Vor 60 Jahren starb Papst Pius XII.

Vom Tod eines umstrittenen Stellvertreters

Veröffentlicht am 09.10.2018 um 13:36 Uhr – Lesedauer: 
Vom Tod eines umstrittenen Stellvertreters
Bild: © KNA

Bonn ‐ Er ist der wohl umstrittenste Papst des 20. Jahrhunderts. Von den einen hoch geschätzt und verehrt wie ein Heiliger. Von den anderen scharf kritisiert und angeklagt: Er habe angesichts von Krieg und Völkermord geschwiegen. Vor 60 Jahren starb Pius XII. in Castel Gandolfo – doch kaum bekannt ist, dass sein Tod von zahlreichen Pannen begleitet war.

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"Mit bewegtem Herzen und tief gerührt geben wir bekannt: Pius XII., einer der größten Päpste des Jahrhunderts, geschätzt und verehrt in der Welt, ist heute ruhig entschlafen." So lautete die Meldung, die am 9. Oktober 1958 gegen 3:56 Uhr in der Frühe über Radio Vatikan hinaus in die Welt ging. Und diesmal war Pius XII. auch wirklich gestorben. Denn bereits Stunden zuvor wurde die Todesnachricht verbreitet – eine Falschmeldung, wie sich herausstellte, die allein einem bisher ungekannten Medieninteresse geschuldet war.

Überhaupt war das Ableben des Papstes von allerlei seltsamen und mitunter auch skurrilen Begebenheiten begleitet worden. Pius XII. befand sich im Oktober 1958 nicht im Apostolischen Palast im Vatikan, sondern gewohnheitsmäßig in der päpstlichen Sommerresidenz Castel Gandolfo in den Albaner Bergen. Dort zeichnete sich zunehmend ab, dass der Papst, dessen Schaffenskraft schon seit Jahren stark nachgelassen hatte, wohl dem Lebensende entgegenging. Das öffentliche Angelus-Gebet am Sonntag vor seinem Tod musste Pius XII. abbrechen und noch am gleichen Tag verschlechterte sich sein Gesundheitszustand zunehmend. Gezeichnet von zwei Schlaganfällen erholte sich der Papst nicht mehr von seinem Leiden.

Ungeahnt großes Interesse

Das Interesse der Öffentlichkeit am sterbenden Papst Pius XII. jedenfalls war ungeahnt groß. In die ganze Welt hinaus drangen die Nachrichten vom immer schlechter werdenden Gesundheitszustand des Nachfolgers Petri. Radio Vatikan errichtete gar ein eigenes, provisorisches Sendestudio in Castel Gandolfo – es befand sich Tür an Tür mit dem päpstlichen Krankenzimmer. Von dort aus versorgten die Journalisten die besorgten Menschen auf dem ganzen Globus ständig mit Neuigkeiten. Und von dort aus übertrug der Radiosender angeblich sogar eine Eucharistiefeier, bei der man den Atem des Papstes hören konnte.

Diesem ungemein großen Aufsehen war es schließlich auch geschuldet, dass der Tod des Papstes bereits Stunden zu früh gemeldet wurde. Einige Journalisten hatten sich mit den päpstlichen Kammerdienern verabredet, um die Nachricht vom Tod des Papstes exklusiv zu bringen. Doch anscheinend wurde das abgemachte Signal – ein Winken mit dem Taschentuch aus einem der Fenster der Sommerresidenz – falsch gedeutet. Als bereits die ersten Beileidstelegramme aus aller Welt eingegangen waren, sah sich der Vatikan genötigt, die Meldung vom Tod des Papstes zu dementieren.

Bild: ©Samuele Gallini/Fotolia.com

Hier starb Pius XII.: Der Eingang zur Sommerresidenz des Papstes in Castel Gandolfo südöstlich von Rom.

Doch selbst als Pius XII. dann am frühen Morgen – es war ein Donnerstag – tatsächlich verstorben war, hörten die Pannen nicht auf. Der päpstliche Leibarzt Riccardo Galeazzi-Lisi, der für die Einbalsamierung zuständig war, versuchte sich an einer neuen Methode, um den Leichnam des Papstes zu konservieren. Da dabei die inneren Organe nicht entnommen wurden, begann der Verwesungsprozess auch aufgrund der herbstlichen Hitze relativ zügig. Weil der päpstliche Leichnam darüber hinaus mit einer Kräutermischung behandelt wurde, erfolgte die Aufbahrung des Papstes in Castel Gandolfo anfangs unter Frischhaltefolie. Die Schweizergardisten der Ehrenwache mussten in regelmäßigen Abständen ausgetauscht werden, da der Verwesungsgestank bereits einige der Wachehaltenden in die Ohnmacht zwang.

Verwesungsgas trat mit lautem Knallen aus

Der Transport des päpstlichen Leichnams nach Rom wurde von lauten Knallgeräuschen begleitet. Aufgrund der Wärme, die sich während der Fahrt in den Vatikan im Leichenwagen staute, begann das Verwesungsgas mit lauten Knallen aus dem Körper auszutreten. All das hatte zur Folge, dass Pius XII. im Petersdom auf einem sehr hohen Katafalk aufgebahrt wurde, um den Gläubigen den unwürdigen Anblick des toten Papstes zu ersparen.

Das Pontifikat von Papst Pius XII. hat damit ein unrühmliches Ende gefunden. Dabei hatte der 1876 in Rom geborene Eugenio Pacelli ein ganzes anderes Selbstbild: Nach seiner Ausbildung an der Päpstlichen Diplomatenakademie arbeitete er für das Heilige Offizium und wurde schließlich 1917 Apostolischer Nuntius in München. Dort erlebte er nicht nur die Auswirkungen des Ersten Weltkriegs, sondern bekam auch die Wirren um die Münchener Räterepublik und die spätere Weimarer Republik am eigenen Leib zu spüren. Beim Hitler-Ludendorff-Putsch in München war Pacelli selbst zugegen und erkannte schon 1924 die Gefahr des nationalsozialistischen Denkens.

Nach Jahren als Kardinalstaatssekretär wählten die Kardinäle am 2. März 1939 den 63-jährigen Eugenio Pacelli zum Nachfolger von Pius XI. Das Pontifikat des Pacelli-Papstes ist bis heute stark umstritten. Gerade seine Haltung zu den Verbrechen der Nationalsozialisten und die Frage nach seinem Umgang mit den verfolgten Juden sind nicht vollständig geklärt. Die Meinungen schwanken zwischen der Annahme, der Papst habe zu lange geschwiegen, bis hin zur Verehrung Pius XII. als verkanntem Helden, der sich dafür einsetzte, das verfolgte jüdische Leben mit allen Mitteln zu retten.

Papst Pius XII. empfängt Kardinal Angelo Roncalli mit seinem Sekretär Loris Francesco Capovilla am 27. März 1958.
Bild: ©KNA

Papst Pius XII. empfängt den Patriarchen von Venedig, Kardinal Angelo Roncalli, mit dessen Sekretär Loris Francesco Capovilla am 27. März 1958. Im Oktober des Jahres wurde Roncalli zum Nachfolger Pius' XII. gewählt und nahm den Papstnamen Johannes XXIII. an.

Die Realität bewegt sich wohl zwischen beiden Extremen: Wahrscheinlich hat sich Pius XII. zu zögerlich und zu abwägend an die Weltöffentlichkeit gewandt und versucht, diese mit seinen Mahnungen aufzurütteln. Vielleicht auch aus Furcht davor, das Schicksal der jüdischen Gläubigen noch zu verschlimmern. Bis man allerdings die tatsächliche Rolle des Papstes abschätzen kann, könnte es noch dauern. Denn noch sind die Akten, die im päpstlichen Geheimarchiv lagern, nicht freigegeben. Nur auf ihrer Basis wird es möglich sein, das Pontifikat einigermaßen objektiv zu bewerten.

Pius XII. bleibt daher vorerst ein Papst, dessen Persönlichkeit im Zwielicht erscheint. Einerseits förderte er seine eigene Verehrung als "engelsgleicher Hirte" und knüpfte in seinem Verständnis des Papsttums ganz an seine Vorgänger an. Ab 1944 ernannte er etwa keinen Kardinalstaatssekretär – die Nummer zwei im Vatikan – mehr, sondern übernahm diese Aufgabe selbst. Gerade durch sein beinahe asketisch wirkendes Auftreten war Pius XII. für viele Gläubige unnahbar und beeindruckend. Der italienische Außenminister Galeazzo Ciano notierte kurz nach der Krönung Pacellis: "Der Papst ist feierlich wie eine Statue. Ich erinnere mich, wie er vor einem Monat als Kardinal noch Mensch unter Menschen war. Heute scheint er wirklich von einem göttlichen Hauch berührt worden zu sein, der ihn vergeistigt und erhaben macht."

Anpassung an die Zeit

Andererseits passte sich Pacelli aber durchaus auch an die sich wandelnden Zeitverhältnisse an: Er öffnete die päpstlichen Audienzen für alle Gesellschaftsschichten und tippte seine Manuskripte eigenhändig auf der Schreibmaschine. Pacelli suchte den Kontakt zu den neuen Medien und förderte vor allem den Ausbau von Radio Vatikan. Selbst das Telefon bediente Pius XII. entgegen der Gewohnheit seiner Vorgänger selbst und meldete sich sehr häufig mit "Pacelli qui" ("Hier Pacelli"). Und schließlich hatte der Papst wohl auch seine Rücktrittserklärung eigenhändig verfasst, sollte er den Nationalsozialisten in die Hände fallen.

Vielleicht war es der Weitblick, den er sich als Diplomat erarbeitet hatte, der Pius XII. eine gewisse Nähe zur verändernden Welt und ihren Problemüberhängen garantierte. Mit dem Tod von Eugenio Pacelli am 9. Oktober vor 60 Jahren hatte die pianische Ära ein Ende erreicht. Im folgenden Konklave wählten die Kardinäle den Bauernsohn Angelo Giuseppe Roncalli, der nur wenige Monate nach dem Tod von Pius XII. das Zweite Vatikanische Konzil ankündigte. Die Zeit für ein neues Verständnis von der Kirche und vom Papsttum war wohl reif.

Von Fabian Brand