Zwischen kindlichem Krippenspiel und ernster Eucharistiefeier

Ist die Christmette ein Muss?

Veröffentlicht am 22.12.2017 um 13:37 Uhr – Lesedauer: 
Weihnachten

Bonn ‐ Reicht es, an Heiligabend nur ein Krippenspiel am Abend zu besuchen – oder ist doch die Christmette in der Nacht unverzichtbar? Liturgiewissenschaftlerin Birgit Jeggle-Merz erklärt, worauf es ankommt.

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Frage: Frau Jeggle-Merz, genügt es an Heiligabend eine Krippenfeier statt der Christmette zu besuchen?

Jeggle-Merz: Die klassische römische Liturgie feiert Weihnachten in einem Dreischritt: Die Feier beginnt mit der Christmette in der Mitte der Heiligen Nacht, in der die Verkündigung der Geburt Jesu gefeiert wird, dann geht es weiter mit dem Hirtenamt frühmorgens und mündet in den Höhepunkt, die Eucharistiefeier am ersten Weihnachtsfeiertag. Hier steht der Johannesprolog, also die Kunde von der Fleischwerdung des Wortes, im Zentrum. Doch so Weihnachten zu feiern, entspricht nicht der Frömmigkeit oder dem Bedürfnis heutiger Menschen. Viele beginnen ihre Feierlichkeiten mit dem Besuch eines Krippenspiels oder der Mitfeier einer Kinderweihnacht am späten Nachmittag oder frühen Abend. Das ist wie ein Schwellenritual, das zur intimen Familienfeier zu Hause überleitet. Ich verurteile dies nicht, denn ich finde, dass sich auch in dieser Praxis eine Sehnsucht der Menschen ausdrückt. Andere gehen auch aus rein praktischen Gründen lieber in einen Gottesdienst am späten Nachmittag als in die Christmette mitten in der Nacht.

Frage: Also ist es in Ordnung, an Weihnachten nur ins Krippenspiel zu gehen?

Jeggle-Merz: In die Krippenfeier zu gehen, ist doch nicht einfach nichts. Also ist das in Ordnung. Ich finde es nur etwas problematisch, wenn Menschen, die wenig mit Gottesdienst zu tun haben, dann nur Feiern kennenlernen, die vor allem auf Kinder zugeschnitten sind. Ich frage mich, was das auf Dauer mit Menschen macht, wenn der Glaube immer nur als Kinderglaube erscheint. Ich meine, dass die neuen Großpfarreien, die in verschiedenen Diözesen errichtet worden sind, die Chance bieten, neben Krippenfeiern am Nachmittag, die sich an junge Familien richten, auch andere Formen anzubieten, die sich vor allem an Erwachsene richten.

Frage: Welche Formen meinen Sie denn?

Jeggle-Merz: In Erfurt zum Beispiel gibt es seit den 1980er-Jahren das "Weihnachtslob“. Nur ein kleiner Prozentsatz der Bevölkerung ist dort katholisch oder christlich. Und doch gibt es ein Bedürfnis Weihnachten zu feiern. Man singt gemeinsam Weihnachtslieder, dann wird das Weihnachtsevangelium vorgelesen, darauf folgt eine kurze Predigt und danach ist Stille. Und mitten in diese Stille hinein beginnt die Gloriosa, die besondere Glocke des Erfurter Domes, zu läuten. Das ist ein besonders feierliches Gefühl für alle Teilnehmenden. Danach betet man zusammen das Vaterunser und erhält einen Segen. Wer nicht beten will oder kann, ist einfach dabei. Und: Wem das zu wenig ist, der feiert im Anschluss daran die Christmette in der benachbarten Kirche mit. Es geht also recht traditionell zu in Erfurt und doch spricht es an.

Bild: ©privat

Birgit Jeggle-Merz ist Professorin für Liturgiewissenschaft an der Universität Luzern.

Frage: Wie muss die Weihnachtsmette gestaltet sein, dass sie für mich als gläubiger Mensch attraktiv wird?

Jeggle-Merz: Die Wissenschaft macht seit den 1990er-Jahren einen sogenannten "performative turn" aus. Damit ist gemeint, dass nach einer Zeit, in der man meinte, nur das Gedankliche sei wichtig, die alte Weisheit wiederentdeckte, nach der nichts im Verstand ist, was nicht zuvor in den Sinnen gewesen wäre. Auch Gottesdienst wurde auf einmal wieder wahrgenommen als ein Ganzes aus Gesten, Haltungen, rhythmischen Bewegungen, aus "etwas zu tun" mit Gegenständen, wie Wasser, Salbe, Weihrauch und zu dem auch ein Ambiente aus Musik, Gesängen, Momenten der Stille, aus Licht und Raum gehört. Darin eingebunden sind auch die Wortgestalten der Liturgie, also die Gebetstexte. Der heutige Mensch will in allen Dimensionen angesprochen werden, die das Feiern ermöglicht. Es ist ernst zu nehmen, dass es oft die Musik ist, die eine Ahnung von Gott vermittelt. Oder, dass zum Beispiel die Dimension Licht anrühren und einer Sehnsucht nach mehr Ausdruck geben kann.

Frage: Welche Bedeutung übernimmt das Licht in der Liturgie?   

Jeggle-Merz: Ein Kirchenraum, der ganz in Kerzenlicht gehüllt ist, kann eine ganz andere Dichte vermitteln als elektrisches Licht. Von daher finde ich es besonders schön, wenn in der Christmette nur Kerzenlicht verwendet wird. Warum nicht auch beispielsweise das Friedenslicht aus Betlehem zu Beginn des Gottesdienstes hineintragen? Warum nicht jede Bank mit einer eigenen Kerze schmücken? Warum nicht jedem Mitfeiernden eine Kerze in die Hand geben? Natürlich erinnert das an die Osternacht. Aber warum sollte ein solcher Bezug falsch sein. Weihnachten hat eine Menge mit Ostern zu tun. Die liturgischen Texte an Weihnachten erzählen viel von diesem Licht Gottes, das unsere Dunkelheit erhellt. Die transzendente Dimension des Lichtes wird so für die Gläubigen erfahrbar und nachvollziehbar.

Frage: Auf welches Weihnachtslied würden Sie in der Christmette nicht verzichten?

Jeggle-Merz: Viele Mitfeiernde erwarten das Lied "Stille Nacht, heilige Nacht", auch wenn es auf den Weihnachtsmärkten aus den Lautsprechern immer wieder erklungen ist und dadurch etwas Abgenutztes hat. Doch zu Krippenspiel und Christmette kommen viele Menschen, die nur wenig Ahnung von Weihnachten und der Bedeutung des Festes haben. Aber wenn dieses Lied erklingt, wissen alle, worum es geht. Auch wenn das Lied theologisch an manchen Stellen seicht ist, es ist für viele der Inbegriff des Weihnachtsgefühls. Wenn man beim Singen noch das Licht ausmacht, dann wird es zwar vielleicht romantisch und kitschig, aber Weihnachten ist spätestens zu diesem Zeitpunkt in den Herzen der Gläubigen angekommen.

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Video: © Benjamin Krysmann

gesungen von der Jungen Kantorei der Basilikamusik Kevelaer in der Basilika St. Marien in Kevelaer.

Frage: Aber wird Weihnachten so nicht nur romantisch verklärt?

Jeggle-Merz: Nein, da habe ich keine Sorge. "Stille Nacht, heilige Nacht" und "O du Fröhliche" sind ja nicht die einzigen Texte des Gottesdienstes. Da sind noch viele andere Gebete, die von Weihnachten als dem Fest der Geburt des Gottessohnes sprechen. Und dann sind da ja auch noch die biblischen Lesungen oder das Krippenspiel, was der Botschaft von Weihnachten szenischen Ausdruck gibt. Wichtig ist natürlich auch die Predigt, denn sie will oder sollte zum Ausdruck bringen, was Weihnachten in unseren heutigen Lebenssituationen bedeutet. Sie soll deutlich machen, was es für jeden Einzelnen bedeutet, wenn die Menschwerdung Gottes mitten unter uns geschieht. Dafür müssen die Worte bedacht und sensibel gewählt werden. Auch Fernstehende, Gläubige anderer Konfessionen oder vielleicht auch Muslime sind in den Weihnachtsgottesdiensten anzutreffen und hören mit. Was für eine Chance das für die Kirche ist!

Frage: Die Predigt im Dunkeln verleitet aber auch zum Einschlafen …

Jeggle-Merz: Ja, nicht immer gelingt es, die Menschen in ihren Herzen anzusprechen. Bisweilen sind Predigten auch langweilig oder nichtssagend. Vielleicht ist jemand aber auch nur müde, weil es mittlerweile spät in der Nacht geworden ist. Das ist doch nicht schlimm. Falsch wäre es aber, wenn man die Chance dieser Weihnachtsgottesdienste nicht nutzt. Es gibt kaum einen Gottesdienst im Jahr, in dem so viele Menschen anzutreffen sind wie im Weihnachtsgottesdienst. Deshalb ist es auch ganz wichtig, viel in diese Gottesdienste zu investieren. Damit meine ich nicht Geld, sondern Engagement und Zeit. Weihnachten ist pastoral gesehen einer der wichtigsten Gottesdienste im Jahr. Die Leute erfahren hier: So ist Kirche. Also muss möglichst alles stimmen: Die Menschen merken, ob die Dramaturgie im Gottesdienst stimmt, ob verständlich gesprochen wird, ob es in der Kirche warm ist oder ob es schlecht riecht, ob das Mikrofon knackst oder ob die Ministranten unruhig sind. Allem, was passiert, kommt eine hohe Bedeutung zu, denn all das zusammen ist die Sprache der Liturgie.

Frage: Was stört Sie im Weihnachtsgottesdienst?

Jeggle-Merz: Natürlich gibt es auch mal Störungen. Es kann passieren, dass einzelne Kinder sehr unruhig sind. Doch wenn ein Kind ohne Unterbrechung schreit, dann glaube ich, merken es die Eltern selbst, dass ihr Kind draußen besser zu beruhigen ist. In Krippenfeier passiert es auch recht oft, dass man früh da sein muss, um einen guten Platz zu bekommen. Dann kann es schon mal recht unruhig werden, weil die Kinder lange warten müssen. Warum da nicht schon eine halbe Stunde vor Beginn der eigentlichen Feier mit dem Singen von Adventsliedern beginnen. So kann schon eine feierliche Stimmung entstehen. Störungen kann es auch geben, weil Menschen in den Gottesdiensten sind, die mit den Abläufen nicht so vertraut sind. Wenn jemand beim Friedensgruß "Grüß Gott" sagt, dann bin auch ich im Feiern irritiert. Hier alle Schritte zu erklären, hilft nicht weiter. Die beste Schule des Gottesdienstfeierns ist das Mitfeiern. Deshalb finde ich es gerade in den Weihnachtsgottesdiensten wichtig, alle auch wirklich mitfeiern zu lassen. Warum nicht mit den Kindern kleine Prozessionen einbauen? So kann man zum Beispiel nach dem Evangelium mit allen Kindern zur Krippe gehen. Man könnte sogar dann ein Kind in die Krippe legen.

Frage: Ein lebendiges Kind in die Krippe legen?

Jeggle-Merz: Ja, warum nicht? Ich habe das noch nicht erlebt, fände es aber spannend, ein Kind, in Windeln gewickelt, in die Krippe zu legen, während das Weihnachtsevangelium vorgelesen wird. Das wäre doch eine lebendige Weihnachtsbotschaft, oder? "Heute ist uns der Heiland geboren" und nicht nur vor 2000 Jahren! 

Von Madeleine Spendier

Zur Person

Birgit Jeggle-Merz (57) wurde in Münster geboren, ist verheiratet und Mutter zweier erwachsener Söhne. Sie studierte von 1978 bis 1984 katholische Theologie in Bonn und Freiburg. Seit 2006 ist sie Professorin für Liturgiewissenschaft an der Theologischen Hochschule Chur und ausserordentliche Professorin für Liturgiewissenschaft an der Theologischen Fakultät der Universität Luzern. Jeggle-Merz ist Autorin zahlreicher Veröffentlichungen zu den Themen Wort-Gottes-Feier, die performative Dimension der Liturgie sowie zum Themenkreis Liturgie und Lebenswelt. Außerdem ist sie die Zentralpräsidentin des Schweizerischen Katholischen Bibelwerks (SKB), Mitglied der Liturgischen Kommission der Schweizer Bischofskonferenz sowie ständige Mitarbeiterin am Archiv für Liturgiewissenschaft.