Im Kloster am Niederrhein werden kostbare Messgewänder gewebt

Die Web-Masterinnen von Mariendonk

Veröffentlicht am 17.06.2018 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 
Klöster

Grefrath ‐ Traditionell werden am Niederrhein kostbare Messgewänder gewebt – ein Erbe der Religionskriege. Kloster Mariendonk bei Kempen hält diese Tradition lebendig, obwohl die Auftragslage immer schwieriger wird. Ein Besuch.

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Schwester Regina kommt vom Zahnarzt - aber sie lächelt trotzdem tapfer. Sie nimmt ihren alten Fingerhut und legt los. Am Ende wird der Kunde nicht sehen, an welchem Tag und an welcher Stelle des Messgewands sie die Zähne zusammenbeißen musste. Schwester Regina arbeitet in der Näherei der Abtei Mariendonk in Grefrath bei Kempen, rund 15 Kilometer von der niederländischen Grenze.

Spezialisiert haben sich die Benediktinerinnen hier auf die Theologie der Kirchenväter - und auf die Paramentenherstellung, bei der sich Handwerk und theologische Gedanken berühren. Seit 1939 besteht die Stickerei, seit 1957 die Handweberei. Hier am Niederrhein werden traditionell kostbare Messgewänder gewebt - ein Erbe der Religionskriege in Europa (siehe Infobox unten). Kloster Mariendonk hält diese Tradition lebendig.

Das Kloster, 1899 gegründet, hat seine Ursprünge in Bonn. Doch von dort wurden die Schwestern im Kulturkampf ins niederländische Driebergen vertrieben. Ein Teil des Konvents kehrte später zurück; der andere Teil gründete die Abtei in Mariendonk, ein typisches Gebäude der Region und der Epoche, aus dunklem Backstein.

Ein Priester ist keine Litfaßsäule

Die Kombination von Stickerei und handgewebten Stoffen aus einer Hand und in höchster Qualität nennt die Webmeisterin und Leiterin Paramentik, Schwester Mirjam Pesch, "nur ganz selten". Andere Werkstätten machten entweder Weberei oder Stickerei. Die größten Konkurrenten seien aber vor allem die Kataloge von Großherstellern, die teils in Osteuropa fertigen lassen. In Mariendonk kann es dagegen vom ersten Kontakt bis zum Entwurf und zum fertigen Gewand ein halbes Jahr dauern. Dafür seien viele viele Gespräche und auch Gebete nötig, so Schwester Mirjam.

Wie setzt man den Primizspruch "Wie die Wächter auf den Morgen, so wartet mein Seele auf den Herrn" am besten grafisch und künstlerisch um? Da seien schon eine Menge Gedanken notwendig. Und manchmal gebe es auch eher schwierige Kundenwünsche. Natürlich müsse man den Geschmack des Kunden respektieren, sagt die Webmeisterin diplomatisch. Aber: "Ein Priester ist keine Litfaßsäule, auf die man seine Botschaft allzu plastisch draufpacken kann." Kelch, Hostie oder ein blutender Christus gehörten nicht aufs Messgewand.

Solche bildlichen Darstellungen stammen vor allem aus der Zeit, als der Priester noch mit dem Rücken zur Gemeinde stand und auf Latein sprach - was die meisten Gläubigen nicht verstanden. Anschauen zum Zeitvertreib; der Pfarrer als "Armenbibel", wie ein Kirchenfenster. "Da ist auch schon mal Überzeugungsarbeit nötig", meint Schwester Mirjam schmunzelnd. Zwar hätten Pfarrer einen "starken Willen" - sie seien aber "in der Regel mit guten Argumenten belehrbar".

Bild: ©Harald Oppitz/KNA

Ordensschwestern der Abtei Mariendonk sticken Motive auf Messgewänder.

Die heute 56-Jährige aus Steinfeld in der Eifel kam 1980 nach Mariendonk, im selben Jahr wie die Stickmeisterin, Schwester Petra Zander. Als Jugendliche hatte Mirjam hier Urlaub gemacht, in den Landwirtschaftsbetrieben der Abtei geholfen, die es heute nicht mehr gibt. Über diese körperliche Arbeit fand sie zur Spiritualität des Klosters, und mit 19 Jahren trat sie in den Orden ein. Ihre Gesellenprüfung absolvierten Schwester Mirjam und Schwester Petra in Düsseldorf, die Meisterprüfung Anfang der 90er Jahre in München.

1980 gab es noch etwa 45 Schwestern in Mariendonk; heute sind es 27. Auch die Auftragslage ist schwieriger geworden. Die Zahl der Neupriester als potenzielle Auftraggeber sinkt. Pfarreien werden zusammengelegt. Die Paramentenschränke in den Pfarrhäusern sind voll - auch wenn die gestalterische Qualität häufig zu wünschen übrig lässt.

Unterschiede zwischen Benedikt- und Franziskus-Pontifikat

In den 60er Jahren propagierte das Zweite Vatikanische Konzil die Rückkehr zur Einfachheit - und löste damit eine Krise dieses Kunsthandwerks aus. Nach der Liturgiereform war historischer Pomp verpönt. Unter Johannes Paul II. (1978-2005) und Benedikt XVI. (2005-2013) sei die Wertschätzung liturgischer Gewänder zwar wieder gewachsen, sagt Schwester Mirjam. Doch Franziskus mit seinem Eintreten für radikale Bescheidenheit regt heute offenbar noch weniger Geistliche an, kostbarere und künstlerisch gestaltete Gewänder zu bestellen, die ihn, sozusagen gut betucht, durch ein ganzes Priesterleben begleiten. Die Preise für ein individuelles Exemplar liegen zwischen 1.000 und 3.000 Euro.

Die Kundschaft reicht von München über das Eichsfeld bis nach Hamburg und von Schweden bis in die USA. Auch die Ritter vom Heiligen Grab zu Jerusalem gehören dazu; sie bestellen hier die Barette und Mäntel für ihre Investituren. Das schafft Arbeit. In guten Jahren wurden in Mariendonk 50 bis 60 Paramente gefertigt. In schlechten - so wie derzeit - sind es 25 bis 30. "Wir sind auch ein Wirtschaftsbetrieb", sagt Schwester Mirjam. "Wir müssen kalkulieren und unsere Leute beschäftigen können." Die Schwestern können bei mauer Auftragslage auch mal in der Küche, im Gastbetrieb oder im Garten arbeiten. Mit den Angestellten geht das nicht.

Zwei Laienangestellte arbeiten im Nähzimmer, eine in der Weberei, eine in der Stickerei, allerdings nicht mit vollen Stellen. Nach eineinhalb Jahren ist im April die Auszubildende, Schwester Sulivan, in ihre Heimat Brasilien zurückgekehrt. Die Franziskanerin hat am Niederrhein Nähen und Sticken gelernt, um nun in Sao Luis do Maranhao an der Ostküste eine Werkstatt für sozial benachteiligte Kinder aufzubauen.

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Video: © katholisch.de

Wo fünf Frauen zusammenarbeiten, ist Schweigen meist ein Fremdwort. Petra Zander erzählt, warum das in der Paramenten-Werkstatt der Benediktinerinnenabtei Mariendonk anders ist. Und warum Stille auch außerhalb der Klostermauern hilfreich sein kann.

Herzstück der Werkstätten ist die Weberei, ein verwirrendes Labyrinth der Fäden, ein Universum von Balken, Spindeln und Walzen. Fünf meterhohe hölzerne Webstühle stehen bereit; es sind also mehrere Projekte gleichzeitig möglich. Fast ausschließlich wird in Mariendonk mit Seide gearbeitet. Eine Webkette kostet mindestens 2.000 Euro und hält zwei Jahre. "Diese Kette hier besteht aus 3.484 Fäden", sagt Schwester Mirjam - und fügt lakonisch etwas Unglaubliches hinzu: "Allein die Einrichtung der Kette dauert zwei Wochen, mit mehreren Personen." Beim Aufspannen müssen alle 3.484 Fäden einzeln verknotet werden!

Ein Pedaltritt, und der Webstuhl hebt einige Kettfäden an, die anderen bleiben liegen; so entsteht später das Muster. Durch den schmalen Zwischenraum wirft die Weberin den "Schützen", eine Art Schiffchen, der den sogenannten Schussfaden enthält: Damit werden die Kettfäden durchwirkt. Dann ein Tritt aufs rechte Pedal: die seitliche Bindung. Schließt man die Augen, so hört sich das ein bisschen wie Tischkickern an - nur regelmäßiger. Schuss um Schuss, Pedaltritt um Pedaltritt - ein lautes, rhythmisches Klackern. Was so harmonisch und einfach aussieht, erfordert in Wahrheit eine Menge Übung.

Ob sie das Geklapper als normal, als störend oder kontemplativ empfindet? "Alles davon", meint Schwester Mirjam. Manchmal sei auch Gebet dabei für den Auftraggeber der Arbeit. Aber: "Wenn mehrere Webstühle laufen und der Rhythmus stimmt nicht, dann ist das schon störend." Arbeit sei auch im Kloster Mühe, sagt sie bestimmt.

Nebenerwerb: Historische Fahnen restaurieren

Anschließend werden die gewebten Stoffe in der Stickerei weiterverarbeitet. Der Webstoff ist weitestgehend flach; die Stickerei macht sie plastischer. Der Kunde entscheidet, was und wieviel davon er will. Je unregelmäßiger das Ornament oder die Figur, desto schwieriger zu weben. "Das geht mit Sticken besser", weiß Schwester Petra.

Im Nebenerwerb restauriert sie historische Fahnen. Auf dem Tisch liegt gerade eine Martinsfahne aus Dahlheim. Der heilige Martin ist ausgefranst, muss neu gestickt werden. Etwa 40 Stunden Arbeit stecken in der rund 50 mal 50 Zentimeter großen Figur.

Hunderte Bobinen, kleine Röllchen mit feinster aufgedrehter Seide, in allen Farben des Regenbogens, sind in den Schränken ordentlich sortiert. Es dominieren die liturgischen Farben des Kirchenjahres: Weiß für die Freude an Weihnachten, Ostern und anderen Hochfesten, Violett für die Buße der Advents- und Fastenzeit, Schwarz für die Trauer, Grün für den liturgischen "Alltag", schließlich Rot für das Feuer von Pfingsten und das Blut des Karfreitags. "Ich kann Ihnen auch Gold anbieten", sagt Schwester Petra. Wer kann dazu schon nein sagen?

Von Alexander Brüggemann (KNA)

Seidenregion Niederrhein

Das niederrheinische Krefeld gilt als "Samt- und Seidenstadt". Seit der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts wurden hier kostbare Stoffe produziert. In Krefeld siedelten sich freikirchliche Mennoniten an, die andernorts in Europa verfolgt wurden. Diese waren geschickte Weber und verfügten über beste Handelsbeziehungen zur Beschaffung von Seide und anderen Rohstoffen. Im Zuge der französischen Besetzung der Rheinlande (1798-1814) wurden die Zünfte aufgehoben. Die damit verbundene Gewerbefreiheit gab der Krefelder Seidenfabrikation weiteren Auftrieb. Die Entwicklung besonderer Stoffe zur Herstellung von liturgischen Gewändern setzte bereits im 18. Jahrhundert ein. 1852 löste eine Krefelder Ausstellung eine Gründungswelle spezialisierter Paramenten-Webereien aus. Zur Zeit Papst Leos XIII. (1878-1903) exportierten Krefelder Webereien Kostbarkeiten in den Vatikan und bis in die USA. Sie erhielten Goldmedaillen bei den Weltausstellungen von Chicago 1893 und Paris 1900. Als eine Prozession beim Eucharistischen Weltkongress 1926 in Chicago vom Regen überrascht wurde, liefen viele Farben aus und boten einen kläglichen Anblick. Nur die Jacquard-Stoffe der niederrheinischen Weber blieben farbecht - die beste Werbung, die sie sich wünschen konnten. (KNA)