womöglich für die Gesellschaft vorbildhaft sein. Das ist nur ein Vorsatz. Aber man soll die Hoffnung ja nicht aufgeben.
Der Autor
Dr. Werner Kleine ist Pastoralreferent im Erzbistum Köln und Initiator der Katholischen Citykirche Wuppertal.Hinweis
Der Standpunkt spiegelt ausschließlich die Meinung der jeweiligen Autorin bzw. des Autors wider.
