Zwei Seelsorger bieten Telefondienst für Verärgerte und Ausgetretene an

Bei Anruf - Priester!

Veröffentlicht am 10.08.2016 um 00:01 Uhr – Von Gabriele Höfling – Lesedauer: 
Bistum Regensburg

Regensburg ‐ Zwei Geistliche aus Regensburg haben ihre Handynummern veröffentlicht - zusammen mit einer ungewöhnlichen Einladung. Sie richtet sich an Menschen, die sich über die Kirche ärgern oder ausgetreten sind.

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Bis zu zehn Anrufe täglich erreichen jeden der beiden. Je nachdem, um was es geht, reicht eine Viertelstunde, manchmal sind aber auch 45 Minuten sehr schnell um. "Das ist zum Teil schon recht intensiv am Telefon", erzählt Dekan Johann Ammer, der Pfarrer im Ort Pilsting in Niederbayern und Sekretär des Priesterrats der Diözese ist. Anlass der ungewöhnlichen Aktion war die Veröffentlichung der Kirchenstatistik 2015, nach der im vergangenen Jahr 181.295 Menschen die katholische Kirche verlassen haben, 6.632 davon im Bistum Regensburg.

Intensive Gottesbeziehung bei vielen Anrufern

Zwar muss Ammer am Telefon auch gegen das eine oder andere Vorurteil ankämpfen. Meist sind am anderen Ende der Leitung aber Menschen, für die der Glauben durchaus einmal eine wichtige Rolle im Leben gespielt hat - oder noch spielt: "Vielen, die ausgetreten sind, ist es ein Anliegen, ihren Schritt noch einmal ausführlich zu begründen", ist Ammers Erfahrung. Und Manfred Strigl ergänzt: "Ich staune manchmal, welch intensive Gottesbeziehung sich in den Gesprächen offenbart, wie sehr die Menschen beten und sich mit der Bibel beschäftigen", so der Leiter des Exerzitienhauses Johannisthal in der Oberpfalz, der auch Regionaldekan von Weiden ist. Es sei oft vor allem die Institution Kirche, mit der die Menschen unzufrieden seien: "Da werden der Missbrauchsskandal und ausufernde Bauvorhaben angesprochen und natürlich die Frage: Was macht die Kirche mit meinen Steuergeldern?", so Ammer.

Johann Ammer ist Dekan im Bistum Regensburg.
Bild: ©privat

Johann Ammer ist Dekan im Bistum Regensburg.

Ein Thema, das sich wie ein roter Faden durch die Gespräche zieht, ist ein wahrgenommener Mangel an persönlicher Ansprache - und das auf verschiedenen Ebenen: "Ist da jemand in der Pfarrei, der Zeit hat für das persönliche Anliegen? Ist die Sprache im Gottesdienst so gestaltet, dass die Menschen verstehen, was das mit ihrem Leben zu tun hat?", verdeutlicht Strigl. Manche der Verärgerten berichteten am Telefon zudem, dass sie sich zum Beispiel in einem persönlichen Gespräch mit einem Seelsorger nicht ernstgenommen fühlten. "Solchen Menschen kommt die Kirche dann wie ein Selbstzweck vor", fasst Strigl zusammen.

Manche sind sogar so enttäuscht, dass sie sich in den Gemeinden nicht mehr zu Hause fühlen. Das sei beispielsweise zu spüren, wenn Geschiedene oder Wiederverheiratete anrufen: "Das sind oft sehr engagierte Leute, die sich wirklich aus ihrer Kirche hinausgedrängt fühlen", berichtet Manfred Strigl. Ganz anders laufen telefonische Diskussionen mit Jugendlichen: "Brauchen wir die Kirche überhaupt noch? Ohne geht es uns doch auch gut!" Oder: "Jesus ist ja ganz okay, aber diese ganzen alten Kirchenstrukturen sind doch seltsam", solche Sätze fallen dann. "Und die Jugend hat ja auch ein Recht, so zu denken", meint Ammer schmunzelnd.

Wie aber mit diesen verschiedenen Anrufen umgehen? Für Manfred Strigl ist vor allem eines wichtig: Die Leute ernst nehmen. "Ich versuche, ihnen mit Empathie zu begegnen, nachzufragen, was genau passiert ist. Und ich versuche, sie zu überzeugen, ob sie nicht einen Weg sehen, sich in der Kirche einzusetzen und dort ihre Kritik anzubringen, statt einfach auszutreten." Und das scheint auch zu fruchten: Ammer wie Strigl machen bei den Telefonaten jedenfalls die Erfahrung, dass sie es schaffen, Menschen eine neue Perspektive zu geben und sie wirklich zum Nachdenken zu bringen.

Bild: ©Haus Johannisthal

Manfred Strigl ist Leiter des Exerzitienhauses Johannisthal in der Oberpfalz.

Wie dem Schrumpfen der Kirche begegnet werden kann, dafür haben natürlich auch sie kein Patentrezept. Sie halten es aber für wichtig, bei den Gemeinden anzusetzen: "Wir müssen überlegen, wie wir die Seelsorge-Angebote dort wieder stärken", ist Manfred Strigl überzeugt. "Was wir beide hier machen, ist im Prinzip ja nichts anderes als Telefonseelsorge." Schon mehrfach hatte er Unzufriedene an der Strippe, deren Situation vielleicht ganz anders aussähe, wenn sie alle zwei Wochen einmal kurz mit dem Pfarrer sprechen könnten. "So eine enge Betreuung können viele Priester in den Gemeinden einfach nicht mehr leisten. Dabei wäre das so wichtig." Johann Ammer formuliert es in seinen Worten: "Nicht wenige Priester haben viel zu viele Verwaltungsaufgaben. Sie müssen entlastet werden."

"Charismatische Pastoral" und "wertschätzende Gemeinde"

Als eine Möglichkeit, um an diesem Problem anzusetzen, nennt Strigl die "charismatische Pastoral" - also zu erforschen, wie sich Gemeindemitglieder gemäß ihren Begabungen noch stärker einbringen können. Und das Stichwort einer "wertschätzenden Gemeinde" fällt. Auch Menschen mit Brüchen im Leben müssten fest in das Gemeindeleben integriert werden. Darüber hinaus sei Authentizität ein wichtiger Aspekt, meint Johann Ammer: "Die Menschen müssen den Priestern vorne am Altar abnehmen, dass sie wirklich aus dem Glauben heraus handeln". Genau das versuchen auch er und Priesterkollege Strigl mit ihrer Telefonseelsorge zu vermitteln.

Hinweis

Der Telefondienst des Bistums Regensburg für Verärgerte oder Ausgetretene läuft noch bis Ende August. Bis dahin sind Johann Ammer und Manfred Strigl zwischen 9 Uhr und 20 Uhr fast durchgehend zu erreichen. Ihre Telefonnummern lauten 0151-57818237 und 01573-4878428.
Von Gabriele Höfling