Schwester Birgit Stollhoff über das Sonntagsevangelium

Was Jesus mit der Europawahl zu tun hat

Veröffentlicht am 25.05.2019 um 17:45 Uhr – Lesedauer: 
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Hannover ‐ Was bedeutet Frieden? Im Sonntagsevangelium formuliert Jesus ihn als Anspruch und Zuspruch zugleich. Schwester Birgit sieht darin auch eine entscheidende Botschaft zur Europawahl.

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Impuls von Schwester Birgit Stollhoff

Selten hat für mich ein Evangelium prophetischer geklungen als an diesem Sonntag der Europawahl: "Frieden hinterlasse ich euch, meinen Frieden gebe ich euch. Euer Herz beunruhige sich nicht und verzage nicht."

Inzwischen wissen wir, gerade meine Generation, die mit dem Fall der Mauer und dem Ende des Kalten Krieges groß geworden ist: Friede ist brüchig. Alte vertraute Partner verabschieden sich ins Twitter-Chaos; Länder, die die linke Diktatur abgeschafft haben, lassen sich von rechtspopulistischen Politikern die Pressefreiheit einschränken; in Deutschland haben Mitbürger verschiedener Religionen wieder Angst. Wir sind beunruhigt, wir sind dabei, zu verzagen!

Was ist da Friede? Ein vertraglich abgesicherter Zustand relativer Gewaltfreiheit? Ein Verbunden-Sein durch Werte und Ideale, gewachsen auf bitteren historischen Erfahrungen? Was ist Mut? Das Wissen, mit Gleichgesinnten in der Mehrheit zu sein? Der perfekte visionäre Plan?

"Frieden", so hat der Theologe Heinrich Spaemann geschrieben, "ist vollkommene Geborgenheit und grenzenlose Freiheit in einem". Für mich ist das eine gute Beschreibung für den inneren Frieden – wenn ich mich sicher beheimatet fühle, aber nicht eingeengt; frei, aber verbunden und mitverantwortlich. Diese Pole passen für mich auch gut auf einen politischen Frieden. Friede ist auch dort, zwischen Nationen, beides: Sicherheit und Solidarität, aber auch Freiheit, Individualität und Toleranz.

Es gibt ein Spiel für Jugendliche, das diese Spannung gut darstellt: Alle Jugendlichen stellen sich in einen Kreis, strecken die Hände nach vorne und ergreifen blind je mit beiden Händen eine andere Hand. Daraus entsteht zunächst ein Knoten, der alle am Gehen hindern würde. Wenn die Jugendlichen nicht anfangen würden, miteinander zu reden, sich aneinander zu reiben, sich zu übersteigen – und das alles ganz wörtlich. Am Ende entsteht dabei ein großer Kreis, in dem sich alle an den Händen halten. Einer ist mit den Anderen verbunden und auf das Netz angewiesen. Ein Team ist geboren! Und je mehr dabei gelacht wird, desto schneller löst sich der Knoten.

Bei allem Respekt und Ernst in der Politik: Europa ist für mich so ein verwirklichtes Ideal, eine Balance zwischen Gemeinsamkeit und Eigenständigkeit, Freiheit und Vertrautheit, obwohl es manchmal ein verknotet scheinendes Verhandeln ist, ein verzwicktes Vor- und Zurück-Steigen. Immer wieder werden dabei neue Nationen integriert, es wird miteinander gefeiert, gelitten und einander geholfen. Ich kann frei und sicher reisen oder ein halbes Jahr in Schweden leben. Feuerwehrfahrzeuge müssen, wenn es dort in Schweden brennt, nicht an Grenzen stoppen, und Straftäter werden auch dahinter noch gefangen. Überall lerne ich als Mitbürgerin, als Ebenbürtige, Menschen kennen und merke bei allen Unterschieden: Uns verbindet so viel auf diesem Kontinent!

Und dennoch – der Friede, den Jesus meint, geht hier noch weiter, ist mehr als diese menschliche Einigkeit: "Mein Reich ist nicht von dieser Welt." Schon die Psalmisten besingen den Frieden als etwas, das von Gott erbeten wird, den Gott schenkt und für den man Gott dankt. Paulus spricht gar vom "Gott des Friedens". Und so wird der Friede zusammen mit dem Heiligen Geist gespendet.

Wir Christinnen und Christen dürfen auf Frieden hoffen – weil wir wissen, dass wir ihn letztlich nicht aus eigener Kraft schaffen können. Wir sind aufgefordert, uns dieser Welt dafür einzusetzen – wählen zu gehen, gegen Rassismus und Gewalt einzutreten und Krieg zu verhindern. Und gleichzeitig dürfen wir unseren besonderen Mut, unsere übermenschliche Hoffnung bewahren, unseren Blick hinter den Horizont dieser Welt, unseren Fuß in der Tür zum Reich Gottes und von dort den Frieden erbitten.

Von Sr. Birgit Stollhoff CJ

Evangelium nach Johannes (Joh 14,23-29)

In jener Zeit sprach Jesus zu seinen Jüngern: Wenn jemand mich liebt, wird er mein Wort halten; mein Vater wird ihn lieben und wir werden zu ihm kommen und bei ihm Wohnung nehmen.

Wer mich nicht liebt, hält meine Worte nicht. Und das Wort, das ihr hört, stammt nicht von mir, sondern vom Vater, der mich gesandt hat.

Das habe ich zu euch gesagt, während ich noch bei euch bin. Der Beistand aber, der Heilige Geist, den der Vater in meinem Namen senden wird, der wird euch alles lehren und euch an alles erinnern, was ich euch gesagt habe.

Frieden hinterlasse ich euch, meinen Frieden gebe ich euch; nicht, wie die Welt ihn gibt, gebe ich ihn euch. Euer Herz beunruhige sich nicht und verzage nicht.

Ihr habt gehört, dass ich zu euch sagte: Ich gehe fort und komme wieder zu euch. Wenn ihr mich liebtet, würdet ihr euch freuen, dass ich zum Vater gehe; denn der Vater ist größer als ich. Jetzt schon habe ich es euch gesagt, bevor es geschieht, damit ihr, wenn es geschieht, zum Glauben kommt.

Die Autorin

Sr. Birgit Stollhoff CJ gehört dem Orden Congregatio Jesu (auch bekannt als Mary-Ward-Schwestern) an, arbeitet im Jugendpastoralen Zentrum "Tabor" in Hannover, studiert Theologie im Fernstudium an der Universität Luzern und ist mitverantwortlich für die Öffentlichkeits- und Medienarbeit ihres Ordens.

Ausgelegt!

Katholisch.de nimmt den Sonntag stärker in den Blick: Wie für jeden Tag gibt es in der Kirche auch für jeden Sonntagsgottesdienst ein spezielles Evangelium. Um sich auf die Messe vorzubereiten oder zur Nachbereitung bietet katholisch.de nun "Ausgelegt!" an. Darin können Sie die jeweilige Textstelle aus dem Leben Jesu und einen Impuls lesen. Diese kurzen Sonntagsimpulse schreibt ein Pool aus Ordensleuten und Priestern für uns.