Johannes Paul II. hatte eine beste Freundin. Den Zölibat hielt er aber wohl ein

Päpstliche Resilienz

Veröffentlicht am 17.02.2016 um 12:00 Uhr – Von Wolfgang Thielmann – Lesedauer: 
Kolumne

Bonn ‐ Papst Johannes Paul II. hatte eine enge Freundschaft zu einer Frau. Das zeigte am Dienstag eine Dokumention auf Arte. Warum das nicht heißt, dass er auch den Zölibat gebrochen hat, erklärt die Vatikan-Kolumne "Franz & Friends".

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Frauen verursachen Priestern komplexe Gefühlslagen, hieß es in der Zeitschrift "Christ in der Gegenwart". Mitarbeiterinnen bedeuteten für Geistliche "eine erotische Herausforderung". Denn Priester hätten sich bis zum Pfarramt in einer reinen Männerwelt aufgehalten. Nun sähen sie in Mitarbeiterinnen "eine Bedrohung der männlichen Dominanz schlechthin". Da sind, schrieb der Autor, der Dekan Erich Guntli aus Buchs im Schweizer Kanton St. Gallen, "alle möglichen Spielarten der Gefühlslagen offen, die zu sonderbarsten Verhaltensmustern führen".

Wenn das stimmt, dann hat der vorvorige Papst Johannes Paul II. die erotische Herausforderung aufgesucht wie Ronja Räubertochter die Glupa-Wasserfälle. Ronja meinte, sie müsse üben, nicht in die Fluten hineinzufallen, denn davor hatte Vater Mattis sie gewarnt. Deshalb ging sie immer so nah wie möglich ans schäumende Wasser.

Heute gibt es einen Begriff dafür: Resilienzstärkung. Kinder brauchen sie, und Geistliche vielleicht auch. Der päpstlichen Resilienzstärkung widmeten die Sender BBC am Montag und Arte am Dienstag eine Dokumentation: Der Papst, der Erste der zölibatär lebenden Menschen, hat Frauen an sich herangelassen! Er hat ihnen Briefe geschrieben!

Und über Jahre hatte er das, was Jugendliche heute eine beste Freundin nennen. Es war die Philosophin Anna-Teresa Tymieniecka. Wissenschaftlich war Tymieniecka fasziniert von ihrem 1938 verstorbenen Vorbild Edmund Husserl und seiner Phänomenologie.

Husserl ging es, sehr vereinfacht gesagt, um die schiere Wahrnehmung und den Abbau aller Vorurteile. Aber persönlich mochte Tymieniecka den Krakauer Erzbischof, der 1978 zum Papst gewählt wurde. Der zeigte wie sie eine Vorliebe für Philosophie. Allerdings mehr für die ältere, die vor der Aufklärung, die noch dem Vorurteil huldigte, dass Gott der Ausgangspunkt des Denkens sei.

Die beiden pflegten eine kritische Zuneigung. Als sie sein Buch über Liebe und Verantwortung gelesen hatte, da war sie erstaunt. "Ich dachte, er weiß offenbar nicht, wovon er redet", zitiert sie die BBC. Hat die Frau es dem Bischof gezeigt? Sie schrieben einander viele Briefe und verbrachten viele Urlaubstage gemeinsam. Er hat sich mit ihr ablichten lassen, im Winter neben einem alten Wolga, auf Skiern, in Anorak und Lastexhose, und auch beim Zelten in Shorts. Jetzt wissen wir, dass der spätere Johannes Paul II. nicht zum O-Bein neigte wie die Mehrheit der Männer.

In den Siebzigerjahren hat Tymieniecka geheiratet. Ihr Mann hat den Papst wirtschaftlich beraten. Das spricht dagegen, dass Johannes Paul II. den Zölibat gebrochen hat. Aber wenn sie sich so viele Briefe geschickt haben, las sie wahrscheinlich schon vorab seinen "Brief an die Frauen" von 1995. Fühlte sie sich verstanden? Er schrieb: "Du bereicherst das Verständnis der Welt und trägst zur vollen Wahrheit der menschlichen Beziehungen bei."

Und er berief sich auf Katharina von Siena und auf Teresa von Ávila. Auch die waren mit Päpsten befreundet. Für komplexe Gefühlslagen hatte man in früheren Jahrhunderten keinen Begriff. Die Resilienzstärkung hieß damals noch "geistliche Gemeinschaft".

Hintergrund: Christ & Welt

Diesen Text der Kolumne "Franz & Friends" publiziert katholisch.de mit freundlicher Genehmigung von "Christ & Welt", einer Beilage der Wochenzeitung "Die Zeit". "Christ & Welt" - das sind sechs Seiten, die sich auf Glaube, Geist und Gesellschaft konzentrieren, sechs Seiten mit Debatten, Reportagen und Interviews aus der Welt der Religionen. "Christ & Welt" ist im Jahr 2010 aus der traditionsreichen Wochenzeitung "Rheinischer Merkur" hervorgegangen.
Von Wolfgang Thielmann